Wehrpflicht„Wir müssen wegkommen von Papiertiger-Diskussionen“

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Als die Bundeswehr noch 130 000 Wehrpflichtige hatte: Junge Rekruten beim Gelöbnis 1999 in Frankfurt (Oder).
Als die Bundeswehr noch 130 000 Wehrpflichtige hatte: Junge Rekruten beim Gelöbnis 1999 in Frankfurt (Oder). (Foto: Martin Schutt/dpa)

Die SPD will trotz des Mehrbedarfs an 60 000 Soldaten über eine Rückkehr zur Wehrpflicht nicht einmal reden – doch ein Umdenken wird in ihren Reihen angemahnt. Auch der ranghöchste deutsche Nato-General erhebt Widerspruch.

Von Georg Ismar, Berlin

Hans-Peter Bartels wundert sich in diesen Tagen ein wenig über seine eigene Partei. „Die SPD ist eigentlich immer eine Wehrpflicht-freundliche Partei gewesen“, meint der frühere Wehrbeauftragte. Nachdem nun auch Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) eingeräumt hat, dass die Bundeswehr wegen neuer Nato-Anforderungen bis zu 60 000 Soldaten mehr braucht, zudem auch die Reserve überaltert und zu klein ist, stellt sich die Frage, ob die Pläne von Union und SPD im Koalitionsvertrag noch zeitgemäß sind.

Zumal westliche Geheimdienste warnen, dass Russland schon bald die Nato noch konkreter testen könnte als bisher schon. Der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Matthias Miersch, hat nun jedoch mehrfach erklärt, dass es über eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht noch nicht einmal Verhandlungen geben soll; wie im Koalitionsvertrag vereinbart, wolle man zunächst auf Freiwilligkeit setzen. Reiche das nicht, könne man in der kommenden Legislaturperiode, also von 2029 an, womöglich über die Rückkehr der Wehrpflicht verhandeln. „In dieser nicht“, sagte Miersch der Neuen Osnabrücker Zeitung.

In der Bundeswehr ruft diese Position Kopfschütteln hervor. Wegen der Spannungen mit Russland wird gefordert, schon jetzt einen Plan B – die Rückkehr der Wehrpflicht – vorzubereiten, auch durch den rechtzeitigen Aufbau von Ausbildungs- und Unterbringungskapazitäten. In die Debatte schaltet sich nun auch der derzeit noch ranghöchste deutsche Nato-General ein.

„Zu sagen, wir warten erst einmal diese Legislaturperiode ab, das passt nicht zusammen mit der dargestellten Lage“

Christian Badia ist stellvertretender Kommandeur des Nato-Transformations-Kommandos in Norfolk im US-Bundesstaat Virginia, zuständig für die Anpassung der Nato-Planungen an die neue Lage und intensiv mit der Vorbereitung des Nato-Gipfels am 24. und 25. Juni in Den Haag beschäftigt. Im Telefonat mit der SZ erteilt er der Linie von SPD-Fraktionschef Miersch eine deutliche Absage. „Zu sagen, wir warten erst einmal diese Legislaturperiode ab, das passt nicht zusammen mit der dargestellten Lage“, sagt General Badia.

Luftwaffen-General Christian Badia, Deputy Supreme Allied Commander Transformation am Allied Command Transformation im US-Bundesstaat Virginia, spricht sich deutlich für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland aus.
Luftwaffen-General Christian Badia, Deputy Supreme Allied Commander Transformation am Allied Command Transformation im US-Bundesstaat Virginia, spricht sich deutlich für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland aus. (Foto: Dursun Aydemir/picture alliance/Anadolu)

„Wenn wir jetzt vier Jahre abwarten, wären wir viel zu spät, um die Fähigkeitsziele der Nato umzusetzen. Wir haben es in den letzten vier bis sechs Jahren doch schon mit den bisherigen freiwilligen Angeboten nicht geschafft, mehr Personal zu gewinnen.“ Und jetzt kämen noch einmal 30 Prozent an Fähigkeitsforderungen obendrauf. „Wir müssen wegkommen von Papiertiger-Diskussionen über tolle Konzepte und Analysen, wir müssen umsetzen“, fordert Badia.

