SPD will ALG-Regeln ändern:Wider das Abrutschen ins Hartz-IV-System

Das Risiko, als Arbeitsloser sofort ein Hartz-IV-Fall zu werden, steigt. Nach dem Willen von Rot-Grün sollen daher auch Kurzzeit-Beschäftigten künftig Anspruch auf Arbeitslosengeld I haben. Für das Bundesarbeitsministerium ist das Thema allerdings "derzeit nicht Gegenstand von Regierungshandeln".

Thomas Öchsner

SPD und Grüne wollen nach einem möglichen Regierungswechsel verhindern, dass immer mehr Arbeitslose sofort ins Hartz-IV-System abrutschen. Auch Kurzzeit-Beschäftigte sollen deshalb nach den Plänen der beiden Oppositionsparteien künftig Anspruch auf Arbeitslosengeld (ALG) I haben, das in der Regel höher als das ALG II (Hartz IV) ist. Entsprechende Anträge wollen SPD und Grüne in dieser Woche im Bundestag einreichen. Union und FDP dürften den Vorstoß mit ihrer Mehrheit im Parlament ablehnen. Das Thema sei "derzeit nicht Gegenstand von Regierungshandeln", sagte eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums am Wochenende.

Wer innerhalb der vergangenen zwei Jahre vor Verlust seines Arbeitsplatzes mindestens ein Jahr in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, besitzt einen Anspruch auf ALG I. Es wird in der Regel zwölf Monate lang ausgezahlt. Kürzlich bekanntgewordene Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) zeigen allerdings, dass etwa ein Viertel derjenigen, die nach einer regulären Beschäftigung ihren Job verlieren, direkt auf die staatliche Grundsicherung angewiesen sind.

Das Risiko, als Arbeitsloser sofort ein Hartz-IV-Fall zu werden, ist in den vergangenen drei Jahren laut BA deutlich gestiegen. Das liege vor allem daran, dass die vorherige Beschäftigungszeit zu kurz war, um genügend Ansprüche für das ALG I zu erwerben. Es hänge aber auch damit zusammen, dass die Chancen von Arbeitslosen gewachsen seien, zumindest vorübergehend eine bezahlte Arbeit zu finden, heißt es bei der BA. Das allerdings reicht dann oft nicht aus, um die Ansprüche voll zu erwerben.

SPD und Grüne haben nun auf die neuen BA-Zahlen reagiert. Die Sozialdemokraten pochen darauf, dass Arbeitnehmer künftig drei statt nur zwei Jahre Zeit haben, die Voraussetzungen für den Erhalt von ALG I - nämlich zwölf Monate vorherige Einzahlung - zu erfüllen. Die Beschäftigten hätten dann mehr Zeit, die erforderlichen Beitragsmonate zu sammeln. "Es zahlen viele Menschen in die Arbeitslosenversicherung ein, bekommen darauf aber nie selbst Leistungen, weil sie innerhalb von zwei Jahren nicht auf die zwölf Beitragsmonate kommen", sagte der stellvertretende SPD-Fraktionschef Hubertus Heil der Nachrichtenagentur Reuters.

Arbeitgeber warnen vor Fehlanreizen

Der Entwurf des SPD-Antrags sieht außerdem vor, Erwerbslosen das ALG I ohnehin bereits dann zu gewähren, wenn sie nur sechs statt bisher zwölf Monate in die Versicherung eingezahlt haben. Diese Regelung will die Partei aber zunächst auf drei Jahre befristen. Auch muss die Fraktionsspitze dem Entwurf noch zustimmen. Mit ihren Vorschlägen würde die SPD Änderungen der früheren rot-grünen Regierung rückgängig machen. Der Bremer Ökonom Rudolf Hickel sagte dazu der Nachrichtenagentur Dapd: "Die SPD gesteht mit diesem Vorschlag die Fehlentwicklungen ein, die durch die Agenda 2010 von Gerhard Schröder ausgelöst wurden."

Auch die Grünen wollen nachbessern. Sie sprechen sich dafür aus, dass durch vier Monate Arbeit ein Anspruch auf zwei Monate ALG I entsteht. Die Rahmenfrist von zwei Jahren bleibt unverändert. "Wir tragen damit den Veränderungen am Arbeitsmarkt Rechnung", sagte die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen, Brigitte Pothmer. Als Beispiel nannte sie die Zunahme der befristeten Jobs. Es gebe eine "Gerechtigkeitslücke". Viele zahlten in die Versicherung ein, ohne etwas herauszubekommen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) bewertete die Anträge der Opposition positiv. Die Angst, in Hartz IV abzusteigen, "wirkt bis tief in die Mitte der Gesellschaft", sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Die Vorschläge von SPD und Grünen seien "ein erster wirksamer Schritt zum besseren Schutz der Arbeitnehmer - je schneller, desto besser". Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände lehnt lockerere Zugangsregeln für das ALG I dagegen ab. Sie warnt vor Fehlanreizen, "die Arbeitslose vom Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt abhalten".

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