Spitzenkandidatur der Grünen:Ja, ich will, sagt Trittin

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Seine Aussichten stehen gut, Gegenkandidaten wird es vermutlich kaum noch geben: Fraktionschef Trittin will Spitzenkandidat der Grünen werden und die Partei in den Wahlkampf führen. Mittlerweile ist der einstige Umweltminister unangefochten. Doch seine Omnipräsenz weckt Argwohn.

Michael Bauchmüller, Berlin

Der Mann am Ende der Leitung lacht nur kurz auf. "Warum es keine männlichen Gegenkandidaten gibt? Gute Frage." Es trauten sich die meisten nicht zu. Und die es sich zutrauten, warteten noch ab.

"In den letzten zwei Jahren hat sein Stern extrem hell geleuchtet", sagt ein Parteifreund über Jürgen Trittin. (Foto: dpa)

"Im Augenblick ist Jürgen Trittin einfach unangefochten" - sagt einer von denen, die ihm vielleicht irgendwann mal den Rang ablaufen werden. Aber im Augenblick wagt sich keiner aus der Deckung. Jetzt ist erst einmal "der Jürgen" dran.

Jürgen Trittin, 58 Jahre alt, Ex- Umweltminister, Fraktionschef der Grünen, neuerdings Finanzfachmann, Ober-Außenpolitiker, Beauftragter für die Energiewende seiner Fraktion; derzeit lautestes Sprachrohr der Partei und begnadeter Redner: Er tritt an.

"Nachdem Bundesvorstand und Parteirat einmütig vorgeschlagen haben, mit einem Duo als Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl 2013 anzutreten", so ließ Trittin am Wochenende Parteifreunde in einem Brief wissen, "habe ich mich entschieden, für eine der beiden Positionen zu kandidieren." Endlich ist es raus.

Lange behielt der Fraktionschef seine Entscheidung für sich

Ein halbes Jahr hatte er mit der Entscheidung hinter dem Berg gehalten und still genossen. Erst galt er als potenzieller Kanzlerkandidat - in jenen kurzen Wochen des vorigen Jahres, in denen die Grünen in Umfragen gleichauf mit der SPD lagen. Trittin sagte nichts dazu. Dann plädierte selbst der Reformerflügel bei einer Klausur dafür, 2013 mit Trittin allein ins Rennen zu gehen - obwohl dieser dem linken Flügel der Partei angehört.

Der Kandidat schwieg. Dann griff schließlich Parteichefin Claudia Roth ein. "Ja, ich stelle mich zur Wahl", bekannte sie im März in einem Interview mit der taz. "Die Lösung, dass ein einzelner Mann die Grünen im nächsten Bundestagswahlkampf anführt, die wird es mit mir nicht geben." Und der einzelne Mann? Der hielt sich wieder raus.

So wird der Führungsstil des Jürgen Trittin jenem der Bundeskanzlerin zunehmend ähnlich. Die Dinge laufen lassen, solange sie nicht gegen einen selbst laufen, dann im entscheidenden Augenblick Fakten schaffen - wie an diesem Wochenende.

Denn nur noch drei Wochen sind es bis zu jenem kleinen Parteitag, auf dem die Grünen beschließen wollen, ob sie per Urwahl oder Parteitagsbeschluss ihr Spitzenteam bestimmen. Nach Trittins Erklärung liegt der Ball nun bei den anderen potenziellen Kandidaten.

Wird etwa Renate Künast, Ko-Fraktionschefin neben Trittin, Claudia Roth den Posten streitig machen? Wird Katrin Göring-Eckardt eingreifen, Bundestags-Vizepräsidentin und Synodenpräses der Evangelischen Kirche? Sie war zwischenzeitlich als Dritte im Bunde gehandelt worden - neben den Parteilinken Trittin und Roth könnte sie den Realo-Flügel vertreten. Doch auch sie schweigt beharrlich.

Nur wenn sich Gegenkandidaten finden, wird die grüne Basis per Urwahl entscheiden. Andernfalls dürfte der Parteitag im November das Duo Roth/Trittin küren. Für Jürgen Trittin dürfte bei beiden Varianten das Gleiche herauskommen: Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird er zum Spitzenduo zählen.