„Ein erster Schritt wäre für mich eindeutig die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Das muss jetzt schon vorbereitet werden.“ Das zentrale Argument von Miersch, dafür fehlten Kasernen und Ausbilder, lässt er nicht gelten. „Ich versuche immer zu raten: Think outside the box.“ Man könne zum Beispiel auch Investoren suchen, die alte Kasernen reaktivieren und zur Ausbildung betreiben, schlägt Badia vor. Die Bundeswehr würde dann quasi Mieter.

Die Frage nach der Bereitschaft, neue Wege zu beschreiten, treibt auch Hans-Peter Bartels um. Der SPD-Politiker war seinerzeit Berichterstatter in seiner Bundestagsfraktion für die Wehrpflicht, auch der heutige SPD-Chef Lars Klingbeil kritisierte Art und Weise der Aussetzung. Bartels forderte bei der 2011 erfolgten Aussetzung, dass zumindest die Erfassung und Musterung beibehalten wird, um tauglich Gemusterte zu fragen, ob sie für einen Wehrdienst bereit sind. „Dann hätte man schon seither eine größere Zahl an Wehrdienstleistenden gehabt“, sagt Bartels im Gespräch mit der SZ. Denn auch die Reserve wachse nur auf, wenn wieder mehr junge Leute dienten.

Der SPD-Mann Bartels plädiert für eine Zwitterlösung nach dänischem Vorbild

Er plädiert für eine Zwitterlösung. „Wir sollten die Wehrpflicht als Pflicht wieder einsetzen, mit Vorfahrt für Freiwilligkeit.“ Wenn man nicht genug Freiwillige bekomme, könnten wie in Dänemark mit einer Art Losverfahren mögliche Pflichtkandidaten auf einer Liste festgelegt werden. „Wenn 2000 Leute fehlen, zieht die Liste dann zum Beispiel bis zu Platz 2000.“ Derzeit gibt es rund 181 500 Soldaten und 34 000 aktive Reservisten. „Die Daumengröße für die künftige Personalstärke der Bundeswehr sind 250 000 aktive Soldatinnen und Soldaten“, sagt Bartels. Ein Wehrdienst könne zwölf bis 15 Monate dauern. Die medizinische Musterung wäre heute über eine Gesundheitsstatuserhebung beim Hausarzt machbar.

Die Union erhöht derzeit fast täglich den Druck, um jetzt die Debatte zu führen und zu entscheiden. Da heute eigentlich auch Frauen herangezogen werden müssten, hält auch Badia eine allgemeine Dienstpflicht mittelfristig für den besten Weg. „Bei der Bedrohungslage, die wir haben, geht es um die gesamtstaatliche Verteidigung“, betont er. „Die Briten sagen zu Recht: The army wins the battle, the nation wins the war.“ Wenn man das ernst nehme, sei der nächste Schritt nach Wiedereinsetzung der Wehrpflicht für Männer die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht, auch für Frauen. Dabei könnte gewählt werden, ob bei der Bundeswehr, im Zivilschutz oder im sozialen Bereich ein Dienst geleistet würde.

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat immer wieder Anstöße in die Richtung gegeben, auch um durch einen Dienst an der Gesellschaft das demokratische Gemeinwesen zu stärken. Allerdings ist genau bei dem Thema Bartels anderer Meinung. Eine allgemeine Dienstpflicht sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, argumentiert er, aber auch nicht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Mitgliedschaft in der Internationalen Arbeitsorganisation. Auf jeder Veranstaltung gebe es Applaus für die Idee. Aber nicht ohne Grund sei noch nie ein tauglicher Entwurf dazu vorgelegt worden.

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