Spitzenkandidaten im Saarland:Leises Duell im Schatten der Alpha-Männer

Staatstragender SPD-Herausforderer gegen sachliche Ministerpräsidentin: Im Saarland treten Heiko Maas und Annegret Kramp-Karrenbauer bei der Landtagswahl gegeneinander an - und wollen doch zusammen regieren. Bei aller Harmonie: Beide riskieren bei der Wahl am Sonntag das Ende ihrer politischen Laufbahn. Fragt sich nur, wer Anführer und wer Verlierer wird in einer Koalition.

Marc Widmann

Er ist keiner, der sich ranwanzt an die Menschen. Vorhin, da hat er eine Fabrik für Leitplanken besucht, ist durch die Werkshalle gelaufen und hat es tatsächlich geschafft, mit keinem einzigen Arbeiter zu plaudern. Später, als er zu seinem Wahlkampfbus ging, ließ er eine Gruppe Passanten unbehelligt rechts stehen, ohne auch nur einem auf die Schulter zu klopfen. Jetzt ist es schon Mittag, Heiko Maas steht in der Saarbrücker Fußgängerzone mit einem Bündel Rosen in der Hand und muss Straßenwahlkampf machen. "Darf ich Ihnen eine Rose geben?", brummt er mit leiser Stimme. Die ältere Frau mit gefärbtem Haar bleibt stehen. Sie schnuppert. Dann sagt sie: "Riechen tut sie nicht."

"Nein", sagt Heiko Maas, "sie duftet." Als er weiterzieht zum nächsten Termin, legt er unauffällig ein Dutzend rote Rosen zurück auf den SPD-Wahlkampfstand. Seine Mitarbeiter müssen das jetzt übernehmen.

Kann so einer Ministerpräsident werden? Im Saarland? In einem Land, das in den vergangenen Jahrzehnten von jovialen Alpha-Männern wie Peter Müller und Oskar Lafontaine regiert wurde, die sich dröhnend in den Mittelpunkt schoben oder bei Volksfesten so lange die Krüge hoben und Skat spielten, bis alle anderen schon daheim waren? Dieser leise, bedächtige, fast schon introvertierte Mann? Ja, er könnte, denn die Zeiten haben sich geändert im Saarland.

"Nicht in herzlicher Abneigung verbunden"

Wenn die Menschen in dem kleinen Land am Sonntag abstimmen, haben sie die Wahl zwischen dem sachlichen, staatstragenden SPD-Herausforderer Heiko Maas - und der sachlichen, staatstragenden CDU-Regierungschefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Zwischen zweien, die sich sehr ähnlich sind in der Ernsthaftigkeit, mit der sie Politik betreiben. Zwischen zweien, die miteinander können, die sich "nicht in herzlicher Abneigung verbunden" sind, wie es die CDU-Frau nennt, was unter saarländischen Politikern alles andere als selbstverständlich ist. Die beiden haben längst beschlossen, dass sie eine große Koalition bilden wollen, um ihr hoch verschuldetes Land zu retten. Die Frage ist nur noch, wer von beiden der Anführer wird und wer der Verlierer.

Annegret Kramp-Karrenbauer war in diesen Tagen in Illingen unterwegs, auf dem Wochenmarkt. "Nicht erschrecken, ich mach' nichts", sagt die 49-Jährige, wenn sie an einen Stand herantritt. Was ziemlich überflüssig ist, denn keiner erschrickt, wenn er die zierliche Regierungschefin sieht, die keine großen Reden schwingt, nur mal ein Döschen Propolis kauft und fragt, wie lange man schon hierher kommt, ehe sie sich mit einem "prima" verabschiedet.

Schreck für Kanzlerin Angela Merkel

Erschreckt hat Kramp-Karrenbauer die Saarländer nur einmal: Am 6. Januar, als sie die Jamaika-Koalition mit FDP und Grünen platzen ließ. Auch einige in ihrer eigenen Partei schockte sie, denn sie setzt sich einem gewaltigen Risiko aus. Verliert sie die Neuwahlen am Sonntag, wird sie als Ministerpräsidentin mit der kürzesten Amtszeit in die Geschichte eingehen. Ausgerechnet sie, die von sich sagt: "Ich bin kein Zockertyp, sondern ein auf Sicherheit bedachter Mensch."

Sie musste auf einmal die Kanzlerin beruhigen, die nachfragte, ob das Risiko wirklich sein müsse. Die Wahl ist umso gefährlicher für Kramp-Karrenbauer, als die CDU schon seit zwölf Jahren an der Saar regiert und sich in so langer Zeit einiges ansammelt. Die Affäre um einen überteuerten Museumsbau in Saarbrücken zum Beispiel. Mitten im Wahlkampf musste sie vergangene Woche vor einem Untersuchungsausschuss aussagen und sich gegen den Vorwurf wehren, sie habe die Baukosten vor der letzten Wahl bewusst geschönt. Sie redete zwei Stunden lang und war ziemlich nervös dabei, was sie schlecht überspielen kann. Was, wenn am Sonntag alles vorbei ist? "Die wahren Katastrophen im Leben sind andere, nicht ob man ein Amt verliert", sagt sie. Es soll gelassen klingen.

Marschmusik aus "Fluch der Karibik"

Am liebsten hätte sie sich die Neuwahlen erspart und sofort eine große Koalition geschmiedet. Auch Heiko Maas hätte nichts dagegen gehabt, auch für ihn könnte der Sonntag der Tag sein, an dem seine Karriere platzt, falls er zum dritten Mal nicht gewinnt. Aber Maas konnte sich nicht durchsetzen in seiner SPD, die Genossen wollten die Wahl unbedingt, sie wollen nach zwölf Jahren endlich wieder an die Fleischtöpfe, wie es einer nennt. Sie sind "heiß", so sagt es Maas.

Für den 45-Jährigen geht es also auch um die Wurst, die im Saarland Lyoner heißt. Mit einem kleinen Unterschied zu früher. 2004, als der Streit um Gerhard Schröders Reformen tobte, "da wollte keiner auf der Straße von uns auch nur ein Stück Brot annehmen", sagt er. 2009 verhagelte ihm Oskar Lafontaine und dessen Linkspartei das Ergebnis. "Immer ist alles schiefgelaufen", sagt Maas. Nur diesmal läuft es plötzlich für ihn. Jetzt marschiert er zur Filmmusik von "Fluch der Karibik" in die Hallen, und die Genossen springen auf. Endlich darf er in Jubel baden, und man kann zusehen, wie er von Tag zu Tag selbstbewusster wird. Er fährt im Fernsehduell seinem einstigen Ziehvater Lafontaine über den Mund. Er ruft zur Museumsaffäre seiner Kontrahentin in die Halle: "Wer so handelt, gehört nicht in die Staatskanzlei!"

Trotzdem, auch wenn beide gleichauf liegen bis zuletzt, war es kein schmutziger Wahlkampf. Schließlich wollen sie koalieren, schließlich schweißt sie eine Einsicht zusammen: dass die nächsten fünf Jahre entscheidend sind für das Schicksal des Saarlandes. Zwölf Milliarden Schulden hat das kleine Land angehäuft. Wenn sie es nicht hinkriegen, den Haushalt zu sanieren, wird es "zu einem Übernahmekandidaten", sagt Maas. Eines will wirklich keiner von ihnen: in die Geschichte eingehen als letzter Regierungschef dieses kleinen Landes.

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