Prantls Blick:Letzte Ehre

Trauergottesdienst für SPD-Politiker Eppler

Erhard Epplers Sarg in der Kirche St. Michael.

(Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Vom Sinn des Trauerns. Gedanken zur Beerdigung des Politikers Erhard Eppler und zum Totenmonat November. Und was es mit einem Gebäck namens "Allerheiligen-Spitzl" auf sich hat.

Die politische Wochenvorschau von Heribert Prantl

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Soeben, am letzten Oktobertag, dem Reformationstag, wurde in Schwäbisch Hall der Politiker Erhard Eppler beerdigt. Die Trauergäste berichten von einer eindrucksvollen Trauerfeier für einen eindrucksvollen Politiker - in der Hallenkirche St. Michael, einem Gotteshaus, das hoch auf einem Bergsporn inmitten der alten Reichsstadt thront. Eppler war ein christlicher Freigeist. Es passte also irgendwie ganz gut, dass man zur Trauerfeier in dieser Kirche über eine grandiose Freitreppe gelangte.

Visionär, Vordenker, Wegweiser

Eppler war Protestant und demokratischer Sozialist, ein belesener und nachdenklicher und bisweilen auch rebellischer Mensch. Er hat Dutzende von Kommissionen geleitet, Programmkommissionen, Grundwertekommissionen, Steuerreformkommissionen - und dazu den Evangelischen Kirchentag. Er hat als SPD-Bundesminister unter Willy Brandt die deutsche Entwicklungshilfe neu konzipiert, er hat SPD-Parteitage geprägt und die bundesdeutsche Politik mitgestaltet. Er hat als Bundespolitiker gearbeitet und als Landespolitiker in Baden-Württemberg, er hat dort ebenso unverdrossen wie aussichtlos um das Amt des Ministerpräsidenten gekämpft. Er tat das alles mit Klugheit, Fleiß, Bescheidenheit und einer besessenen Akribie, wie sie den Schwaben oft eigen ist.

Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder nahm in St. Michael "Abschied von einem Visionär und Politiker, der für unser Land Vordenker und Wegweiser war". Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz und kommissarische Vorsitzende der SPD, rühmte die "Klar- und Weitsicht" des Mannes, der "die soziale und die ökologische Frage als zwei große Gerechtigkeitsfragen miteinander zu verbinden wusste".

An Taktikern besteht kein Mangel

Dreyer zitierte Eppler, wie er sich selbst einmal beschrieben hat: "Ich hatte eine Nase dafür, was kommt. Dafür war ich ein schlechter Taktiker." Dreyer kommentierte dazu: "Ich glaube, dass wir an Taktikern in diesem Land keinen Mangel haben". Es fehlten "Persönlichkeiten mit einem klaren Kompass". Man fragt sich, wer einem Eppler nachfolgen kann.

Man nennt den Tod oft den großen Gleichmacher. Aber das ist Unfug. Gerade im Tod erkennt man die Einzigartigkeit, die Unverwechselbarkeit und auch die Unersetzbarkeit des Verstorbenen. Die Besonderheit des Toten wird in den Reden und Gesten der Trauerfeier, ob geistlich oder säkular, noch einmal lebendig. Sie wird festgehalten, bevor man ihn loslässt.

Solche Gedanken, die einen bei Trauerfeiern umtreiben, passen zum grauen Monat November, der als Totenmonat gilt. Dieser Totenmonat beginnt mit Allerheiligen und Allerseelen der Katholiken und endet mit dem Totensonntag der Protestanten. Dazwischen liegt der Volkstrauertag, also der staatliche Gedenktag, der an die Toten von Krieg, Gewalt und Terror erinnert.

Trauer ist Widerstand gegen das Verschwinden

Trauertage - sie sind nicht einfach nur traurige Tage; sie sind mehr. Wer in den vergangenen Monaten einen lieben Menschen verloren hat, der spürt und weiß es: Trauer ist auch eine Art von Widerstand gegen das Verschwinden dieses lieben Menschen. Und zugleich ist das Trauern Ausdruck des schmerzhaften Wissens, dass der Tod zum Leben gehört.

Die allgemeinen Totengedenktage des Monats November sind übrig geblieben aus der Zeit, in der das Leben fester gefügt war und es verbindliche Gewohnheiten dafür gab, wie zu trauern ist. An diesen Tagen hat sich ein Rest der alten Verbindlichkeiten bewahrt; viele Menschen fahren, oft Hunderte von Kilometern, "nach Hause", schmücken ein Grab, stehen davor, hören den Gebeten zu.

Heimat ist da, wo das Grab ist

Es wird ja derzeit viel über Heimat geredet. Vielleicht ist Heimat auch und vor allem da, wo das Grab ist - das Grab der Eltern, das Grab der Menschen, die einem lieb waren und lieb sind. Das macht den Friedhof und den Friedwald zu einem heimatlichen Ort.

Die Trauer-Rituale, die einst eine christlich-religiöse Basis hatten, schwinden; sie schwinden deswegen, weil die christlich-religiöse Basis schwindet. An ihre Stelle treten säkulare Abschiedsriten und vielfältige Bestattungsarten, oft aber auch Unsicherheit und Verdrängung im Umgang mit dem Tod, mit den Toten und mit der Trauer.

