Spionage des BND:Peinlicher Beifang

Dass der Bundesnachrichtendienst amerikanische Außenminister und wohl auch den Nato-Partner Türkei belauscht hat, bringt die Bundesregierung in Erklärungsnöte. Besondere Ironie der Geschichte: Ausgerechnet die Entdeckung des CIA-Spions beim BND hat diese Informationen an die Öffentlichkeit gebracht.

Von Stefan Braun, Berlin

Vielleicht ist Angela Merkel am Wochenende trotz allem gelassen geblieben. Die Kanzlerin ist ja bekannt dafür, dass sie so schnell nichts aus der Bahn wirft. Um sie herum dagegen haben die jüngsten Berichte über die Aktivitäten des Bundesnachrichtendienstes BND starke Emotionen ausgelöst: Ärger auf der einen und Sorge auf der anderen Seite.

Der Grund ist einfach: Dass der BND Gespräche amerikanischer Außenminister abgehört hat, untergräbt die eigenen Klagen über die Praktiken der US-Geheimdienste. Und wenn der BND seit Jahren und zielgerichtet den Nato-Partner Türkei abgehört und ausspioniert haben sollte, dann gefährdet das die Zusammenarbeit ausgerechnet in einem Moment, in dem die Bundesregierung erstmals darüber nachdenkt, auch mit Waffenlieferungen Einfluss auf die Entwicklungen im Irak zu nehmen. "Viel blöder kann es nicht laufen", klagte am Sonntag ein hochrangiges Regierungsmitglied im Gespräch mit der SZ.

Nun zeigt sich in voller Deutlichkeit, wie blöd es ist, wenn man in den eigenen Reihen einen Spion hat. Denn als vor einigen Wochen der Fall eines BND-Mitarbeiters bekannt wurde, der gut 200 Dokumente an die US-Geheimdienste verkauft hatte, versuchten sich viele mit dem Fall Betraute mit einer Hoffnung zu beruhigen: dass 200 Dokumente, wenn es gut liefe, so viel nicht verraten und also so schlimm nicht sein könnten

Türken in Deutschland

Die Türkei ist zwar ein Partner Deutschlands - trotzdem soll der BND das Land ausspioniert haben.

(Foto: Friso Gentsch/dpa)

Inzwischen ist klar, dass diese 200 Dokumente ausreichen, um Berlin massiven Ärger zu bereiten. So erfuhren die Amerikaner ausgerechnet aus diesen Papieren, dass der BND in den letzten Jahren immer wieder auch US-Politiker belauscht hat, darunter US-Außenminister John Kerry und seine Vorgängerin Hillary Clinton.

Kein Wunder, dass Kerry und Barack Obamas Stabschef Denis McDonough diese Infos schon genutzt haben, um ihre Kollegen in Berlin ein klein wenig zu piesacken mit der Bitte, die Bundesregierung möge im Konflikt um die NSA-Praktiken nicht mehr ganz so laut auftreten. Es dürfte ihr schon wehtun, wenn nun öffentlich der Eindruck entstehen könnte, dass der deutsche Geheimdienst kein Deut besser sei als sein Pendant aus den Vereinigten Staaten. Und Merkels lange hinausgezögertes und dann doch formuliertes Credo "Ausspähen unter Freunden - das geht gar nicht" könnte sehr schnell an moralischer Strahlkraft verlieren.

Die Regierung spricht von "Beifang"

Umso verständlicher ist es deshalb, dass die Regierung am Wochenende sehr darum bemüht war, diesem Anschein entgegenzutreten. Es handele sich "nicht um einen gezielten Lauschangriff", hieß es. Die Mitschnitte seien als sogenannter Beifang aufgezeichnet worden. Dahinter steht die Praxis des BND, in Krisenregionen wie Afghanistan oder Nordafrika jegliche Kommunikation aufzuzeichnen, die er abfängt. Stellte sich heraus, dass es sich um Politiker befreundeter Nationen handelt, wurden die Gespräche früher abgeschrieben, dann dem BND-Präsidenten vorgelegt und der ließ sie anschließend vernichten.

