Süddeutsche Zeitung

Spitzentreffen im Fall Edathy:Gipfel des Misstrauens

Auch wenn die große Koalition gerade riesengroße Probleme hat, wird die Regierung nicht am Fall Edathy zerbrechen. Die Parteichefs Merkel, Gabriel und Seehofer müssen bei ihrem Treffen aushandeln, welcher Geist in Zukunft in der Koalition herrscht. Nicht ausgeschlossen, dass der eine oder andere dabei vor Wut in die Tischkante beißen muss.

Ein Kommentar von Nico Fried

Am 81. Tag nach ihrer Bildung steht die neue Regierung im öffentlichen Ansehen schlecht da. Ein Minister ist schon zurückgetreten. Die Vorsitzenden der drei Koalitionsparteien müssen sich zu einem ersten Krisengipfel treffen. Man redet einige Stunden, anschließend speist das Trio in einem teuren Berliner Restaurant Steak Tartare und stößt mit Prosecco an. Angela Merkel hat extra einen Fotografen bestellt, der den Neustart festhalten soll. So war das am 17. Januar 2010. Gleichwohl erholte sich die schwarz-gelbe Koalition vier Jahre lang nicht mehr von ihren Anfangsschwierigkeiten.

In der großen Koalition im Februar 2014 ist natürlich ganz vieles ganz anders. Genauer gesagt: schlimmer. Zum Beispiel muss der erste Krisengipfel der Parteichefs schon nach 62 Tagen abgehalten werden. Auch die Anlässe unterscheiden sich: 2010 ging es um die Herabsetzung der Mehrwertsteuer für Hotelübernachtungen. 2014 stehen Wahrhaftigkeit und Rechtstreue der Regierung und sie tragender Politiker infrage. Anders gesagt: Kleine Koalition, kleine Probleme; große Koalition, riesengroße Probleme.

Trotzdem steht mitnichten die Existenz der Regierung auf dem Spiel. Dafür ist Macht ein zu starker Kitt, sind Posten schon zu vertraut, Mandate schon zu angenehm und die große Mehrheit dieser Koalition viel zu bequem - mithin auch die Opposition zu schwach, um richtig Druck zu machen. Verhandeln müssen die drei Chefs die Qualität des Miteinanders: Wählen CDU, CSU und SPD Kooperation oder Konfrontation als Grundmelodie? Regiert der Geist der Kabinettsklausur von Meseberg oder der Geist gegenseitiger Miesmacherei? Es geht, wenn man so will, um die Identität der Koalition.

Viel war in den vergangenen Tagen die Rede davon, das Vertrauen sei zerstört. Das sollte man nicht überbewerten. Die Zahl der Menschen, denen Angela Merkel politisch wirklich vertraut, kann ein Mann aus dem Sägewerk selbst nach einem Arbeitsunfall noch mit einer Hand anzeigen. Bei Gabriel und Seehofer ist dieser Kreis nicht viel größer, wenn überhaupt. Und bei keinem der drei gehört auch nur einer der beiden anderen dazu.

Was allenthalben Vertrauen zwischen Koalitionären genannt wird, ist besser beschrieben als guter Wille, das gegenseitige Misstrauen zu unterdrücken. Diese Bereitschaft hat es bisher zwischen Merkel, Gabriel und Seehofer in hinreichendem Maße gegeben. Allerdings nur aus einem einzigen Grund: weil es im Interesse von Merkel, Gabriel und Seehofer lag.

Jetzt aber liegen die Interessen anders. Nicht unbedingt die der drei Vorsitzenden, wohl aber ihrer Parteien. Am meisten gilt das für die CSU. In gewisser Weise hat dieser Koalitionskonflikt nach dem Rücktritt von Hans-Peter Friedrich eine geradezu archaische Anmutung: Gleiches soll mit Gleichem vergolten werden. Man könnte das natürlich auch kindisch nennen. Nur unpolitisch ist es nicht. Denn solche Kompensationsrücktritte hat es durchaus schon gegeben. 2001 musste in der BSE-Krise die Gesundheitsministerin Andrea Fischer von den Grünen zurücktreten, damit der sozialdemokratische Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke es auch tut. Und umgekehrt.

Man kann freilich diese besondere Form eines politischen Gerechtigkeitssinnes schwer vermitteln, wenn ein Fehlverhalten nicht so recht nachweisbar ist. Bei Fischer und Funke konnte man beiden noch irgendwie das schlechte Krisenmanagement in die Schuhe schieben. Friedrich umgibt sogar der Ruch eines eventuellen Rechtsbruchs, wenn auch der echte Grund für seinen Rücktritt die Missachtung der Lebensweisheit war, dass gut gemeint nicht gut gemacht bedeutet.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann, der jetzt im Fokus der Rachegelüste steht, soll nach dem Willen der CSU eigentlich dafür bestraft werden, dass er den früheren Innenminister Friedrich nicht vor dessen eigener Naivität beschützt hat. Das aber ist schon ein bisschen viel verlangt.

Mitleid muss man mit Oppermann aber nicht haben. Erstens hat er selbst zu Oppositionszeiten bisweilen den Dreschflegel geschwungen. Zweitens ist sein Anruf beim BKA-Chef irgendwann noch rechtlich zu bewerten, schon jetzt aber Ausdruck der Arroganz eines Politikers, der so tut, als hätten alle Bürger die Möglichkeit, beim BKA anzurufen, obwohl er weiß, dass nicht jeder Bürger bis zu Jörg Ziercke durchgestellt würde.

Zweierlei ist schon vor dem Krisengipfel im Kanzleramt sicher. Erstens: Ein weiterer Rücktritt würde die Koalition nicht stabilisieren. Im Gegenteil. Zweitens: Rohes Fleisch werden Merkel, Seehofer und Gabriel nach ihrer Begegnung am Dienstag nicht verzehren. Allenfalls muss der eine oder andere in die Tischkante beißen, um im Sinne des großen Ganzen seinen Zorn zu unterdrücken.

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SZ vom 18.02.2014/liv
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