Krieg in der Ukraine:Scholz verspricht Aufklärung zu Luftwaffen-Mitschnitt

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Ein "Tornado"-Kampfjet bestückt mit dem Lenkflugkörper "Taurus". (Foto: Andrea Bienert/dpa)

Der russische Staatssender RT veröffentlicht einen Mitschnitt, der von einem vertraulichen Gespräch deutscher Luftwaffen-Offiziere stammen soll. Sicherheitspolitiker zeigen sich alarmiert.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat nach der Veröffentlichung eines Mitschnitts von Beratungen deutscher Luftwaffen-Offiziere über Unterstützung für die Ukraine schnelle Aufklärung versprochen. Am Rande eines Besuchs im Vatikan sprach der SPD-Politiker am Samstag von einer "sehr ernsten Angelegenheit". Russische Medien hatten zuvor über ein Gespräch berichtet, in dem ranghohe Offiziere der Bundeswehr zu hören sein sollen, die über theoretische Möglichkeiten eines Einsatzes deutscher Taurus-Raketen diskutieren. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung ist die Echtheit des Mitschnitts mittlerweile bestätigt.

Das Verteidigungsministerium bestätigt, man gehe davon aus, dass das interne Gespräch abgehört worden sei. "Ob in der aufgezeichneten oder verschriftlichten Variante, die in den sozialen Medien kursieren, Veränderungen vorgenommen wurden, können wir derzeit nicht gesichert sagen", sagte eine Ministeriumssprecherin am Samstag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Zuvor berichtete dies auch das ARD-Hauptstadtstudio.

Das russische Außenministerium forderte nach dem offenbar abgehörten Gespräch eine Erklärung der Bundesregierung. "Versuche, um Antworten herumzukommen, werden als Schuldeingeständnis gewertet", schrieb Moskaus Außenamtssprecherin Maria Sacharowa auf ihrem Telegram-Kanal. Zugleich veröffentlichte Margarita Simonjan, die Chefin des russischen Staatssenders RT, am Freitag einen angeblichen Audiomitschnitt des rund 30-minütigen Gesprächs. Wie Simonjan an die Aufnahmen gekommen ist, sagte sie nicht.

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In teils lockerem Ton tauschen sich Bundeswehr-Offiziere über das Für und Wider einer "Taurus"-Lieferung aus. Was sie nicht wissen: Die Russen hören mit. Der Fall hat gleich drei Ebenen - das Kanzleramt ist alarmiert.

Von Georg Ismar

An dem Gespräch am 19. Februar 2024 soll unter anderem der Luftwaffen-Inspekteur Ingo Gerhartz teilgenommen haben, es diente der Vorbereitung auf eine Unterrichtung für Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Zugeschaltet war auch der Luftwaffengeneral Frank Gräfe, der sich zum Zeitpunkt des Gesprächs bei einer Air Show in Singapur aufhielt. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) ermittelt nun, ob die für die Besprechung aufgesetzte Videokonferenz, für die das Programm Webex verwendet wurde, gehackt worden ist. Aber in der Bundeswehr wird SZ-Informationen zufolge betont, in der Besprechung seien keine neuen oder geheimen Details diskutiert worden, schon gar nicht habe man sich gegen die Position des Kanzlers gestellt, sondern nur die verschiedenen Optionen erörtert.

In dem in der Audiodatei zu hörenden Austausch geht es unter anderem um die Frage, ob Taurus-Marschflugkörper technisch theoretisch in der Lage wären, die von Russland gebaute Brücke zur völkerrechtswidrig annektierten ukrainischen Halbinsel Krim zu zerstören.

Ein weiterer Punkt im Gespräch ist, ob die Ukraine den Beschuss ohne Bundeswehrbeteiligung bewerkstelligen könnte. Allerdings ist in dem Mitschnitt auch zu hören, dass es auf politischer Ebene kein grünes Licht für den Einsatz gibt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat mehrfach betont, dass er gegen die Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine ist. Er begründete dies mit der Gefahr, dass Deutschland in den von Russland begonnenen Angriffskrieg hineingezogen werden könnte.

Brisant ist, dass die Rede davon ist, dass die Briten im Zusammenhang mit dem Einsatz ihrer an die Ukraine gelieferten Storm-Shadow-Marschflugkörper "ein paar Leute vor Ort" hätten. Gerade erst hatte es in Großbritannien Verärgerung über eine Äußerung von Kanzler Olaf Scholz gegeben, die ihm von einigen als Indiskretion ausgelegt wurde. "Was an Zielsteuerung und an Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden", sagte der SPD-Politiker. Was er genau damit meinte, ließ er offen.

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Der Satz wurde aber von einigen als Hinweis verstanden, Franzosen und Briten würden die Steuerung ihrer an die Ukraine gelieferten Marschflugkörper Storm Shadow und Scalp mit eigenen Kräften unterstützen. Ein Sprecher des britischen Premierministers Rishi Sunak dementierte das umgehend: "Der Einsatz des Langstreckenraketensystems Storm Shadow durch die Ukraine und der Prozess der Zielauswahl sind Sache der ukrainischen Streitkräfte."

Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter sagte dem Nachrichtenportal ZDFheute.de mit Blick auf die Veröffentlichung: "Man muss davon ausgehen, dass das Gespräch ganz gezielt durch Russland zum jetzigen Zeitpunkt geleakt wurde in einer bestimmten Absicht. Diese kann nur darin liegen, eine Taurus-Lieferung durch Deutschland zu unterbinden."

Auch FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sieht als Grund für die Veröffentlichung, dass Russland Bundeskanzler Scholz davon abschrecken will, doch noch grünes Licht für die Lieferung von Taurus zu geben. Sie sagte dem RND, Spionage gehöre "zum Instrumentenkasten Russlands hybrider Kriegsführung". Es sei weder überraschend noch verwunderlich, dass Gespräche abgehört würden. "Es war nur eine Frage der Zeit, wann es öffentlich wird."

Kiesewetter rechnet damit, dass noch etliche andere Gespräche abgehört wurden und gegebenenfalls später im Sinne Russlands geleakt werden. Er vermutet zudem: "Dieses Bundeswehr-Leak kann ein russischer Versuch sein, die öffentliche Debatte wegzulenken von den Wirecard-Enthüllungen und der Beerdigung von Alexej Nawalny."

Der verteidigungspolitische Sprecher der Union, Florian Hahn, forderte, dass der Kanzler sich im Verteidigungsausschuss des Bundestags erklärt. Aus seiner Sicht untermauert das Luftwaffen-Gespräch, dass ein Einsatz von Taurus durch die Ukrainer auch ohne Bundeswehr-Personal vor Ort möglich wäre. "Wenn der Mitschnitt echt ist, sind die Aussagen des Kanzlers aus dieser Woche nicht nur unangemessen, sondern falsch", sagte der CSU-Politiker der Nachrichtenagentur dpa. Minister Pistorius habe sich explizit zum Taurus einschließlich Einsatzmöglichkeiten unterrichten lassen. "Daher ist es kaum vorstellbar, dass Scholz von dieser militärischen Einschätzung nichts wusste." Obwohl er militärisch vorausschauende Planung für durchaus normal halte, sei hier Aufklärung gefordert. "Ich erwarte Bundeskanzler Scholz hierzu im Verteidigungsausschuss."

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