Süddeutsche Zeitung

Spenden:Wohltaten mit Haken

Superreiche wie Facebook-Gründer Mark Zuckerberg spenden Milliarden für wohltätige Projekte. Das ist gut. Doch private Philanthropen können den Staat nicht ersetzen.

Von Andrian Kreye

Sollte der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg sein Versprechen wahr machen und 99 Prozent seines zweistelligen Milliardenvermögens in wohltätige Projekte investieren, so stünde er in einer langen Tradition. Den Grundlagentext der amerikanischen Philanthropie "The Gospel of Wealth" (Das Evangelium des Reichtums) veröffentlichte der Stahlmagnat Andrew Carnegie schon 1889. Darin beschrieb er "den Millionär" (der heute zumeist ein Milliardär ist) als "Treuhänder der Armen", der seinen Reichtum der Gesellschaft schuldet: "Wer reich stirbt, der stirbt entehrt."

Carnegie stiftete 90 Prozent seines Vermögens und baute nicht nur die legendäre Konzerthalle in New York, sondern errichtete eine Universität und mehr als 2500 Bibliotheken in aller Welt. Was Zuckerberg nun in dem öffentlichen Brief skizziert, den er und seine Frau ihrer neugeborenen Tochter schrieben, schließt daran an. Es ist sogar visionär: Gesundheit und Bildung von Kindern sollen mit einem Netzwerk aus Institutionen, Experten und Fonds gefördert werden.

Was Carnegie, Zuckerberg und andere Superreiche, die ihr Vermögen verschenken, aber auch verbindet, ist ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber der traditionellen Wohlfahrt des Staates und der karitativen Einrichtungen. Sie halten beide für uneffektiv. Deswegen gibt es vor allem in Amerika die sogenannte Risikowohlfahrt. Die funktioniert nicht nach den Prinzipien der Nächstenliebe oder der moralischen Verpflichtung, sondern nach den Gesetzen der Wall Street. Geld, das investiert wird, soll ein Maximum an Ergebnis bringen.

Erste Erfolge geben den Risikowohltätern recht. Weltweit sinkt die Kindersterblichkeit, die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, wurde mehr als halbiert, und der berühmte Milliardenspender Bill Gates hat dazu beigetragen, dass die Ebola-Seuche überwunden und Malaria wirksam bekämpft wurden.

Gates war auch Initiator des "Giving Pledge", des Spendengelübdes von inzwischen 138 Milliardären, einen Großteil ihres Vermögens zu verschenken, das auch Zuckerberg unterzeichnete. Argumente gegen Hilfe, die nicht von Moral und Emotionen gesteuert ist, gibt es eigentlich keine.

Private Philanthropen können staatliche Hilfe nicht ersetzen

Viele könnten davon lernen. Die Kehrseite ist allerdings das erwähnte Misstrauen gegen den Staat. Das wurzelt tief in der Geschichte Amerikas, in der die Freiheit des Einzelnen philosophisch immer wertvoller war als die Interessen der Gemeinschaft. Und nirgends ist diese libertäre Weltsicht verbreiteter als im Silicon Valley, das derzeit auch stärkster Motor der Philanthropie ist.

Das politische Problem der privaten Risikophilanthropie ist deswegen eher ein grundsätzliches: Es gibt keine Kontrolle über Ziele, Mittel und Methoden. Geht es um Gesundheit und Bildung von Kindern, fällt Kritik zwar schwer. Betrachtet man allerdings zwei andere vermeintlich wohltätige Projekte aus dem Silicon Valley, gibt es berechtigte Zweifel.

Da ist zum einen das Projekt Internet.org, durch das jene zwei Drittel der Menschheit, die derzeit kein Internet haben, gratis ans Netz angeschlossen werden sollen. Der Haken: Sie werden nur über Facebook ins Netz kommen. Das andere ist die Initiative für die Einwanderungsreform, mit der sich einige Digitalgiganten, darunter Zuckerberg und Gates, so sympathisch gegen den rassistischen Isolationismus von Politikern wie Donald Trump positionieren. Dennoch geht es dabei vor allem darum, den Arbeitsmarkt zu globalisieren.

Nun ist auch staatliche Hilfe nicht nur von Menschenliebe getrieben. Die Radikalität, mit der die Entwicklungsbehörde USAid in manchen Ländern die Wirtschaft nach amerikanischen Interessen ausrichtet, ist legendär. Auch deutsche Hilfe dient deutschen Interessen.

Das Misstrauen gegen den Staat geht im Silicon Valley aber noch sehr viel weiter. In Europa beispielsweise entzieht sich Facebook konsequent der gesellschaftlichen Verantwortung des Steuerzahlens. 2014 belief sich Facebooks Firmensteuer in Großbritannien auf 4327 Pfund, in Deutschland im Jahr zuvor auf 220 000 Euro, und im Steuerparadies Irland, wo der Konzern sein europäisches Hauptquartier unterhält, bezahlte Facebook für 1,8 Milliarden Euro Umsatz nur 1,9 Millionen Euro Steuern.

Selbst wenn es keine moralischen oder praktischen Argumente gegen die Vernunft der Risikophilanthropie gibt, so ist sie doch ein weiterer Schritt in eine politische Parallelwelt ohne Kontrollmechanismen. Man mag sie feiern, lieben oder von ihr profitieren. Ein Ersatz für den Staat kann sie nicht sein. Das Internet, auf dem diese Parallelwelt basiert, ist übrigens eine Erfindung der US-Regierung.

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SZ vom 03.12.2015
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