Noch in die Amtszeit der früheren schwarz-gelben Regierung fällt zudem der Beschluss, dass jedweder solcher Beifang nicht einmal mehr abgetippt, sondern sofort gelöscht wird. Dies hatte der damalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla unter dem Eindruck der NSA-Affäre so entschieden.

Die Opposition nutzt die Veröffentlichungen trotzdem zur Attacke auf die Regierung. Grünen-Parteichefin Simone Peter sagte der Welt am Sonntag, es sei unfassbar, erst jetzt zu erfahren, "dass auch unsere eigenen Nachrichtendienste aktives Ausspähen verbündeter Staaten betreiben". Der Kampf um die Interpretation ist also längst im Gange.

Mehr als eine Bredouille

Nicht nur um Interpretationen, sondern womöglich um Geheimnisverrat geht es bei der Frage, ob der BND, wie ebenfalls berichtet, seit Jahren den Nato-Partner Türkei absichtlich ausspäht. Aus Sicherheitskreisen hieß es dazu am Sonntag hörbar verärgert, entsprechende Berichte könne schon rein rechtlich niemand aus der Regierung dementieren oder bestätigen, weil er sich sonst sofort strafbar mache.

Aktuelles Lexikon: Beifang

In den alten, analogen Zeiten gehörte zu den wichtigsten Aufgaben des Netzes der Fischfang. Dabei konnten die Fischernetze mehr oder minder engmaschig geknüpft sein, es gerieten aber immer wieder Meerestiere und Seevögel in sie hinein, die nicht das eigentliche Fangziel waren. Darum gibt es das Wort Beifang, es bezeichnet laut Grimm'schem Wörterbuch den "unbeabsichtigten, zufälligen" Fang. Oft wird er als Abfall über Bord geworfen, darum ist die Quellenbasis für eine Geschichte des Beifangs überaus löchrig. Es gibt zum Beispiel keine exakte Religionsgeschichte des Beifangs, der sich in den Netzen der Menschenfischer um den heiligen Petrus verfing. Seit "Tausendundeiner Nacht" gibt es in den Märchen und Balladen aber auch die Kostbarkeiten unter den zufälligen Funden. Das ist beim Massendatenfang im digitalen Netz nicht anders. Wenn jetzt das vom BND abgehörte Telefonat, das die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton beim Überfliegen einer Krisenregion führte, sogleich als "Beifang" bezeichnet wurde, sollte die alte Netzmetapher betonen, dies sei ganz Grimm-konform "unbeabsichtigt und zufällig" geschehen. Nur wurde der Beifang eben nicht sogleich wieder über Bord geworfen. Er muss irgendwie geblinkt haben wie ein kostbarer Ring. In den Märchen fanden sich Kostbarkeiten oft im Innern von Fischen. Sie blinkten nur, wenn man die Fische öffnete. Lothar Müller

Das allerdings ist nicht die einzige Bredouille, in die die Berichte die Regierung bringen. Denn einerseits ist die Türkei als Transitland für Dschihadisten, die in Syrien oder im Irak in den Krieg ziehen, natürlich ein Ort, an dem der BND die Lage eigentlich im Auge haben muss. Zum anderen aber ist das Verhältnis zur Türkei gerade jetzt besonders heikel, da die Regierung erstmals erwägt, den Kurden Waffen zu liefern, um sie im Kampf gegen die Terror-Milizen des Islamischen Staats zu unterstützen.

Es ist schon eine besondere Ironie: Als die Bundesregierung vor Wochen den BND-Spion entdeckte, empfand sie das bei allem Zorn auch als Erfolg. Trotzdem bereitet ihr der Mann weiter nur Ärger. Nicht wenige in der Regierung jedenfalls glauben, dass die neuen Informationen ausgerechnet aus den Ermittlungen gegen den Spion an die Öffentlichkeit gelangten.

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