Süddeutsche Zeitung

Spionage-Skandal:NSA hörte Frankreichs Präsidenten ab

  • Die Enthüllungsplattform Wikileaks hat Dokumente veröffentlicht, wonach der US-Geheimdienst NSA jahrelang die französische Staatsspitze ausgespäht hat.
  • Den NSA-Unterlagen zufolge reicht umfangreiche die Liste der Abgehörten von Frankreichs Staatspräsidenten bis hin zu Regierungsbeamten.
  • Aus den Unterlagen geht auch hervor, dass die Franzosen 2010 offenbar vergeblich versucht hatten, mit den Amerikanern eine Art kleines No-Spy-Abkommen zu erreichen.
  • Die Telefonnummern der abgehörten französischen Spitzenpolitiker gehören zu den Selektoren, anhand derer die NSA die weltweiten Datenströme durchsucht.

Von John Goetz und Hans Leyendecker

Der US-Geheimdienst NSA hat offenbar über viele Jahre hinweg gezielt die gesamte französische Staatsspitze abgehört. Das geht aus neuen Dokumenten hervor, welche die Enthüllungsplattform Wikileaks am Dienstagabend veröffentlicht hat. Süddeutsche Zeitung und NDR konnten die Unterlagen vorab einsehen und prüfen.

Die NSA-Unterlagen zeigen, dass offenbar kaum jemand in der Pariser Regierung von der NSA als zu unbedeutend gesehen wurde, um ihn abzuhören. Die Liste der Abgehörten reicht von Frankreichs Staatspräsidenten bis hin zu Regierungsbeamten. Die Dokumente stammen offenbar erneut aus dem Innersten der NSA, die bereits durch die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden unter Druck geriet. Die Unterlagen zeigen, dass die NSA das Abhören und Ausspähen in Frankreich offenbar umfassend betrieb. In Deutschland ist bislang nur bekannt geworden, dass wohl das Telefon des früheren Kanzlers Gerhard Schröder und das Handy von Angela Merkel abgehört wurden.

In den jetzt von Wikileaks veröffentlichten Unterlagen findet sich auch ein von der NSA abgefangenes Gespräch vom März 2010 zwischen Frankreichs Botschafter in Washington und einem Berater des damaligen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy. Es handelt von dem vergeblichen Versuch der Franzosen, mit den Amerikanern eine Art kleines No-Spy-Abkommen zu erreichen: Die Franzosen wollten, wie der US-Nachrichtendienst registrierte, nicht mehr von US-Nachrichtendiensten ausgespäht werden. Zu dem Abkommen kam es nicht.

Niemand auf der französischen Liste erreicht die höchste Priorität

In den Wikileaks-Dokumenten ist eine Liste französischer Telefonnummern aufgeführt, die aus der NSA-Datenbank stammen sollen. Sie werden als "Ziele mit hoher Priorität" beschrieben. Die Nummern sind unter anderem dem Handy des Staatspräsidenten zugeordnet und Handys von Ministern und Staatssekretären. Niemand auf der französischen Liste erreicht die höchste Priorität, die die NSA vergab, Nummer 1. Der Präsident rangiert als Nummer 2.

In den von Wikileaks veröffentlichten Dokumenten findet sich eine Notiz vom Mai 2012, in der sich französische Spitzenpolitiker über ein geplantes Treffen mit der SPD-Spitze in Paris unterhalten, das geheim bleiben sollte. Wie die NSA schreibt, wollten Frankreichs Präsident François Hollande und Premierminister Jean-Marc Ayrault vertraulich mit SPD-Chef Sigmar Gabriel und anderen Parteispitzen über die Euro-Krise und mögliche Folgen eines griechischen Austritts aus der Gemeinschaftswährung sprechen.

In den Unterlagen heißt es, Hollande habe sich über ein Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel in der Vorwoche beschwert. Es sei reine Show gewesen, substanziell sei nichts erreicht worden. Die Zusammenkunft mit Gabriel fand statt, aber sie war nicht geheim.

Die Telefonnummern der französischen Spitzenpolitiker gehören zu den Selektoren, anhand derer die NSA die weltweiten Datenströme durchsucht. Es gibt bisher keinen Anhaltspunkt, dass die nun veröffentlichten Gesprächsinhalte mittels Selektoren zustande kamen, die in Bad Aibling eingesetzt wurden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2535115
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.06.2015/dayk
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.