Süddeutsche Zeitung

SPD:Warum Schulz nie richtig in Berlin angekommen ist

  • Als Präsident des Europäischen Parlaments führte Martin Schulz eine Art große Koalition mit Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Die beiden verband eine Hassliebe.
  • In der Bundespolitik geht es erst um Macht, dann um die Sache. Deswegen behindert Schulz seine europäische Sozialisation als Politiker.
  • Kritiker haben Schulz schon in Brüssel vorgeworfen, er wecke manchmal Erwartungen, die er womöglich nicht erfüllen könne.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Es gibt da eine Begebenheit, die viel erzählt über zwei Männer, die politische Rivalen waren und stets behaupteten, Freunde zu sein. Vor allem erzählt sie aber einiges über Martin Schulz. Es ist der 29. April 2014, die Europawahlen stehen bevor, und erstmals ziehen die europäischen Parteienfamilien mit Spitzenkandidaten ins Rennen. An diesem Morgen sollen sich die beiden aussichtsreichsten Spitzenleute treffen. Geplant ist ein Doppelinterview, sie wollen mit fünf großen europäischen Blättern, darunter der Süddeutschen Zeitung, darüber sprechen, wie sie Europa demokratischer machen können. Doch statt zu reden, legt sich Jean-Claude Juncker erst einmal auf einem Sofa im Brüsseler Pressezentrum Residence Palast aufs Ohr. Denn Martin Schulz kommt nicht.

Schulz und Juncker pflegen eine Zweckbeziehung. Das merkt man an diesem Morgen im April. Martin Schulz lässt Juncker geschlagene zwei Stunden warten. Ach, der Verkehr, heißt es später schulterzuckend. In vertraulicher Runde wird kolportiert, Schulz habe sich von seinem Rivalen im Wahlkampf schlecht behandelt gefühlt und sei sauer gewesen. Schulz kommt, kurz bevor Juncker der Geduldsfaden reißt. Das Interview findet statt. Juncker murmelt lustlos Phrasen vor sich hin. Schulz reagiert schnippisch. So richtig weit her war es mit der Freundschaft also nicht. Das alles erinnert im Nachhinein ein bisschen an das Ende einer politischen Beziehung, die dieser Tage krachend in die Brüche gegangen ist: Schulz' innenpolitische Freundschaft zu Sigmar Gabriel.

Anders als jetzt in Berlin geht es damals halbwegs gut weiter zwischen den sogenannten Freunden. Was auch daran liegt, dass beiden bewusst ist, in Brüssel nur zusammen gegen die Macht der nationalen Hauptstädte ankämpfen zu können. Und daran, dass sich Schulz einen Posten sichern kann. Zwar verliert der damalige Präsident des Europäischen Parlaments und Spitzenkandidat der europäischen Sozialisten gegen Juncker, den früheren Luxemburger Premierminister und Frontmann der europäischen Volksparteien, zu denen auch CDU und CSU gehören. Juncker wird Präsident der Europäischen Kommission, er hätte Schulz gerne als seinen Vizepräsidenten gesehen. Das scheitert aber an Bundeskanzlerin Angela Merkel. Als Teil eines größeren Machttableaus darf Schulz indes für eine zweite Amtszeit Präsident des Parlaments bleiben.

Das ist doch der Juncker, der von Juncker und Schulz

Zusammen führen Juncker und Schulz in Europa so etwas wie eine große Koalition. Juncker bespricht seine Vorhaben mit Schulz. Der organisiert Mehrheiten im Parlament.

Juncker erzählt manchmal in vertraulichen Runden eine Anekdote, bei der man nie genau weiß, ob sie ihn freut oder ärgert. Er sei 2015 zum Jahreswechsel in Süddeutschland in den Bergen unterwegs gewesen, als ihm zwei ältere Damen entgegenkamen, ihn neugierig anstarrten und anschließend tuschelten. Das fand er an sich ganz nett, aber dann hörte er, was die eine zur anderen sagte. Schau mal, flüsterte die eine Dame. Das ist doch der Juncker, der von Juncker und Schulz.

