Parteivorsitz:Die SPD entfernt sich immer weiter vom Rang einer Volkspartei

SPD-Parteizentrale

Was würde Willy tun? Statue des früheren Bundeskanzlers Brandt in der SPD-Zentrale.

(Foto: picture alliance/dpa)

Kein Mut, keine Risikofreude: Die Suche der Sozialdemokraten nach einer neuen Führung wird langsam, aber sicher absurd.

Kommentar von Mike Szymanski, Berlin

Es sind nicht allein die miserablen Umfragewerte, die Zweifel daran aufkommen lassen, ob die SPD als Volkspartei noch eine Zukunft hat. Es ist das Gefühl, dass selbst ihr Spitzenpersonal den Glauben daran verloren zu haben scheint. Als König der Zauderer erweist sich in diesen Tagen der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil. Dabei könnte die Partei Leute wie ihn eigentlich dringend gebrauchen: erfolgreicher Regierungschef, viel Gefühl für die SPD. Er hätte eigentlich das politische Gewicht und die Autorität, um in dieser Krise die Führung zu übernehmen. Aber Weil bringt weder den Mut auf, klar abzusagen, noch hat er den Mut, klar zuzusagen. Mittlerweile wäre er kein guter Kandidat mehr, würde er denn überhaupt antreten.

Weils Verhalten steigert nur ins Absurde, was andere Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker dieser Partei vorleben seit dem Rücktritt von Andrea Nahles. Es war schon ein bemerkenswerter Vorgang, dass die drei Übergangsvorsitzenden - die Regierungschefinnen aus Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern, Malu Dreyer und Manuela Schwesig, sowie Hessens SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel - von Beginn an erklärten, sie stünden für diese Aufgabe nicht zur Verfügung. Was für ein Signal, was für ein Fehler. Alle drei sind Parteivizes, aber was ist von Stellvertretern zu halten, denen der Willen zum Führen dieser stolzen Partei fehlt? Selbst Vizekanzler Olaf Scholz hat sich sofort aus dem Rennen genommen, Arbeitsminister Hubertus Heil tat es wenig später.

Kein Mut, keine Risikofreude. Das trifft auch auf Familienministerin Franziska Giffey zu. Die beliebte SPD-Frau hätte beste Chancen, neue Parteichefin zu werden, und wäre vielleicht auch die beste Wahl. Sie hält sich jedoch eine Kandidatur offen, weil ihre Doktorarbeit unter Plagiatsverdacht steht und ihre Universität die Prüfung noch nicht abgeschlossen hat. Warum lässt sie sich so treiben, warum geht sie nicht in die Offensive? Sie könnte als Ministerin zurücktreten, ihren Doktortitel nicht mehr führen und sagen: Die Lage sei zu ernst, um auf die Prüfung durch die Uni Rücksicht zu nehmen. Die Partei brauche sie. Jetzt. Wie auch immer das Urteil über ihre Doktorarbeit dann ausfällt: In der SPD würde sie an Statur gewinnen.

Es bleibt ein beklemmendes Gefühl: Hat denn nicht ein jeder dieser Verweigerer und Zauderer dieser Partei den eigenen Aufstieg zu verdanken? Jetzt erst zeigt sich in voller Schonungslosigkeit, welch eine große, bedrohliche Leere nach dem Rückzug von Andrea Nahles als Parteichefin in der SPD entstanden ist. Wer dachte, Nahles sei das große Problem der SPD, kann studieren, wie ausgebrannt die Führungsspitze dieser Partei ist.

Natürlich muss es auf alle, die am Parteivorsitz interessiert sind, abschreckend wirken, wie die SPD ihre Chefs regelmäßig verheizt. Und der Umgang mit Nahles gehörte zu den brutalsten Episoden der Parteigeschichte. Aber dieses Mal ist die Lage eine andere: Der oder die Neue oder das künftige Spitzenduo werden das Votum der Mitglieder hinter sich haben. Fester kann eine Partei ihre Spitze nicht absichern - auch nicht vor den eigenen Leuten. Warum also sagt nicht jemand aus der Führungsriege jetzt einfach: Ich will? Mit ihrer Zögerlichkeit riskieren die Führungsleute, dass das Verfahren zur Suche einer Parteispitze zur Farce wird, bevor es richtig angefangen hat.

Die SPD will, wie üblich, alles auf einmal: Doppelspitze ausprobieren, Mitglieder befragen. Zwei Dutzend Regionalkonferenzen soll es geben. Das Spektakel wird sich insgesamt bis zum Parteitag im Dezember hinziehen. Im Willy-Brandt-Haus glaubt man tatsächlich, neue Mitglieder gewinnen zu können, weil jetzt so aufregende Zeiten in der SPD angebrochen seien. Wirklich? Mehr als ein Monat ist vergangen, seit sich Sozialdemokraten um den Parteivorsitz bewerben können, ein Monat liegt noch vor ihnen. Bisher haben sich drei Bewerberteams gemeldet - und ein ehemaliger Bundestagsabgeordneter aus Bonner Zeiten, der die gesamte Auswahlprozedur infrage stellt.

Das eine Bewerberduo, Staatsminister Michael Roth und Christina Kampmann, Landtagsabgeordnete aus Nordrhein-Westfalen, ist dadurch aufgefallen, den Genossinnen und Genossen miesen Umgang miteinander vorzuhalten und gleichzeitig mehr Respekt und Fairness einzufordern. Das zweite besteht aus dem Gesundheitsexperten Karl Lauterbach und seiner Bundestagskollegin Nina Scheer, die möglichst schnell rauswollen aus der großen Koalition. Als drittes schließlich sind nun zwei Kommunalpolitiker angetreten: Die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange, die schon 2018 gegen Nahles angetreten war, erklärte nun, erneut zu kandidieren. Sie bewirbt sich zusammen mit Alex Ahrens, dem Oberbürgermeister von Bautzen.

Diesen Bewerbern muss man zumindest zugutehalten, dass sie für ihre SPD kämpfen.

Fest steht: Die SPD wird mit der Wahl der neuen Spitze im Dezember eine andere sein. Sollten Außenseiter an die Spitze gewählt werden, wird man die Partei möglicherweise gar nicht mehr wiedererkennen. Vom Status einer Volkspartei, vom Regieren, vom Traum, den Kanzler oder die Kanzlerin zu stellen, entfernt sie sich immer weiter, Tag für Tag.

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