SPD-Vize Ralf Stegner:Attacke ist sein Element

Parteitag der SPD Schleswig-Holstein

Ob Bühne, TV-Talk, Radio oder im Netz: Ralf Stegner (Archivbild), Landes-Chef der schleswig-holsteinischen SPD, ist medial omnipräsent.

(Foto: dpa)

Ralf Stegner wäre gern SPD-Generalsekretär geworden. Dass er es nicht wurde, stört ihn nur marginal. Der Mann aus Schleswig-Holstein agiert trotzdem auf allen Kanälen mit provokanten Thesen - zum wachsenden Ärger des Koalitionspartners.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Es gibt Tage, da macht man sich spätestens am frühen Nachmittag ein bisschen Sorgen um Ralf Stegner. Man hat ihn dann weder morgens im Deutschlandfunk gehört, noch in einer Zeitung ein Zitat von ihm gelesen, und auch im weiteren Tagesverlauf taucht er in keiner der zahlreichen Meldungen auf, die von den Nachrichtenagenturen zum politischen Geschehen verbreitet werden. Spätestens da fragt man sich: Ist etwas passiert? Lebt er noch?

Man schaut dann schnell bei Twitter nach und stellt erleichtert fest, dass Stegner, dessen Äußerungen bei dem Kurznachrichtendienst mehr als 15 500 Leute verfolgen, am Morgen seinen täglichen Musiktipp abgesetzt und außerdem mitgeteilt hat, welche Termine bei ihm so anliegen. Es scheint ihm also gut zu gehen.

Ralf Stegner, 54, wollte im vergangenen Jahr Generalsekretär der SPD werden und glaubte lange Zeit fest daran, Sigmar Gabriel hinter sich zu haben. Der ist immerhin Vorsitzender der SPD und hatte ihm wohl mindestens Hoffnungen auf den Posten gemacht, konnte allerdings auch nichts daran ändern, dass es sich bei Ralf Stegner um einen Mann handelt. Weil das aber ebenso auf Gabriel selbst zutrifft, außerdem auf den Fraktionschef Thomas Oppermann, musste für das Amt des Generalsekretärs dringend eine Frau her.

Ein bisschen wie Lothar Matthäus

Gabriel wählte die Gewerkschafterin Yasmin Fahimi aus, Stegner wurde mit dem Amt eines stellvertretenden Parteivorsitzenden abgefunden. Die Zahl der Vizes wuchs damit auf sechs, aber immerhin: Ralf Stegner, Bundesvize, das klingt ja gleich ganz anders als: Ralf Stegner, schleswig-holsteinischer SPD-Landes- und Fraktionschef.

Und was macht Stegner, seit er nicht Generalsekretär der SPD werden durfte? Er gibt den Generalsekretär der SPD. Die "Alltagsgesichter" der SPD seien zu männlich, so hat Gabriel es im vergangenen Jahr gesagt. Derzeit aber scheint die SPD (fast) nur ein Alltagsgesicht und eine Alltagsstimme zu haben, beide sind nicht allzu weiblich, sondern gehören zu Stegner. Man sieht sein meist leicht missmutiges Gesicht in öffentlich-rechtlichen Rede-Runden, hört seine näselnde Stimme im Radio und liest seine Wortbeiträge gedruckt oder im Netz.

Man muss da unwillkürlich an Lothar Matthäus denken, der ja mal ganz gern Bundestrainer geworden wäre und durch eine beachtliche Medienpräsenz auch für eine gewisse Zeit den Eindruck zu erwecken wusste, er sei es. Wobei man festhalten muss, dass Stegner unter anderem in Harvard studiert hat, über "Theatralische Politik made in USA" promovierte und lange Zeit als Fußball-Schiedsrichter aktiv war, also ansonsten nicht so viel mit Matthäus gemeinsam hat.

Lieblingsgegner ist die Union

Ein kleiner Auszug aus Stegners gesammelten Worten während der vergangenen Wochen: Ende Januar, also nach etwas mehr als einem Monat Schwarz-Rot, erklärte er die SPD in der Passauer Neuen Presse zur Kraft, von der in der Koalition "jede Veränderung" ausgehe. "Die Union hat da weniger Schubkraft. Sie wollte ja schon im Wahlkampf kaum etwas ändern."

Drei Tage später berichtete die SZ über ein Positionspapier, in dem Stegner mit anderen Sozialdemokraten forderte, "die bestehenden inhaltlichen und strategischen Differenzen zwischen allen Parteien links der Union" zu beseitigen.

