BND-Affäre:EU und Frankreich auf NSA-Spionageliste

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Geschenk mit Einschränkungen - die Abhörstation im bayerischen Bad Aibling.

(Foto: AFP)
  • Die NSA spionierte mit Hilfe des BND offenbar auch gegen Frankreich und Institutionen der EU.
  • BND und Kanzleramt reagierten allerdings verhalten, als sie bemerkten, dass sich die NSA bei ihren Späh-Aktionen in Europa nicht an Regeln hielt.
  • Das wird nun zu einem Problem für Kanzlerin Merkel. Sie muss ihren europäischen Freunden erklären, wie mit deutscher Hilfe spioniert werden konnte.

Von Georg Mascolo und John Goetz, Berlin

Im bayerischen Bad Aibling steht das sogenannte Große Ohr, eine Abhörstation, die lange zu den leistungsstärksten der Welt gehörte. Nach dem Krieg wurde sie vom US-Geheimdienst NSA betrieben, nach der Jahrtausendwende zog der BND als Hausherr ein. Die Amerikaner hatten die Anlage den Deutschen geschenkt. Aber nicht ganz freiwillig.

Bad Aibling war unter Verdacht geraten, europäische Regierungen argwöhnten, die NSA spioniere von dort aus gezielt europäische Unternehmen aus. Im Jahr 2000 setzte das Europäische Parlament einen Sonderausschuss ein, um die Praktiken der NSA und des Spionage-Verbandes "Five-Eyes" zu untersuchen. Die Aufregung war damals beinahe so groß wie nach den Snowden-Enthüllungen.

Unter tatkräftiger Mithilfe des Kanzleramtes, in dem damals Frank-Walter Steinmeier über den BND wachte, wurde ein Deal mit der NSA ausgehandelt. Die Anlage ging kostenfrei an den BND, im Gegenzug verpflichteten sich die Deutschen, für die NSA zu arbeiten und zuzuliefern. Bad Aibling, so schien es, würde künftig keine Bedrohung mehr für Europa sein.

Nun aber sieht es so aus, als hätten die Deutschen der NSA dabei geholfen, Europa auszuspionieren. Und zwar ausgerechnet von Bad Aibling aus. Die Anlage ist noch heute ein Gigant, 13 Kommunikations-Satelliten werden von hier aus abgehört. 6500 Rohdaten werden dabei pro Sekunde erfasst, 1,3 Milliarden Daten übermittelte die Station im Jahr 2013 monatlich an die NSA.

Nicht nur al-Qaida stand auf der Spähliste der NSA, auch EADS und Eurocopter

Bad Aibling ist bis heute ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Von den Deutschen kommt Personal, die NSA liefert Analyse-Software, vor allem das Gros der sogenannten Selektoren. Dabei handelt es sich um Suchbegriffe - Namen etwa, IP- oder Mail-Adressen. Eigentlich soll ein ausgeklügeltes System sicherstellen, dass die NSA sich an die Regeln hält. Die von den USA gelieferten Selektoren sollen in der BND-Zentrale überprüft werden. Was gegen deutsche Interessen verstößt, so jedenfalls die Theorie, fliegt raus und landet in einer "Ablehnungsdatei". Sie wurde in Bad Aibling geführt und war offenbar ein gut gehütetes Geheimnis. Angeblich soll nicht einmal der für die technische Aufklärung zuständige Abteilungsleiter von der Datei gewusst haben.

Dass die Amerikaner nicht gewillt sind, sich an die Regeln zu halten, fiel früh auf. 2005 bemerkte der BND bei einer Kontrolle, dass es nicht nur um al-Qaida und Taliban ging. Auf der Liste standen EADS (heute Airbus), die Firma Eurocopter und französische Behörden. In einem BND-Vermerk findet sich die Formulierung, die NSA versuche, die Überwachung "auf Bereiche auszudehnen, die nicht im gemeinsamen Interesse liegen". Ein grober Verstoß, aber die Reaktion beim BND fiel dennoch seltsam verhalten aus. Ein schwacher Protest und die Bitte, so etwas doch in Zukunft zu unterlassen. Auch im Kanzleramt ignorierte man dieses Warnsignal, obwohl der BND gleich mehrmals über die Geschichte berichtete.

Noch ist keine der betroffenen Regierungen informiert worden

Heute addiert sich die Laxheit von BND und Kanzleramt für die Bundesregierung zu einem gewaltigen Problem. EADS, Eurocopter und die französischen Behörden waren offenbar keine Ausrutscher, sondern Teil eines Systems. Eine gründliche Suche nach dem Beginn der Snowden-Enthüllungen förderte in der Ablehnungsdatei 40 000 Selektoren zutage. Weitere 2000 wurden im Sommer 2013 entdeckt - offenbar war der BND bei der Ablehnung von Suchbegriffen nicht sonderlich gründlich. Oder aber, ein noch böserer Verdacht, es war manchmal auch einfach egal. Nach Angaben von mit der Materie vertrauten Personen befinden sich auf beiden Listen eindeutige Beweise, dass die NSA in Europa spionieren ließ -in Frankreich etwa oder gegen EU-Institutionen.

"Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht", sagte Kanzlerin Angela Merkel auf dem Höhepunkt der NSA-Affäre im Oktober 2013. Nun steht sie selbst vor der Aufgabe, ihren europäischen Freunden zu erklären, warum ausgerechnet mit deutscher Hilfe von Bad Aibling aus spioniert wurde. In welchem Umfang dies geschah, ist allerdings bisher nicht klar: In Bad Aibling geht es um die Krisenregionen im Nahen Osten, Afghanistan und Nordafrika. Das Gros der europäischen Kommunikation, so sagt man in Regierungskreisen, könne von dort aus überhaupt nicht überwacht werden. Inzwischen wird vermutet, dass die NSA ihre übliche Zielliste einfach aus Bequemlichkeit auch an den BND übermittelte.

Noch soll keine der betroffenen Regierungen informiert worden sein, die Bundesregierung scheint selbst noch nicht sicher zu sein, wie sie mit der Affäre umgehen soll. Aufgeklärt werden muss jetzt im NSA-Untersuchungsausschuss, der die Selektoren-Liste sehen will. Das Kanzleramt hat Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche beauftragt, mit den Amerikanern über die Freigabe für den Ausschuss zu verhandeln. Mindestens die Opposition aber verlangt sie auch dann zu sehen, wenn die US-Regierung ablehnt.

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