SPD:Zur Rettung verdammt

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Bei der SPD geht es um ihr Überleben als Volkspartei. Altgedienten wird die Neuordnung nicht zugetraut. Steinmeier greift nicht nach der ganzen Macht in der Partei - Gabriel soll SPD-Chef werden.

Susanne Höll, Berlin

Aus seinem Ehrgeiz hat Sigmar Gabriel nie ein Hehl gemacht. Chef der SPD-Bundestagsfraktion wäre er gern geworden, schon im vergangenen Jahr. Damals überlegte der nun ausgeschiedene Fraktionsvorsitzende Peter Struck, sein Amt schon vor der Wahl aufzugeben, aus Gesundheitsgründen und weil er keinen wirklichen Spaß mehr an der Berliner Politik hatte. Struck soll damals mit dem Umweltminister gesprochen haben, der sich, so jedenfalls war damals zu hören, den Führungsposten zugetraut und nur zu gern zugegriffen hätte.

Frank-Walter Steinmeier ist bereits zum Fraktionschef gewählt, Sigmar Gabriel könnte im November zum Nachfolger Franz Münteferings gewählt werden und künftig die Geschicke der Partei als Vorsitzender lenken. (Foto: Foto: dpa)

Doch daraus wurde nichts. Struck überlegte sich die Sache anders, angeblich hegte man in der SPD auch Zweifel, ob die Fraktionskollegen Gabriel damals tatsächlich zu ihrem Vorsitzenden gewählt hätten. Denn er ist zwar einer der bekanntesten und rhetorisch begabtesten Sozialdemokraten, ein guter, manchmal auch sehr guter Redner, einer derjenigen, die man in der SPD eine "Rampensau" nennt, in seinen guten Tagen ein bisschen so wie Altkanzler Gerhard Schröder.

An seinen weniger guten Tagen allerdings macht er sich seine Mitgenossen - und nicht nur die - zu Gegnern: Den einen ist er zu unstet, anderen zu laut, manche nennen ihn egomanisch, prinzipienlos, unzuverlässig, keine feste Bank eben. Deswegen scheiterte auch 2007 sein Versuch, nach dem SPD-Parteitag in das Präsidium zu kommen, mithin in die engste Führungsspitze. Die Parteilinken stellten sich ihm in den Weg. Und Gabriel behauptete seitdem immer wieder, die Leute vom linken Flügel würden ihn massakrieren, wenn die SPD je wieder in die Opposition kommen sollte.

Nun ist die SPD mit einem katastrophalen Ergebnis in der Opposition gelandet. Und ausgerechnet Gabriel soll Parteivorsitzender werden, mit Zustimmung des linken Flügels, den Andrea Nahles in der Spitze verkörpert. Letzteres ist insofern besonders interessant, als Nahles und Gabriel trotz mancher Vermittlungsversuche Dritter über Jahre hinweg kaum ein Wort miteinander gewechselt haben. Wenn man so will, ist dies ein sozialdemokratisches Mirakel, das der großen Not des schlechten Wahlergebnisses entstammt.

Denn spätestens seit Sonntag ist die Partei praktisch führungslos, ohne eine klare Autorität. Müntefering, der sich als Vorsitzender zu Recht Vorwürfe über die miserable Lage der SPD anhören muss und die Pfeile der Kritiker inzwischen auch ganz bewusst auf sich zieht, gilt allenfalls noch als ein Mann des Übergangs. Ex-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier macht bislang auf zahlreiche SPD-Politiker nicht den Eindruck, dass er sich als neuen, starken Mann der Partei sieht. In den stundenlangen Sitzungen der Gremien am Montag habe er wenig geredet, erzählen Teilnehmer.