Die Beziehung der beiden endet im Januar 2017, als klar ist, dass der Karlspreisträger Schulz seinen Posten würde räumen müssen für einen Kandidaten der europäischen Volksparteien. Zwar hatte Schulz bis dahin bundespolitische Ambitionen ausgeschlossen und mehrfach betont, "mein Platz ist in Brüssel". Er habe sein gesamtes politisches Leben in Europa investiert und werde weiter versuchen, Europa voranzubringen. Aber dann kann er nicht widerstehen. SPD-Parteichef Sigmar Gabriel trägt ihm die Kanzlerkandidatur an. Und Schulz zieht aus, Bundeskanzler zu werden.

Wer heute mit politischen Weggefährten spricht, der findet Menschen vor, die weniger über die Niederlage in Deutschland überrascht sind als vielmehr darüber, dass Schulz überhaupt glauben konnte, die Bundestagswahl zu gewinnen.

Ihm fehle die Erfahrung in der "politischen Feinarbeit in Deutschland", sagt einer, der selbst einige Jahre in Brüssel gearbeitet hat und später in Berlin ganz unten noch einmal anfing, um Karriere zu machen. Brüssel sei im Vergleich zum "Haifischbecken Berlin" ein geschützter Kosmos. In der europäischen Hauptstadt passiere nichts, ohne dass die nationalen Hauptstädte zustimmten. Auch wenn die Kommission politischer geworden sei und das Parlament mächtiger, werde vor allem über Sachfragen geredet.

Im Berliner Politikbetrieb wird er als Fremder wahrgenommen

Anders ist es in Berlin. Hier geht es erst um die Macht, dann um die Sache. Da nütze ein Netzwerk, wie Schulz es in Brüssel geknüpft hatte, so gut wie nichts. Das Vertraute, die gemeinsam gefochtenen Kämpfe, die Juncker und Schulz in Brüssel zusammengehalten haben, fehlten Schulz in Berlin. Er habe, so heißt es, einfach nicht sehen wollen, dass ein Deutscher mit europäischer Sozialisation im engmaschigen Berliner Politikbetrieb als Fremder wahrgenommen wird.

Europa sei ein Thema, das schmücke. Aber keines, mit dem in Deutschland Wahlen entschieden würden, erzählen sie zudem in Berlin. Man habe noch keinen einzigen Bürger in einem Wahlkreis angetroffen, der schlaflos im Bett liege, weil die Euro-Zone noch keinen Finanzminister habe. Selbst Europa-Fan Peter Altmaier warnte nach Abschluss der Sondierungsgespräche zwischen Union und SPD vor zu viel europäischer Euphorie. "Es ist gut, wenn Europa auch mal an erster Stelle steht. Aber das Kapitel ist schon sehr genau redigiert."

Kritiker, besonders von der politischen Konkurrenz, haben Schulz schon in Brüssel vorgeworfen, er wecke manchmal Erwartungen, die er womöglich nicht erfüllen könne. Als die Regierungen sich weigerten, sich vom Parlament vorschreiben zu lassen, wer Kommissionspräsident werden sollte, polterte Schulz, wer den Wählerwillen missachte, könne "die europäische parlamentarische Demokratie töten". Es ist ein Satz, den er später so ähnlich seiner Konkurrentin Angela Merkel im Bundestagswahlkampf entgegenschleuderte. Damals sagte man in Brüssel, aus Ehrgeiz riskiere Schulz noch größeren Frust der Bürger und einen Clash des Europaparlaments mit den Staats-und Regierungschefs. Er gleiche einem Mann, der mit dem Kopf durch die Wand gehe und dabei Kopf und Wand beschädige.

Als frisch gewählter Parlamentspräsident kündigte Schulz lautstark an, er werde an allen Gipfeln der Staats- und Regierungschefs teilnehmen. Wer das nicht wolle, müsse ihn schon raustragen. Am Ende ging er selbst. Wie jetzt in Berlin.

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SZ vom 10.02.2018/jsa
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