Spitzenkandidat bei Europawahl:Martin Schulz will mehr

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Martin Schulz präsentiert sich als SPD-Kandidat für die Europawahl. (Foto: dpa)

Europas Sozialisten küren Martin Schulz zum Spitzenkandidaten. Doch der Anspruch des EU-Parlaments-Präsidenten geht weiter: Gewinnt er, könnte er an die Spitze der Kommission klettern. Das ist für Angela Merkel ein Problem.

Von Cerstin Gammelin, Brüssel

Sozialdemokrat Martin Schulz war am Mittwoch in Brüssel in heikler Doppelmission unterwegs. Der Präsident des Europäischen Parlaments ließ sich als Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten und Sozialisten für die Europawahl 2014 vorstellen - in die er mit dem klaren Anspruch zieht, zu gewinnen und anschließend als Präsident in die Europäische Kommission zu wechseln. Schulz war aber auch als Großkoalitionär unterwegs.

Er sitzt bei den Verhandlungen in Berlin dabei, wenn es um Europapolitik geht - und weiß deshalb genau, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel seine EU-Kandidatur nicht eben erquickend findet und jedenfalls nicht gewillt ist, der SPD jetzt wegen eines Spitzenkandidaten Schulz gleich das Recht zuzugestehen, den deutschen Vertreter für die nächste Kommission vorzuschlagen. Bisher hat die CDU den Posten beansprucht - diesen Einfluss in Brüssel gibt man nicht gerne her.

Und so haben Merkel und Schulz ein Problem. Jedes der 28 EU-Länder darf einen Kommissar benennen, darunter ist der Präsident. Würde Schulz über die Europawahlen und das damit verbundene neue Wahlverfahren für den Kommissionspräsidenten tatsächlich in den begehrten Job wechseln können, würde er damit den deutschen Anspruch insgesamt abdecken. Die CDU ginge leer aus.

Schulz muss rhetorische Volten schlagen

Schulz musste am Mittwoch einige rhetorische Volten schlagen, um noch einigermaßen überzeugend erklären zu können, dass er dennoch mit Merkel einig sei. Die SPD habe bereits vorgeschlagen, dass SPD und Union als Wettbewerber in die Europawahl ziehen sollten. "Und die entsprechenden personellen Entscheidungen werden nach der Europawahl getroffen." Eine mögliche große Koalition würde damit erst Ende Mai darüber entscheiden, welcher der Koalitionspartner den Posten in Brüssel bekommt. Bisher wurde dieser Posten schon bei der Regierungsbildung vergeben. Ein Aufschub also: Schulz zufolge wollen die Unterhändler in Berlin dies am Donnerstag offiziell beschließen.

Merkel hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie von der Idee, wonach alle großen Parteienfamilien mit Spitzenkandidaten in den Europawahlkampf ziehen, nicht überzeugt ist. Die Sprachbarrieren seien zu hoch, die Gesichter kaum bekannt. Vor allem aber gebe es keine Garantie, dass einer der Spitzenkandidaten auch Präsident der EU-Kommission werden müsse.

"Das ist kein Automatismus", stellte Merkel zuletzt auf dem EU-Gipfel im Oktober in Brüssel klar. Tatsächlich ist im EU-Vertrag festgelegt, dass die Staats- und Regierungschefs nach Konsultation mit dem Parlament und im Lichte der Ergebnisse der Europawahlen einen Kommissionspräsidenten vorschlagen. Es ist ausdrücklich nicht festgelegt, dass diese Person einer der Spitzenkandidaten sein muss.

Sicher treibt Merkel die Sorge um, ihre Parteienfamilie könnte das Amt des Kommissionschefs verlieren - derzeit sitzt der ehemalige portugiesische Regierungschef José Manuel Barroso im Chefsessel. Aber auch die Sorge, dass ein Kommissionspräsident, der direkt über die politischen Flügel kommt und von einer Mehrheit im EU-Parlament abhängt, die Unabhängigkeit der Kommission verspielen und einen Umbau der Institution auslösen könnte.

Beispielsweise müsste die starke und unabhängige Wettbewerbsabteilung herausgelöst werden. Und auch die Generaldirektionen, die mit Wirtschaft und Währung befasst sind, müssten separiert werden. "Stellen Sie sich einmal vor, ein sozialistischer Wirtschaftskommissar soll einem konservativen Regierungschef vorschreiben, wo dieser zu reformieren hat!", sagt ein hoher EU-Diplomat.

Antieuropäische Parteien zurückdrängen

Gleichwohl räumen die meisten Zweifler ein, dass die von Schulz maßgeblich durchgesetzte Idee, mit Spitzenkandidaten europaweit Wahlkampf zu machen, auch die große Chance birgt, antieuropäische Parteien zurückzudrängen. Schulz selbst sagte am Mittwoch, er trete auch an, um zu verhindern, dass Skeptiker die Europawahl am 25. Mai 2014 zu einem Votum für oder gegen Europa missbrauchen.

"Ich will darüber reden, wie Europa aussehen kann und wie wir das Vertrauen der Bürger in diese Idee zurückgewinnen können". Er versuche, mit seiner Kandidatur "eine neue Dimension an europäischer Demokratie" zu erreichen und europamüde Bürger wach zu machen.

Schulz hat eine Dynamik ausgelöst, der sich die anderen Parteien nicht entziehen können, ohne das Prädikat "demokratiefeindlich" zu riskieren. Die Konservativen werden Ende Dezember über ihr Gesicht im kommenden Wahlkampf beraten, die Liberalen wollen sich zwischen dem früheren belgischen Premier Guy Verhofstadt und dem finnischen EU-Kommissar Olli Rehn entscheiden. Unter den Grünen ist Rebecca Harms Favoritin, die Linken haben den Griechen Alexis Tsipras nominiert.

© SZ vom 07.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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