SPD:Zurück zur Pragmatik

Die wohl künftigen SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans rücken von ihrer Maximalforderung ab, die große Koalition zu beenden. Das ist vernünftig und zeigt: Parteien brauchen keine Angst vor einer Befragung ihrer Mitglieder zu haben.

Von Xaver Bitz

Wenn 114 995 von 82,8 Millionen Bürgern über die Zukunft der Bundesregierung entscheiden, kann etwas nicht stimmen. So viele SPD-Mitglieder haben für eine künftige Parteispitze aus Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans votiert. Dass die beiden von ihrer Maximalforderung - dem vorzeitigen Ende der großen Koalition - nun Abstand nehmen, liegt vor allem an der SPD-Fraktion. Aber auch an Esken und Walter-Borjans selbst, die sich in der Koalitionsfrage von ihrem großen Unterstützer, dem Juso-Chef Kevin Kühnert, zu emanzipieren scheinen. Durch die Umsetzung von Ausstiegs- oder Neuverhandlungsfantasien würde die SPD ohne Not Regierungsmacht aus den Händen geben. Ein Austritt aus der Koalition wäre zudem unfair gegenüber vielen SPD-Mitgliedern und den Wählern, die der Partei bei der vergangenen Bundestagswahl ihre Stimme gegeben haben.

Die Sozialdemokratie hat es sich in den vergangenen Jahren nicht immer leicht gemacht. Wechselnde Vorsitzende, ein andauernder Gewissenskampf mit der Agenda 2010 und nun zweieinhalb Legislaturperioden in einer großen Koalition seit dem Ende der bislang letzten SPD-geführten Bundesregierung. Die Partei steht in Umfragen schlecht da wie selten und macht den Eindruck, der Implosion näher zu sein als einem positiven Ausbruch.

Dabei hat die Parteispitze vor dem Eintritt in die aktuelle große Koalition einiges richtig gemacht. So befragten ihre Verhandler erst einmal die Genossen, ob diese die Koalition wollten. Das war ein basisdemokratisches Vorgehen, wie es sich Mitglieder anderen Parteien vielleicht auch wünschen würden, etwa FDP-Mitglieder, die ja nicht gefragt wurden, als die Partei nach der Bundestagswahl eine Jamaika-Koalition ablehnte.

Die Beteiligung beim SPD-Mitgliedervotum vor eineinhalb Jahren war mit 78,4 Prozent deutlich höher als bei der diesjährigen Frage nach dem Spitzenduo (54,1). Noch deutlicher sieht es bei der Zustimmung aus: 239 933 Genossen sprachen sich für den Koalitionsvertrag aus, weniger als halb so viele haben nun Esken und Walter-Borjans ihre Stimme gegeben. Zum ersten Gradmesser wird für das neue Führungsduo der SPD-Parteitag: Die Delegierten sollen die beiden offiziell wählen. Ein deutliches Votum würde die Position Eskens und Walter-Borjans' hinsichtlich der großen Koalition stärken. Werden die beiden dagegen nur von einer knappen Mehrheit gewählt, müssen sie mit weniger offensiven Forderungen in die Gespräche mit der Union gehen.

Mit der Abkehr von ihrer Maximalforderung zeigen Esken und Walter-Borjans, dass sie nicht vorhaben, die Partei strikt von oben nach unten zu regieren. Sie respektieren das eineinhalb Jahre alte Votum der Genossen sowie die Meinung der Bundestagsfraktion und nehmen zugleich Druck aus der Regierung, der sich in den Tagen seit ihrer Wahl von Seiten der Union aufgestaut hat. Zugleich machen sie aber klar, dass die Bundesregierung ihre Ziele der Zeit anpassen sollte. In Zeiten schwindender Umfrageergebnisse ist dies sowohl nach innen als auch nach außen ein kluger Zug.

Der Fall zeigt auch, dass eine Partei wie die SPD keine Angst vor einer Mitgliederbefragung haben sollte, im Gegenteil: Wer die Basis - und nicht nur Delegierte auf einem Parteitag - über richtungsweisende Entscheidungen abstimmen lässt, kann damit den Zusammenhalt zwischen den Rändern stärken.

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