SPD-Wahlkämpfer Steinmeier:"Das muss schiefgehen"

Forsa-Chef Manfred Güllner über das Desinteresse der Menschen an einem hart geführten Wahlkampf, die Fehler der SPD und das Dilemma von Frank-Walter Steinmeier, kein Gerhard Schröder zu sein.

Gökalp Babayigit

sueddeutsche.de: Frank-Walter Steinmeiers Schelte für Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg fiel außergewöhnlich hart aus. Im sueddeutsche.de-Interview keilte CSU-Generalsekretär Dobrindt mindestens genauso hart zurück. Beginnt jetzt endgültig der Wahlkampf mit offenem Visier?

SPD-Wahlkämpfer Steinmeier: Frank-Walter Steinmeier: Manfred Güllner rät ihm davon ab, einen Wahlkampf wie Gerhard Schröder zu führen.

Frank-Walter Steinmeier: Manfred Güllner rät ihm davon ab, einen Wahlkampf wie Gerhard Schröder zu führen.

(Foto: Foto: ddp)

Manfred Güllner: Es sieht so aus. Offenbar haben die Sozialdemokraten den Schluss gezogen, sie müssten mit dem Wahlkampf jetzt beginnen - in der Hoffnung, damit ihre Anhänger zu mobilisieren.

sueddeutsche.de: Ist das der richtige Weg?

Güllner: Da habe ich meine Zweifel. Vor der Europawahl haben wir bereits gesehen, dass die Angriffe Steinmeiers auf Guttenberg der SPD nichts gebracht haben. Ich fürchte, dass die Bürger eher nicht an einem Wahlkampf interessiert sind, sondern vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Situation an ernsthaftem Bemühen: Die Menschen wollen von der Politik vor den Auswirkungen der Krise beschützt werden.

sueddeutsche.de: Dennoch sehen die am selben Tag veröffentlichten Interviews von Steinmeier und Müntefering wie eine konzertierte Aktion aus. Bei der Europawahl erlebte die SPD ein Debakel - regiert bei den Sozialdemokraten nun die nackte Panik?

Güllner: Warum die SPD so verfährt, ist klar. Sie hat gesehen, dass sie ihre Anhänger, die durchaus noch vorhanden, aber eben im Lager der Unentschlossenen sind, nicht haben mobilisieren können. Nur: Vor der Europawahl wurde deutlich, dass Themen wie Umverteilung, Steuern oder Mindestlohn nicht zünden. Das sind zum Teil Punkte, bei denen eine Mehrheit sagt: 'Das ist in Ordnung, aber das hat keine hohe Priorität'. Damit kann ich doch die eigenen Leute nicht mobilisieren. Deshalb ist zwar nachvollziehbar, warum sie es machen. Ob sie damit klug beraten sind, ist eine andere Frage.

sueddeutsche.de: Hat sich die SPD nicht den falschen Prügelknaben ausgesucht mit Karl-Theodor zu Guttenberg? Seine Beliebtheitswerte sind gut.

Güllner: Guttenberg eignet sich nicht, um ein solches Feindbild darzustellen. Die Leute haben das Gefühl, er macht das ordentlich. Auch seine Haltung zu den Staatshilfen für Opel und Arcandor wird zumindest nicht für falsch befunden - vor allem im Fall von Karstadt. Hier haben die Leute gesehen: Es ist nicht die Finanzkrise, die die Pleite verursacht hat, sondern das Management. Deswegen sagen sie jetzt nicht 'Guttenberg, das ist ein schrecklicher Kerl'. Die undifferenzierten Staatshilfen, wie sie von der SPD vorträgt, werden zurückhaltend von der Bevölkerung aufgenommen.

sueddeutsche.de: Wird die Strategie der Konfrontation und Polarisierung, die die SPD nun zu verfolgen scheint, die Partei wieder auf die Erfolgsspur bringen? 2005 scheiterte ein abgeschriebener Gerhard Schröder mit einem derartigen Wahlkampf nur knapp. Er hatte sich damals auf den Wirtschaftsexperten und Heidelberger Professor Paul Kirchhof eingeschossen.

Güllner: Den Kirchhof-Faktor von 2005 überschätzt die SPD total. Es war damals letztlich die Zuspitzung auf die beiden Personen, die Kandidaten Schröder und Merkel, die den Ausschlag gegeben hat. Schröder hatte hohe Popularitätswerte, während es bei Merkel viele Vorbehalte gab - bis in die eigenen Reihen hinein. Ein Drittel der CSU und ein Viertel der CDU-Anhänger hatte Vorbehalte gegen die Protestantin aus dem Osten. Als durch das TV-Duell die Fokussierung nochmal offenkundig wurde, hat Schröder als Hilfsmittel den "Professor aus Heidelberg" Kirchhof mit hereingebracht. Entscheidend war aber immer noch die Zuspitzung auf die beiden Kandidaten.

sueddeutsche.de: Die Auswege aus dem Umfrage-Loch scheinen für die SPD alle verbaut zu sein.

