Süddeutsche Zeitung

Sozialdemokraten:Die CDU bietet der SPD eine große Chance

Weil die Neuaufstellung bei der Konkurrenz stecken geblieben ist, könnten die Sozialdemokraten profitieren. Die Regionalkonferenzen haben die Genossen mobilisiert, der Wahlprozess birgt aber auch so manches Risiko.

Kommentar von Nico Fried

In diesen langen Prozess hat vieles hineingewirkt, angekündigte Abschiede, abweichende Karrierepläne, ein Schicksalsschlag, der Zufall. Doch im Ergebnis hat die SPD drei Monate nach der Flucht von Andrea Nahles aus der Politik endlich die eine, die logische Vorsitzende: eine sympathische Frau, ausgleichend und ausgeglichen, in der Partei beliebt, von Wählern geschätzt; erfahren, aber nicht abgehoben, überzeugte und überzeugende Sozialdemokratin, trotzdem in der großen Koalition handlungsfähig. Es könnte alles gut sein für die SPD mit der einzig verbliebenen amtierenden Vorsitzenden Malu Dreyer. Aber ach, so wird es nicht bleiben.

An diesem Samstag fand die letzte von 23 Regionalkonferenzen statt. Danach wählen die Mitglieder voraussichtlich in zwei Durchgängen ihre Vorsitzenden. Am Ende gewinnt entweder Olaf Scholz und damit einer, der gar nicht Vorsitzender werden wollte. Oder es gewinnen andere: Jüngere, die unter normalen Umständen noch nicht infrage gekommen wären, Ältere, die schon ihren Rückzug aus der Politik begonnen hatten, Selbstbewusste, die schon immer glaubten, sie könnten es besser, aber nie die Gelegenheit bekamen. Diese Wahl hat vielen eine Chance beschert, die sonst keine bekommen hätten.

Das spricht nicht gegen das Verfahren. Wer weiß, welche Talente sich im Amt offenbaren. In der SPD von heute hat jeder Kandidat und jede Kandidatin allein dafür Respekt verdient, dass sie angetreten sind, als andere sich zierten. Die Regionalkonferenzen haben in der SPD mobilisiert, vielleicht sogar manche Karteileiche neu motiviert. Ja, die Sozialdemokraten haben sich intensiv mit sich selbst beschäftigt - aber die Regierung ist deshalb nicht zum Stillstand gekommen. Ganz nebenbei hat die SPD damit den Beweis geliefert, dass Regierungsarbeit und Erneuerung parallel möglich sind, was die Gegner der großen Koalition immer bestreiten. Es ist aufwendig und anstrengend, aber es geht. Und es entlarvt die Forderung als billige Taktik, dass Vorsitzende kein Regierungsamt haben sollten.

Die Neuaufstellung der CDU ist stecken geblieben - eine Chance für die SPD

Dennoch lauert in diesem Wahlprozess noch manches Risiko. So eng, wie es zuzugehen scheint, ist es möglich, dass zwei Paare in die Stichwahl kommen, die selbst zusammen kaum die Hälfte der wählenden Mitglieder repräsentieren. Das birgt Potenzial für Enttäuschungen und Konflikte, zumal in einer Partei, in der Rechnungen erfahrungsgemäß über Jahre offenbleiben. Für die Gefahren, die in Doppelspitzen stecken, gibt es mehr Beispiele als für die Chancen. Und dann ist der SPD ja auch noch zuzutrauen, dass sie sich aus der großen Koalition verabschiedet, weil sie sich selbst genug ist.

Vor allem aber gibt es einen Fehler, den die SPD begehen könnte, einen, der alle beschriebenen Gefahren subsumiert: Dieser größte anzunehmende Fehler wäre es, nicht zu erkennen, welche Möglichkeiten die politische Konkurrenz der SPD bietet. Die Neuaufstellung der CDU ist stecken geblieben. Die Partei Angela Merkels hat eine neue Vorsitzende, und trotzdem, oder vielleicht auch deswegen sind die personellen Fragen und auch der politische Richtungsstreit nicht beendet - sie haben noch gar nicht richtig angefangen. Welche Chance steckte darin für eine SPD, die ein politisch vernünftiges und auch personell wählbares Angebot machte - eine SPD in etwa so, als wäre Malu Dreyer noch Vorsitzende.

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SZ vom 11.10.2019/saul
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