Ohne Brimborium? Sang- und klanglos in die Erde legen?

Beim Abschied von Erhard Eppler wurden viele Worte über ihn gemacht, zu Herzen gehende, sachliche, aufrichtige, vielleicht auch einige falsche. Manche nennen solche Gesten und Reden abfällig "Brimborium". Angehörige sagen immer öfter, sie wollten keine Ansprachen, weder die eines Pfarrers noch eines Trauerredners; sie hätten den Verstorbenen schließlich gekannt, da solle man auf Gerede verzichten. Soll man das? Soll man eine Schweigeminute einlegen und den Toten dann buchstäblich sang- und klanglos in die Erde legen?

Wer sich das wirklich selbst so aussucht, dessen Wille muss man respektieren. Viele aber, Zehntausende sind es, suchen es sich nicht so aus. Ihnen wird die Trauerfeier versagt, auch Blumen, auch Schmuck, auch Musik, eben jegliches würdevolle "Brimborium". Die Stadt Berlin verzeichnet jährlich an die dreitausend sogenannte ordnungsbehördliche Bestattungen von Menschen, die mittellos, obdachlos, vereinsamt oder verwahrlost gestorben sind und für deren Beerdigung niemand sorgt. Andere haben alle ihre Angehörigen überlebt - und haben womöglich für ihre letzten Lebensjahre im Altenheim alles Geld aufgebraucht. Der Staat kümmert sich dann darum, dass sie bestattet werden; und er will das möglichst kostengünstig tun.

Ein makabrer Tourismus nach dem Tod

Das geht dann zum Beispiel so: Der Bestatter holt den Toten aus dem Krankenhaus oder Altenheim ab, fährt ihn im Billigsarg zum Krematorium und lässt ihn einäschern. Der Verstorbene wollte aber nicht verbrannt werden? Pech gehabt. Das hätte er zu Lebzeiten ausdrücklich so verfügen müssen. Nach der Kremierung wird die Asche zum Friedhof gebracht. Wenn der städtische Angestellte genug Urnen gesammelt hat, hebt er das Loch für das Gemeinschaftsgrab aus, legt die schmucklosen rohen Urnen hinein und schaufelt Erde drüber. Bestattungspflicht erfüllt. Wenn es gut geht, bekommt der tote Mensch ein Einzelgrab, wenn es noch besser geht, eines an dem Ort, wo er gelebt hat.

Manche Kommunen schicken ihn aber nach dem Tod noch einmal auf die Reise, dorthin, wo die Gräber billiger sind. Es hat sich mittlerweile ein makabrer postumer Tourismus entwickelt. Gefragt, ob es denn nicht viel zu teuer sei, die Urne hunderte Kilometer durch die Lande zu fahren, feixt der Bestatter: "I wo", die Überführung laufe doch "hoch auf dem gelben Wagen...". Ein Fortschritt sei, dass die Post mittlerweile "Urnenpakete" anbiete.

Gottesdienste für Unbedachte

Gewiss: Die Bestattungsgesetze verlangen eine angemessene und würdige Beerdigung. Sie schreiben vor, dass Art und Ort der Bestattung sich nach dem Willen des Verstorbenen und nach dem Empfinden seiner Glaubensgemeinschaft richten sollen. Aber: Wer kontrolliert da schon? In manchen Kommunen ist eine Entsorgungs-Mentalität eingezogen, die sich damit entschuldigt, dass man ja das Geld von Steuerzahlern ausgebe.

Die Kirchen feiern in vielen Städten für ihre Mitglieder "Gottesdienste für Unbedachte". Da werden all die Namen der Verstorbenen genannt, die ohne Trauerfeier und Geleit beerdigt wurden, es wird ihrer gedacht und für sie gebetet. Und zum Glück gibt es viele Städte und Städtchen, die ein Empfinden dafür bewahrt oder wiedergewonnen haben, dass die Menschenwürde nicht endet, wenn ein Mensch seinen letzten Atemzug getan hat. Jeder bekommt, was ihm gebührt, egal, wie sein Leben ausging: die letzte Ehre.

Eine schöne Leich

In Bayern wünschte man sich früher "eine schöne Leich", also ein schönes Begräbnis; es ist auch heute noch tröstlich, wenn Leute da sind, Blumen auch, wenn nicht alles für einen guten Zweck gespendet werden muss, wenn Worte gesprochen und Lieder gesungen werden; und wenn die Leute anschließend etwas zum Essen und Trinken bekommen in einer warmen Stube, weil man immer so friert, wenn man traurig ist.

Meine Großmutter lud an Allerheiligen ihre fünfzehn Kinder samt Familien ins Elternhaus ein. Und dann gab es ein großes Verwandtschaftsessen mit einem speziell für diesen Tag hergestellten Gebäck aus Hefeteig, das sich "Allerheiligen-Spitzl" nannte und schön mit Zuckerguss überzogen war. Es war ein Gebäck, auf das wir Kinder uns das ganze Jahr freuten. Vielleicht findet sich das Rezept noch irgendwo. Es lehrt nämlich, dass Trauern auch süß sein kann.

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