Ansonsten gab und gibt es in der Partei nur noch vier Leute, denen man zutraut, in den nächsten zehn Jahren eine bedeutsame Rolle zu spielen und die Partei aus der Opposition zurück in die Regierung zu führen. Das sind der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit, die Vize-Parteichefin Andrea Nahles, Noch-Arbeitsminister Olaf Scholz - und eben Gabriel. Wowereit verspürt, so lautet die allgemeine Einschätzung, derzeit keine Lust auf den Parteivorsitz.

Nahles hat sich, durchaus realistisch, ausgerechnet, dass eine Kandidatur für das Spitzenamt für sie zu früh käme, sie hat zwar breite Unterstützung, insbesondere vom linken Flügel, aber auch viele Gegner in der SPD. Mit ihren 39 Jahren kann sie sich noch Zeit lassen, Erfahrungen sammeln und versuchen, ihre Kritiker für sich zu gewinnen. Scholz, der als SPD-Generalsekretär glücklos blieb, wäre als Parteivorsitzender kaum durchzusetzen gewesen.

Steinmeier wollte nicht

Seit Freitag führten die vier immer wieder Gespräche, in kleinen und in kleinsten Kreisen, redeten mit Landespolitikern und ihren Vertrauten. Am späten Montagnachmittag erzielten sie ein Einverständnis: Gabriel soll Vorsitzender werden, Nahles Generalsekretärin, Scholz, Wowereit und die nordrhein-westfälische Spitzenfrau Hannelore Kraft die neuen Stellvertreter.

Es hätte nur einen Mann geben können, der diesen Plan durchkreuzt - und der heißt Steinmeier. Anders als Franz Müntefering wurde ihm die Wahlschlappe nicht zum Vorwurf gemacht, jedenfalls noch nicht. Hätte er denn wirklich gewollt, dann hätte Steinmeier sich auf dem Parteitag in Dresden im November zur Wahl stellen können. Aber er wollte nicht. Oder wusste zu lange nicht, ob er wollen sollte.

Steinmeier hatte namhafte Fürsprecher: Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck und auch der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck plädierten dafür, beide Führungsämter in eine Hand zu geben. Müntefering und sein Noch-Stellvertreter und Noch-Finanzminister Peer Steinbrück hatten, so heißt es in Führungskreisen, zusammen mit Steinmeier bereits ein Tableau erarbeitet, wie es denn gehen könnte. Nahles, Gabriel, Scholz, Wowereit und Kraft waren darin als Stellvertreter vorgesehen.

Bittere Debatten

Gesprochen hat man mit diesen Genannten aber offenkundig nicht. Drei jedenfalls erklären, sie hätten von diesem Plan keine Ahnung. Vertraute, die Steinmeier in diesen Tagen immer wieder drängten, neben dem Fraktionsvorsitz auch den Parteivorsitz zu übernehmen, weil er nur dann der wirkliche Oppositionschef wäre, sie kehrten meist ratlos zurück mit dem Eindruck: "Es scheint nicht so, als wolle er es machen."

Nachgedacht hat Steinmeier sehr wohl über einen solchen Schritt. Und dabei auch über die Widrigkeiten. Seine alleinige Machtübernahme hätte zu neuen, bitteren Debatten über die Zukunft der SPD führen können. Denn zahlreiche Landesverbände, die in der SPD wichtige Funktionärsschicht, fordern, dass nach dem Debakel mehrere neue Leute in die Führung kommen.

Auch wird die SPD alsbald neu über Hartz IV, die Rente mit 67 sowie den Afghanistan-Einsatz diskutieren, also über die Themen, die inzwischen von vielen für die Wahlniederlage verantwortlich gemacht werden. Als Parteivorsitzender hätte Steinmeier womöglich Korrekturen an genau eben jenen Projekten betreiben müssen, für die er maßgeblich verantwortlich ist. Mit ihm sei das nicht zu machen, ließ er am Montag im Präsidium wissen. Was das für den Fraktionsvorsitzenden Steinmeier heißt, wird er zu gegebener Zeit entscheiden müssen.

© SZ vom 30.09.2009/holz/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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