Spionage:Lehrer sollen in NRW auf Anweisung Ankaras bespitzelt worden sein

Demo von Erdogan-Anhängern in Köln

Linientreu: Anhänger des türkischen Präsidenten bei einer Pro-Erdoğan-Demo in Köln im Juli 2016.

(Foto: Henning Kaiser/dpa)
  • Bei Gesprächsrunden soll das türkische Konsulat Deutsch-Türken aufgefordert haben, Erdoğan-kritische Lehrer zu denunzieren, berichten Teilnehmer.
  • Die NRW-Landesregierung schaltete die Staatsanwaltschaft ein.
  • Andere Teilnehmer der betroffenen Diskussionsrunde dementieren die Anschuldigungen.

Von Jan Bielicki, Düsseldorf

Das Generalkonsulat der Republik Türkei hatte eingeladen. Zu dem Treffen an einem Sonntagnachmittag im Januar kamen Vertreter türkischer Elternvereine und Lehrerverbände in das nüchterne Bürogebäude im linksrheinischen Teil Düsseldorfs. Der Erziehungsattaché war anwesend, auch Imame sollen dabei gewesen sein. Ähnliche Treffen gab es in den vergangenen Wochen auch in den Konsulaten in Essen, Köln und Münster, und eigentlich erregten diese seit Jahrzehnten regelmäßig tagenden Gesprächsrunden in ruhigen Zeiten nie Aufsehen: Man unterhält sich über Probleme türkischer Schüler in den Schulen Nordrhein-Westfalens.

Diesmal aber schafften es diese Treffen in die Schlagzeilen. Der Verdacht: Die Konsulate könnten dabei Eltern und sogar Schüler aufgefordert haben, Lehrer zu bespitzeln und zu denunzieren, die sich kritisch über den in Ankara zunehmend autokratisch regierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan äußern. Das jedenfalls haben gleich mehrere Lehrer aus den Konsulatsrunden Süleyman Ateş erzählt. Der Ex-Lehrer aus Köln, Mitglied des Bundesausschusses Migration der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), ging an die Öffentlichkeit. Die Konsularbeamten "haben den Eltern und Lehrern nahegelegt, als Patrioten aktiv zu werden und jeden an die Konsulate zu melden, der sich kritisch gegen Erdoğan äußert oder den Genozid an den Armeniern erwähnt", erzählt Ateş.

GEW-Landesvorsitzender spricht von "methodischer Einschüchterung"

Der stellvertretende GEW-Landesvorsitzende Sebastian Krebs spricht von "methodischer Einschüchterung" und der "Mundtot-Machung von Kritikern" - "das geht gar nicht". Er habe sich selbst bei einigen der Teilnehmer der Runde vergewissert, die ihm bestätigt hätten, dass es zu solchen Denunziations-Aufforderungen gekommen sei. Öffentlich aber "traut sich niemand von ihnen zu sprechen", sagt Ateş, "sie haben alle fürchterliche Angst".

Die Landesregierung reagierte nach Angaben eines Sprechers sofort, als sie von den Vorwürfen erfuhr. Die Polizei habe die Staatsanwaltschaft Düsseldorf um eine Würdigung gebeten, ob sie Anlass für die Aufnahme von Ermittlungen sieht, Ergebnis noch offen. Schul-Staatssekretär Ludwig Hecke (Grüne) forderte die Generalkonsulate zu einer Stellungnahme auf. Träfen die Vorwürfe zu, wäre das für die Landesregierung "inakzeptabel", sagte ein Sprecher des Schulministeriums. Im Düsseldorfer Generalkonsulat wollte man die Sache auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung nicht kommentieren.

Allerdings gibt es auch Teilnehmer, die mit einem völlig anderen Eindruck aus den Konsulatsgesprächen gingen. Was die GEW behaupte, sei "totaler Unsinn", sagt Ali Sak. Der Vorsitzende der Föderation türkischer Elternvereine in Deutschland war bei dem dreieinhalbstündigen Treffen in Düsseldorf und auch kurz bei einem in Essen dabei. Es sei dabei unter anderem tatsächlich um Beschwerden türkischer Eltern gegangen, die sich aus Ärger darüber an die Konsulate gewandt hätten, dass Lehrer im Unterricht die Armenien-Massaker von 1917 als Völkermord bezeichneten - und angeblich Erdoğan mit Hitler verglichen wurde.

"Nicht erwünscht"

Die nordrhein-westfälische Landesregierung setzt sich dafür ein, einen möglichen Wahlkampfauftritt des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Deutschland zu verhindern. "Es ist Aufgabe des Bundes, dafür zu sorgen, dass solche Auftritte weder in NRW noch irgendwo anders in Deutschland stattfinden", sagte Landesinnenminister Ralf Jäger (SPD) dem Kölner Stadt-Anzeiger. Es gehe um Missbrauch der Meinungsfreiheit. Die Bild-Zeitung hatte am Mittwoch berichtet, Erdoğan plane einen Auftritt in Nordrhein-Westfalen im März. Eine offizielle Bestätigung dafür gibt es allerdings bislang nicht. Auch Grünen-Chef Cem Özdemir sieht Berlin am Zug: "Die Bundesregierung sollte ihm deutlich machen, dass er vor dem Referendum hier nicht erwünscht ist". Die Türken stimmen im April über die Einführung eines Präsidialsystems ab, das Erdoğan mehr Macht geben würde. Auch Türken im Ausland dürfen abstimmen. SZ, dpa

Durchsuchungen beim Islamverband Ditib

Auch über die Gründung einer Kommission, die solche Beschwerden sammeln sollte, sei geredet worden - aber allein darum, um verärgerten Eltern Ansprechpartner in den lokalen Elternvereinen zu geben, die Probleme - wie: "Ayşe fühlt sich wegen ihrer Meinung zu Armenien in der Klasse in die Ecke gedrängt " - im Dialog mit den Schulen bereden könnten. Sak, Vorstandsmitglied in der sozialdemokratisch geprägten Türkischen Gemeinde in Deutschland, ist durchaus kein Erdoğan-Fan, er persönlich halte die derzeitige Politik des türkischen Präsidenten für "gefährlich", sagt er. Aber er sorge sich auch um die Lehrer, "die nun von den eigenen Kollegen als Spione verdächtigt werden".

Erst vor einer Woche hatte die Polizei in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz Wohnungen mehrerer Imame des dem türkischen Staat nahestehenden Islamverbands Ditib durchsucht. Die Geistlichen stehen im Verdacht, auf Anordnung aus Ankara Gegner Erdoğans in Deutschland ausgespäht zu haben. Auf der Liste der insgesamt 33 Bespitzelten finden sich auch fünf Lehrer aus NRW.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: