SPD-Wahlkampf:Kandidat mit Joghurt-Logo

Die Nordkurve in der SPD-Zentrale ist das Herz und der Kopf der sozialdemokratischen Wahlkampfmaschine. Dass diese nicht ganz rund läuft, ist bekannt. Jetzt packt ein Insider aus.

Thorsten Denkler, Berlin

Wenn der Wahlkampf der SPD an einer Stelle erfolgreich war, dann am Abend des 13. September. Da traten Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im TV-Duell gegeneinander an. Die Veranstaltung hatte etwas Einschläferndes, aber am Ende hatte Steinmeier viele Nichtwähler und Unentschlossene überzeugt, dass auch er kein übler Kerl ist. Seitdem steigt die SPD erstmals wahrnehmbar in Umfragen.

Kein Plakat, kein Facebook-Profil, keine Twitter-Schlacht hat das möglich gemacht. Nichts von alledem, was in der sogenannten Nordkurve tagtäglich versucht wird, um die Menschen da draußen von der SPD zu überzeugen. Anders gesagt: Seit die Wahlkampfzentrale der SPD ihre Arbeit aufgenommen hat, sind die Genossen weder in den Umfragen nennenswert nach oben geklettert noch konnte sie verhindern, dass sie die Europawahl vergeigt haben. Bis zum TV-Duell.

Einer war dabei in all der Zeit. Ein PR-Mann, der angeheuert hat in der Nordkurve, um Merkel, Schwarz-Gelb, um diese ganze "Bräsigkeit" in der Politik zu verhindern. Er scheint nur kurze Zeit dabei gewesen zu sein. Genaue Angaben macht er nicht.

Dafür rechnet der anonyme Autor in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung Der Freitag auf vier großzügigen Seiten mit seinem Gastspiel in der Nordkurve ab. Auf den ersten Blick ein Enttäuschter, der vieles vor hatte und wenig umsetzen konnte. Ein "Frustrierter", dem jedes politische Gespür gefehlt habe, heißt es aus der SPD-Parteizentrale.

Was der so kurz vor der Wahl an diesem Sonntag zu sagen hat, dürfte seinen Ex-Genossen aus der Nordkurve nicht gefallen. Vieles von dem, was er da schreibt, klingt tatsächlich nach gesteigerter Frustration. Meist klingt heraus, was er alles anders und besser und toller gemacht hätte, wenn man ihn nur gelassen hätte.

Einige Passagen aber bestätigen ein Bild, das auch andere aus dem Willy-Brandt-Haus zeichnen, wenn der Frust sie übermannt. Der anonyme Autor, der den Genossen inzwischen namentlich bekannt sein soll, beschwert sich etwa ausgiebig über "die bürokratisierten Abläufe im Willy-Brandt-Haus": "Vermerke über Vermerke, formalisierte Gespräche, Einschluss und Ausschluss von Besprechungen, Intransparenz, Informationen als Karrierewaffen, die es geheim zu halten gilt, all die vielen Entscheidungsverzögerungen." Das berichten auch andere, die dort arbeiten.

Hauptziel des anonymen Angriffs ist Kajo Wasserhövel, Wahlkampfmanager, Bundesgeschäftsführer und Wahlkreiskandidat für die SPD im Ostberliner Bezirk Treptow-Köpenick: "Wenn die Freigabeprozesse so umständlich und langwierig, wenn die Kommunikation so sperrig und die Zuständigkeiten so unklar bleiben, wird das Hauptproblem ungelöst bleiben: 'Kajo will alles sehen'." Fast mitfühlend schreibt der Anonymus: "Egal, welche 'Faktoren' eine Rolle spielten bei der Europawahl - am Ende ist er es, der versagt hat, und er weiß es."

Wohl deshalb flüchte sich Wasserhövel hinter Schuldzuweisungen an Dritte: Schuld seien "die Medien, die die SPD auf Knien sehen wollen. Der politische Gegner, der die Partei im Staub sehen will. Die Rechten, die Neoliberalen, die Konservativen, die bürgerliche Presse, die Wills und Illners und Springers, die Gesamtheit der ungezogenen Journalisten auf der falschen Seite", so beschreibt der anonyme Autor Wasserhövels Gedankenwelt. "Denn einen Glauben zumindest haben wir hier in der Nordkurve nicht verloren: Wir sind die Guten! Selbstkritik? Dazu ist der Druck zu groß."

Fehler und Seltsamkeiten passieren da reichlich. Etwa bei der Auswahl des Frank-Walter Steinmeier-Logos. Die SPD wollte sich rühmen, dies als erste Partei in einem Crowdsourcing-Verfahren entwickelt zu haben. Über das Internet werden die Nutzer dafür zu einem Wettbewerb aufgerufen. Der von den Nutzern favorisierte Entwurf erinnerte die Parteispitze aber zu stark an SS-Runen der Nazis. Der von der SPD-Führung akzeptierte Entwurf hingegen wurde von der Community als Abklatsch eines Joghurt-Logos verrissen.

Der unbekannte Autor: "Die Nordkurve aber ist glücklich und sieht sich als 'first mover' weil sie als erste große Partei 'Crowdsourcing' eingesetzt hat. [...] Und dann wird der Kanzlerkandidat der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands mit einem Logo 'gebrandet', das an einen Joghurt-Becher erinnert."

Noch schlimmer aus Sicht des PR-Mannes: Nach der desaströs verlorenen Europawahl habe die Partei im Netz einen kompletten Tag geschwiegen. Am Montag "steht nicht mal ein 'Dankeschön' oder ein 'Ihr wart super!' auf den Plattformen, als Streicheleinheit für die 'Unterstützer'." Noch viele Tage nach der Niederlage habe sich auf www.frankwaltersteinmeier.de ein Aufruf zur Europawahl befunden.

Niemand weiß, wie viel von dem, was der Autor schreibt, gekränkter Eitelkeit zuzuschreiben ist. Die Fakten jedenfalls scheinen zu stimmen. Ob ihm vielleicht einfach das mentale Rüstzeug gefehlt hat, eine Bundestagskampagne zu bestehen, kann nicht entschieden werden, ohne die Person zu kennen.

Kajo Wasserhövel jedenfalls hat dazu - wohl in prophetischer Gabe - am Tag vor Erscheinen des Textes in seinem Video-Blog Nordkurve dies gesagt: "Wahlkampf ist nichts für Leute, die permanent eine Situation brauchen, wo alles gut läuft." Wie gut oder schlecht es tatsächlich gelaufen ist für die Nordkurve wird ohnehin erst am Sonntag entschieden sein. Ziemlich genau um 18:01 Uhr.

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