Süddeutsche Zeitung

Spekulationen über Neuwahlen im Bund:SPD - Spar Partei Deutschlands

Schwarz-Gelb taumelt am Abgrund: Für die Sozialdemokraten ist die derzeitige Lage komfortabel. Die Forderungen namhafter SPD-Politiker nach Neuwahlen sind dennoch übermütig. Denn Gabriel und den Seinen könnte der Wunschpartner abhanden kommen und für soziale Wohltaten ist kein Geld da. Deshalb hat die SPD guten Grund, der Merkel-Regierung dankbar zu sein für jeden weiteren Tag, den sie im Amt bleibt.

Susanne Höll

Man kann es den Sozialdemokraten nicht verdenken, wenn sie sich dieser Tage freuen. Die schwarz-gelbe Koalition taumelt am politischen Abgrund, niemand weiß mit Sicherheit zu sagen, ob die Bundesregierung bis 2013 durchhalten wird. Das schwer ramponierte Ansehen der SPD hat sich in den vergangenen Monaten etwas verbessert, viele Deutsche trauen Peer Steinbrück oder Frank-Walter Steinmeier zu, das Land genauso gut zu führen wie Angela Merkel. Von beiden zusammen glaubt man sogar, dass sie es besser könnten als die Kanzlerin. Für eine Partei, die sich vor nicht einmal zwei Jahren ernsthafte Sorgen um ihr Überleben als Volkspartei machen musste, ist die gegenwärtige Lage wahrlich komfortabel.

Anlass zu Übermut gibt es dennoch nicht. Die täglichen Forderungen namhafter SPD-Politiker nach baldigen Neuwahlen sind übermütig. Und albern sind sie auch. Denn die SPD insgesamt, ihre Mitglieder und ihre Wählerschaft sind längst noch nicht auf eine Bundestagswahl vorbereitet, geschweige denn auf eine neuerliche Regierungsbeteiligung.

Das liegt nicht an der offenen Kanzlerkandidatenfrage. Für den gegenwärtig unwahrscheinlichen Fall, dass Schwarz-Gelb alsbald zerbricht, wird der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel eine schnelle Antwort geben können. Er würde wohl Steinbrück vorschlagen und dann höchstpersönlich dafür Sorge tragen müssen, dass die innerparteilichen Kritiker des Ex-Finanzministers einigermaßen solidarisch sind. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit wird auch keinen großen personalpolitischen Wirbel mehr verursachen. Das Ergebnis seiner Berliner SPD war am Sonntag allenfalls medioker. Wichtiger noch: Zu der großen Frage dieser Zeit, nämlich zur internationalen Finanzkrise, hat er nur Unwesentliches zu sagen.

Gewaltige Missverständnisse

Nein, die wahren Probleme der SPD auf dem Weg zu Neuwahlen sind inhaltlicher und strategischer Natur. Welche zentrale Botschaft hat die SPD für die Wähler? Und wer, bitteschön, würde ihr Partner in einer neuen Bundesregierung sein? Beide Fragen harren noch einer ehrlichen Antwort. Gabriel und die Seinen müssen dabei zumindest zwei gewaltige Missverständnisse ausräumen.

Das eine Missverständnis betrifft den Kurs einer SPD-geführten Bundesregierung. Viele Funktionäre, Mitglieder, vielleicht auch Anhänger jubeln über das neue Finanzkonzept der Führung, in dem bekanntlich Steuererhöhungen für Gut- und Spitzenverdiener angekündigt werden. Der linke Flügel der Partei sieht darin sogar einen Erfolg über die konservativen, traditionell wirtschaftsfreundlicheren Sozialdemokraten.

Wer tatsächlich glauben sollte, dass die SPD nun nach links abbiegt, irrt gewaltig. Und er verkennt die wahre Botschaft, die in dem Konzept steckt. Die nämlich lautet: Es wird beinhart gespart, Schulden werden getilgt, mehr Geld gibt es allenfalls für Bildung und notleidende Kommunen. Von mehr Steuermitteln für die Rente, Hartz-Empfänger oder arme Kinder ist ausdrücklich nicht die Rede. In einer Partei, deren Kernanliegen seit jeher die soziale Gerechtigkeit ist, wird diese Erkenntnis noch für gehörige Aufregung sorgen, so sie denn überhaupt verstanden wird.

Die bitteren Erfahrungen mit der Agenda 2010 sollten die SPD gelehrt haben, dass man der eigenen Partei - und den Wählern - unangenehme Wahrheiten früh und klar vermittelt, am besten schon dann, wenn man noch in der Opposition ist. Denn auf der Regierungsbank hat man genug andere Dinge zu tun, insbesondere, wenn man in Zeiten schwerer Finanzkrisen ein Land führen, die Währung retten und den Bürgern womöglich erklären muss, warum Abermilliarden Euro nach Italien fließen, wenn daheim bei allem und jedem gespart wird. Gemessen an dem, was auf die nächste Bundesregierung zukommt, dürfte der Streit um die Hartz-Gesetze Gerhard Schröders ein Frühlingswind gewesen sein.

Rot-Grün? - nicht unbedingt

Und es ist gut möglich, dass auf dieser Regierungsbank neben Sozialdemokraten auch wieder Unionspolitiker sitzen. Im Glauben, das müssten unbedingt die Grünen sein, liegt das zweite große Missverständnis. Stimmt, die Partei ist der erklärte Wunschpartner - zumindest in der Kellner-Variante. Gut möglich aber, dass die nächste Bundestagswahl die Sozialdemokraten als Juniorpartner in eine neue große Koalition zwingt. Sei es, weil es für Rot-Grün nicht reicht. Die Piraten dürften auch im Bund am Stimmenreservoir der Grünen nagen. Und die Linkspartei bekommt wieder mehr Zulauf, wenn ein Kandidat wie Steinbrück mit einem Austeritätsprogramm in den Wahlkampf zieht. Staatstragend wie sie ist, wird sich die SPD-Führung dem nicht verweigern. Das aber muss sie ihren Mitgliedern erklären, von denen manche für einen solchen Fall mit einem rot-rot-grünen Bündnis liebäugeln.

Die Heilige Teresa von Avila, eine kluge Frau und Schutzpatronin der Schachspieler, urteilte einst, dass mehr Tränen über erhörte Gebete fließen als über solche, die ungehört blieben. Das gilt nicht nur für Gebete, es gilt auch für Wünsche, Forderungen und politische Spielereien. Die SPD jedenfalls hat derzeit noch guten Grund, der Merkel-Regierung dankbar zu sein für jeden weiteren Tag, den sie im Amt bleibt.

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SZ vom 21.09.2011/olkl/hai
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