"Mit allen Frauen, über deren Kandidatur bisher spekuliert wird, kann ich gut zusammenarbeiten", sagte er großherzig dem Spiegel. Vielleicht gebe es aber auch ein Frauenduo. Man weiß ja nie.

Als die Euro-Krise kam, war Trittin schon da

Wie kein anderer hat Trittin es in den vergangenen Jahren verstanden, die entscheidenden Themen zu besetzen. Als es mit den Märkten bergab ging, als die Europäer in die größte anzunehmende Finanzkrise schlitterten, war Jürgen Trittin schon da.

Schließlich war er nach dem Ende von Rot-Grün 2005 zunächst einmal auf den Posten eines stellvertretenden Fraktionschefs zurückgestuft worden, zuständig für die Außenpolitik. Europa? Da wusste Trittin, der sonst so unnahbar, oft auch überheblich wirkt, gleich einiges zu sagen.

Nicht anders bei der Reaktorkatastrophe in Fukushima. Als Union und FDP noch über einen Atomausstieg sinnierten, hielt Trittin in Japan Vorträge darüber, wie sich Atomkraft durch Ökostrom ersetzen lässt. Schließlich war er als Umweltminister selbst dabei, als SPD und Grüne schon einmal mit der Atomkraft brachen.

Und während Trittins Ko-Fraktionschefin Renate Künast in Berlin vergeblich um das Amt der Regierenden Bürgermeisterin kämpfte, sprach Trittin in der "Tagesschau" über Atomausstieg und Euro-Krise. "In den letzten zwei Jahren hat sein Stern extrem hell geleuchtet", sagt ein Parteifreund, nicht ohne Anflug von Neid.

Innerhalb der Partei verursacht so viel Präsenz eines Einzelnen ohnehin einigen Argwohn. Das liegt zum einen daran, dass sich Trittin je staatsmännischer gibt, desto mehr Gehör er findet - was häufig nicht dazu beiträgt, das grüne Profil zu schärfen. In der Euro-Krise sind die Grünen bisher noch zahmer als der Koalitionspartner in spe, die SPD.

Bei der Suche nach einem Atom-Endlager sind die Grünen ebenso bereit zu einem breiten Parteien-Konsens wie im vorigen Jahr bei der schwarz-gelben Energiewende. Die klare Kante fehlt oft. Zum anderen regt sich Widerstand bei jüngeren Grünen, sowohl im Bundestag als auch in den Ländern.

Neben dem omnipräsenten Trittin kommen viele Abgeordnete mittlerweile kaum noch zu Wort. Anstatt Talente zu pflegen, gebe es bei den Grünen zunehmend "eine Kultur des Wegbeißens", klagt ein einflussreicher Landespolitiker.

Sollte es für die Grünen im Herbst 2013 nicht zu einer Regierungsbeteiligung reichen, ergo nicht zum Finanzminister-Posten für einen Vizekanzler Trittin, dann dürfte die Sache auch für den Fraktionschef Trittin gelaufen sein. Die Bundestagswahl 2013 ist für ihn - wie auch für Künast und Roth - die letzte Chance, in ein Regierungsamt zu schlüpfen. Vorausgesetzt, die Grünen zerlegen sich nicht vorher über ihre personelle Aufstellung für die Wahl. Die nächsten drei Wochen werden es zeigen.

Jürgen Trittin wird aus der Ferne und im Zweifel nicht ohne Belustigung betrachten, was nun geschieht. Nach Diktat seines Briefs verreiste der potenzielle Spitzenkandidat nach Korsika. Neben einem vierseitigen Manifest, in dem er eine Koalition mit Union oder FDP nebenbei ausschloss, hinterließ er auch die Bedingungen für seine Kandidatur: nicht alleine und nicht zu dritt will er antreten. "Dabei", so schloss Trittin, "freue ich mich auf Eure Unterstützung." Zweifel daran hat er offenbar nicht.

© SZ vom 14.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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