Süddeutsche Zeitung

SPD:"Von der Leyens Chipkarte ist eine Täuschung"

Sport- und Kulturangebot als Ablenkungsmanöver: SPD-Politiker werfen Arbeitsministerin von der Leyen vor, höhere Hartz-IV-Sätze für Kinder vermeiden zu wollen.

Heribert Prantl und Claus Hulverscheidt

Vor dem Spitzengespräch der Sozialminister von Bund und Ländern zur Hartz-IV-Reform an diesem Freitag wächst in der SPD der Ärger über Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU). Die SPD wirft ihr einen Informationsboykott vor und hält die von der Ministerin propagierte "Chipkarte" für Kinder aus armen Familien für ein Täuschungsmanöver.

Mit der Karte wolle von der Leyen nur "davon ablenken, dass sie die Grundsicherung für Hartz-IV-Empfänger weiterhin kurzhalten" wolle und "die vom Verfassungsgericht geforderte Neuberechnung und Erhöhung in der schwarz-gelben Koalition nicht durchsetzen" könne, sagte die stellvertretende SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig der Süddeutschen Zeitung. Mit der Chipkarte sollen Kinder Kultur-, Bildungs- und Sportangebote bezahlen können. Schwesig ist auch Sozialministerin in Mecklenburg-Vorpommern.

Ihre rheinland-pfälzische Amtskollegin Malu Dreyer, die Koordinatorin der SPD-geführten Länder ist, klagt in einem Brief an von der Leyen darüber, dass das Bundesministerium bisher nicht bereit gewesen sei, "den Ländern die Aufträge an das Statistische Bundesamt bekanntzugeben, die als Grundlage für eine Neubewertung der Hartz-IV-Regelsätze erteilt worden sind".

Hinter dieser Klage steckt der Verdacht, dass von der Leyen den Arbeitsauftrag so formuliert hat, dass sich aus den gelieferten Daten eine möglichst geringe oder gar keine Erhöhung der derzeit geltenden Hartz-IV-Sätze ergibt. Das Bundesverfassungsgericht hatte in einem fundamentalen Urteil vom 9. Februar 2010 angeordnet, dass die Hartz-IV-Leistungen auf der Basis aktueller und gesicherter Zahlen neu berechnet und zum 1. Januar 2011 verändert werden müssen.

SPD-Vizechefin Schwesig kündigte an, dass die SPD im Bundesrat kein hastig zurechtgeschustertes Hartz-IV-Gesetz mittragen werde, das dann womöglich erneut vor dem Verfassungsgericht scheitern könnte. Man könne die obersten Richter gewiss nicht mit einer Chipkarte täuschen, wenn die Anforderungen des Urteils nicht eingehalten würden, sagte Schwesig.

Nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun

Die Politik habe "nicht zu bestimmen, wie hoch oder niedrig der Hartz-IV-Satz sein darf - sie hat ihn nach den Kriterien des Verfassungsgerichts zu ermitteln". Im Übrigen könne man nicht wie von der Leyen den zweiten Schritt vor dem ersten tun: Erst müsse die Grundsicherung neu berechnet und erhöht werden. Erst dann könne man überlegen, auf welchem Wege das Geld bereitgestellt werde.

Rückendeckung erhielt von der Leyen am Donnerstag aus den eigenen Reihen. Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Heinrich Kolb sagte nach einem Treffen von Koalitionsexperten mit der Ministerin, die Liberalen stünden von der Leyens Konzept offen gegenüber. Ähnlich äußerte sich auch die Vizechefin der Unionsfraktion, Ingrid Fischbach. Allerdings müssten noch Gespräche mit der CSU geführt werden, die der Idee reserviert gegenübersteht.

Eine Ministeriumssprecherin sagte, wegen des hohen technischen Aufwands könne die Chipkarte keinesfalls zum 1. Januar 2011 eingeführt werden. Falls sich das Bundeskabinett bei seiner Sitzung am 20. Oktober für von der Leyens Weg entscheiden sollte, müssten übergangsweise Gutscheine ausgegeben werden.

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SZ vom 02.01.2011/liv
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