Anfang Februar äußerte er sich unter dem Eindruck des Steuerfalls Alice Schwarzer in der Frankfurter Rundschau und nannte die strafbefreiende Wirkung von Selbstanzeigen ein "Relikt feudaler Gesinnung". Am Tag danach ging er via Spiegel Online den CDU-Mann Helmut Linssen an, indem er bezweifelte, ob "Briefkastenfirmen auf den Bahamas oder in Panama ein akzeptables Betätigungsfeld" für den Schatzmeister einer Partei seien.

Das Ergebnis des Schweizer Volksentscheids zur Zuwanderung kommentierte er per Twitter: "Die spinnen, die Schweizer." Und: "Geistige Abschottung kann leicht zur Verblödung führen."

Hinzu kamen via Bild geäußerte Zweifel an der Regierungsfähigkeit Horst Seehofers und schließlich Mitte Februar in der Leipziger Volkszeitung die Definition, mit welchem Ziel die SPD 2017 zur Wahl antreten solle: "Angela Merkel muss weg." Man musste sich daraufhin noch einmal kurz daran erinnern, dass die SPD ja derzeit Regierungspartner von Merkels CDU ist.

Stegner, der neue SPD Polit-Hallodri

Für die Union ist Stegner zum Lieblingsgegner geworden (mal abgesehen vom Fraktionschef Oppermann). Wilfried Scharnagl, einst Chefredakteur der CSU-Parteizeitung Bayernkurier und noch immer Kolumnist, nahm sich Stegner, "seit Jahr und Tag eine der linksradikalen Galionsfiguren der SPD", kürzlich mal etwas eingehender zur Brust.

Und CDU-Generalsekretär Peter Tauber forderte erst in dieser Woche, "dem Kollegen Stegner die Zwille wegzunehmen, mit der er immer mal auf die Falschen schießt". Eine Zwille ist ein Gerät, mit dem vorwiegend männliche Kinder und Jugendliche in bestimmten Lebensphasen gern auf Mitschüler, Eichhörnchen oder Lehrer zielen.

Politiker und Medien leben in einem Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit: Die einen brauchen Foren, um sich zu präsentieren, die anderen brauchen frischen Stoff. Und Zitate aus der SPD über den Koalitionspartner oder die Linkspartei haben einen gewissen Nachrichtenwert. Außerdem ist Stegner einer der wenigen von Rang in der SPD, die erstens eigene Gedanken formulieren können, zweitens frei von Kabinetts- oder Fraktionsdisziplin sind und drittens den notwendigen Schuss Hemmungslosigkeit mitbringen. Also wird Stegner angefragt (auch von der SZ).

Sigmar Gabriel hat während der Koalitionsverhandlungen begriffen, dass eine drastische Reduzierung seiner Medienpräsenz vielleicht das einzige Mittel ist, mit dem er sein Image des Polit-Hallodris loswerden kann - entsprechend rar macht er sich, was die Parteipolitik angeht. Thomas Oppermann wiederum, gegen dessen Zitate-Frequenz aus dem vergangenen Jahr selbst Stegner ein Waisenknabe ist, hat jetzt andere Sorgen. Und Yasmin Fahimi ist erst seit einem Monat Generalsekretärin. Zu ihren Aufgaben wird es unter anderem gehören, die Beziehungen zur Linkspartei aufzubauen und zu pflegen. Aber auch damit ist Stegner längst beschäftigt.

Eine Partei mit zwei Generalsekretären

Er selbst sagt: "Ich profiliere mich nicht gegen die Generalsekretärin, sondern ich unterstütze sie. Aber ich nutze natürlich auch meine Freiheiten als stellvertretender Vorsitzender. Eigentlich habe ich gar nicht viel verändert, habe aber durch die neue Position noch ein paar mehr Möglichkeiten als vorher." Seine Aufgabe sehe er darin, auch während der Zeit in der Regierung das "Profil der Partei zu schärfen".

Am Montag stand Fahimi bei der Pressekonferenz im Willy-Brandt-Haus vor der Aufgabe, das Parteiordnungsverfahren gegen Sebastian Edathy zu begründen. Es war nicht ganz einfach, sie mühte sich, irgendwann sagte sie leicht genervt, es gebe auch noch andere Themen als Edathy.

Zwei Tage später sagte Stegner in der Berliner Zeitung: "Die Schwierigkeiten von Parteiordnungsverfahren sind uns bewusst." Die SPD müsse aber klarmachen, "dass es nicht mit den Grundwerten unserer Partei vereinbar ist, Bilder von nackten Kindern zu kaufen oder zu verkaufen". Die SPD ist eine große Partei. Vielleicht verträgt sie sogar zwei Generalsekretäre.

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