Güllner: Die Sozialdemokraten sind in einem schweren Dilemma. Der SPD fehlt ökonomische Kompetenz. Sie wirbt für den Mindestlohn - aber wer ist schon gegen Mindestlohn? Die Menschen haben im Grunde eine soziale Ader, aber Themen wie soziale Gerechtigkeit oder Umverteilungsprogrammatik interessieren sie letztendlich nicht mehr so sehr. Niemand möchte eine ungerechte Welt, aber der Stellenwert dieser Themen ist in diesem Jahr deutlich zurückgegangen. Mit Steuern hat man noch nie eine Wahl gewonnen in Deutschland.

Ein Problem der SPD ist auch Das Hin- und Herwanken zwischen Agenda-Politik und Linksruck. Das geht vor allem auf Kosten der Stimmen aus der Mitte. Die SPD verliert zwei Punkte an die Linke, aber auch zwei Punkte an die FDP -und noch mehr an die Union. Die Abwanderung ins bürgerliche Lager ist also das größere Problem. Die Linksbewegung der Partei bringt überhaupt nichts. Man muss die Mitte wieder kriegen.

"Steinmeier ist auch in einem Dilemma"

sueddeutsche.de: Kann das der Kandidat Steinmeier leisten?

Güllner: Steinmeier ist auch in einem Dilemma. Er kann die guten Werte des Außenministers Steinmeier nicht übertragen auf den Kanzlerkandidaten Steinmeier. Und er hat anders als Schröder 2005 heute eine Gegnerin, die ungeheuer populär ist. Kanzlerin Merkel hat für sich den "Kümmer-Aspekt" gepachtet. Als sie beim ersten Bankenrettungschirm gesagt hat: 'Wir tun das nicht für die Banken, wir tun das für die Menschen', da hat sie den richtigen Ton getroffen. Ein genialer Satz. Seitdem ist sie diese "Kümmerin".

sueddeutsche.de: Also braucht es einen Wahlkampf à la Schröder. Wie kann Steinmeier ein Wahlkämpfer vom Format Schröders werden?

Güllner: Das kann er nicht. Das darf er auch nicht versuchen. Schröder konnte das - er hatte 1998 schon vier Wahlkämpfe hinter sich und drei davon gewonnen. Er war erfahren, er konnte "Schröder pur" geben. 2005 wusste er, dass er nicht mehr gewinnen konnte. Also versetzte er sich in Trance und füllte noch einmal die Marktplätze. Steinmeier hat keine Wahlkampferfahrung. Er wird von den Menschen als redlich, seriös und zuverlässig wahrgenommen. Also kann er sich auch nur so geben. Er kann nicht versuchen, den Schröder zu spielen. Das muss schiefgehen.

sueddeutsche.de: Also keine Zuspitzung auf die Personen Steinmeier und Merkel?

Güllner: Merkel steht ja für ähnliche Werte - zuzüglich des Kümmer-Aspekts. Geschickt gemacht hat sie auch, dass sie Steinbrück stets an ihrer Seite präsentiert und ihn so zu ihrem Adlatus gemacht hat. Steinbrück hat die Kanzlerin unterstützt und nicht seine Partei. Ein Drittel der SPD-Anhänger weiß nicht mal, dass Steinbrück in der SPD ist. Sie hat einen als kompetent angesehenen SPD-Politiker zu einem Gehilfen gemacht.

sueddeutsche.de: Ist denn im Hinblick auf den härter werdenden Wahlkampf überhaupt noch ein Regieren möglich?

Güllner: Einen langen Wahlkampf, wie ihn die SPD anscheinend plant, halte ich für kontraproduktiv. Er entspricht einfach nicht den Erwartungen der Menschen. Sie erwarten, dass sich die Parteien bis zum Wahltag zusammenraufen. Wenn die CDU schlau ist, dann unterstreicht sie, wie wichtig es ist, in Zeiten der Krise pflichtbewusst ihre Arbeit zu machen. Das ist die einzig richtige Linie. Sich aus dem Wahlkampf raushalten und so den besten Wahlkampf machen.

Manfred Güllner ist Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Forsa.

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