Süddeutsche Zeitung

SPD:Chefs dringend gesucht

  • Wenn von einer Retterin der SPD die Rede war, dann fiel vor allem der Name von Franziska Giffey, der Familienministerin.
  • Die 41-Jährige hat jetzt einen Brief an ihre Partei geschrieben. Darin sagt sie ab.
  • Der Kandidatenfindungsprozess läuft für die SPD nicht, wie ursprünglich erhofft: Es fehlt an Bewerbern, denen zugetraut wird, die Partei wieder aufrichten zu können.

Von Mike Szymanski, Berlin

Die Lage in der SPD war bis Donnerstag etwa diese: Wann sagt Franziska Giffey endlich, dass sie für den Parteivorsitz antritt? Mit wem - das war schon gar nicht mehr so wichtig, auch wenn in der SPD viele, allen voran die kommissarische Parteispitze, so begeistert von der Idee sind, bald ein Doppel an der Spitze zu haben. Wenn aber von einem Retter, oder besser: einer Retterin der SPD die Rede war, dann fiel vor allem der Name von Franziska Giffey, der Familienministerin.

In einem Interview mit dieser Zeitung im Juni hatte sie über die nächste Parteispitze gesagt: "Die Leute entscheiden viel über den Bauch, über Sympathie. Es ist extrem wichtig, dass im Vorsitz jemand ist, der Bauch und Herz erreicht. Auch den Kopf, natürlich, Sympathie alleine reicht nicht. Aber das Gefühl vermittelt: Ich bin bei euch, ich verstehe euch." Es wirkte wie eine Bewerbung. Denn sie, die beliebte frühere Bezirksbürgermeisterin aus Berlin, bringt die geforderten Fähigkeiten mit.

Als dann aber vor gut einem Monat die Bewerbungsfrist anlief, kam nichts von ihr. Macht sie es? Macht sie es nicht? Es gab mal ein Treffen mit Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil - sollte dies das neue Paar der SPD werden? Nein.

Die 41 Jahre alte Giffey hat jetzt einen Brief an ihre Partei geschrieben. Darin sagt sie ab. "Sie hat sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht", erklärt am Donnerstag die kommissarische SPD-Chefin Malu Dreyer, "weil sie eine Sozialdemokratin durch und durch ist." Aber Giffey hat auch Angst. Sie will ihrer Partei nicht schaden. Die Rechercheure des Internetforums "Vroniplag Wiki" hatten in Giffeys Doktorarbeit auf mehr als einem Drittel der Seiten "Plagiate dokumentiert", wie es dort heißt. Giffey hat ihre Universität, die FU Berlin, um eine Prüfung gebeten. Die dauert immer noch an. Giffey will nicht mit dieser Last ins Nachfolge-Rennen einsteigen. Ein offenes Prüfverfahren, womöglich die Aberkennung ihres Doktorgrades - sie wolle nicht, dass dies den Prozess der personellen Neuaufstellung überschatte. Auch als Ministerin würde sie zurücktreten, sollte die Prüfung negativ für sie ausfallen.

Giffey schien vielen als Kandidatin gesetzt zu sein

Tatsächlich ist es aber ihre Absage, die nun den Prozess überschattet, ihre SPD sogar regelrecht in Not bringt. Wieder sagt jemand, auf dem in der Partei große Hoffnungen ruhen, für den Parteivorsitz ab. Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann sagte der SZ: "Das ist sehr schade. Sie ist ein Aushängeschild der SPD, hat eine zupackende Art und eine Herzenswärme, die der SPD gutgetan hätte."

Die kommissarischen Chefs, Malu Dreyer, Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz, und Manuela Schwesig, Regierungschefin in Mecklenburg-Vorpommern, hatten von Anfang an erklärt, sie stünden nicht zur Verfügung. Der Dritte aus dem Führungstrio, Thorsten Schäfer-Gümbel, hört mit der Politik auf. Stephan Weil in Niedersachsen möchte es auch nicht machen. Vizekanzler Olaf Scholz konzentriert sich darauf, Finanzminister zu sein. Arbeitsminister Hubertus Heil hatte erst abgesagt, nun sei er doch wieder ins Grübeln geraten, heißt es.

Der Kandidatenfindungsprozess läuft nicht wie ursprünglich erhofft. Es fehlt an Bewerbern, denen zugetraut wird, die SPD auch wieder aufrichten zu können. Am lautesten wurden die parteiinternen Zweifel, als am Mittwoch bekannt wurde, wer sich dagegen vorstellen könnte, die SPD zu führen: die Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission, Gesine Schwan, 76, und Parteivize Ralf Stegner, 59.

"Was muss meine #spd gerade alles aushalten"

"Was muss meine #spd gerade alles aushalten", schrieb der SPD-Bundestagsabgeordnete Andreas Schwarz auf Twitter. "Meine Hoffnung: Am Ende wird alles gut!" Doch noch ist kein Bewerberduo oder Einzelkandidat aufgetaucht, das die Partei wirklich begeistert.

Sicher antreten werden Europa-Staatsminister Michael Roth und die nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete Christina Kampmann. Der Gesundheitsexperte Karl Lauterbach und die Umweltfachfrau Nina Scheer wollen auch, sowie die Oberbürgermeister von Flensburg und von Bautzen, Simone Lange und Alexander Ahrens. Zudem kündigte der Vizepräsident des SPD-Wirtschaftsforums, Robert Maier, seine Kandidatur an. Auch der frühere Bundestagsabgeordnete Hans Wallow aus Bonner Zeiten hat mitgeteilt, dass er sich bewerben wolle.

Baden-Württembergs SPD-Chef Andreas Stoch machte wiederum klar, dass er keinem der bisher bekannten Bewerber zutraue, die SPD zu führen. So verstärkt sich der Eindruck, dass der Partei das Auswahlverfahren aus den Händen gleitet. Ein führender Sozialdemokrat sagte, er sei "entsetzt" über das Bild, das die Partei abgebe. Der Unmut darüber, dass sich bislang niemand aus der ersten Reihe bewirbt, ist auch in der Fraktion zu spüren. Spöttisch heißt es, die Ansprüche an das Führungspersonal seien doch schon so niedrig - man wolle sich nicht schämen müssen für die Spitze. Je kurioser das Bewerberfeld werde, desto mehr würde es Kandidaten aus der ersten Reihe abschrecken.

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SZ vom 16.08.2019/wib
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