SPD und Mindestlohn:Foul in der 37. Minute

Andrea Nahles zu Mindestlohn

Freude über den Mindestlohn, Frust über die Jusos - Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles (SPD)

(Foto: dpa)

Der Mindestlohn kommt, das ist die Botschaft von Arbeitsministerin Andrea Nahles. Er war eines der wichtigsten Wahlkampfthemen der SPD. Nach einem Stimmungsumschwung zugunsten der Sozialdemokraten sieht es derzeit trotzdem nicht aus. Und nun muss Nahles auch noch die Jusos kontern.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Das Foul kommt ausgerechnet aus den eigenen Reihen. Arbeitsministerin Andrea Nahles lobt gerade in aller Ausführlichkeit ihr Mindestlohn-Gesetz.

Sie sei froh, dass das Bundeskabinett es heute verabschiedet habe. Wenn es wie geplant am 4. Juli vom Bundestag verabschiedet werde, dann sei das ein "historischer Tag". Alle in der SPD könnten das Gesetz "vollen Herzens so unterstützen".

Da ploppt, 37 Minuten nach Beginn ihrer Pressekonferenz, auf den Smartphones der Journalisten in der Bundespressekonferenz eine Meldung der Jusos auf: Der Mindestlohn sei wie "ein Schweizer Käse", schreibt da Juso-Chefin Johanna Uekermann.

Der Beschluss des Bundeskabinettes sei ein "Rückschlag für alle, die für einen flächendeckenden Mindestlohn gekämpft haben". Kanzlerin Merkel haben sich "auf Kosten der Schwächsten in der Gesellschaft durchgesetzt". Volle Breitseite also.

Nahles, die selbst mal Juso-Bundesvorsitzende war, schluckt kurz, als sie danach gefragt wird. "Das ist doch eine feurige Formulierung, die den Jusos alle Ehre macht", sagt sie dann. "Auch wenn ich anderer Meinung bin." Kritik abgehakt.

Wenn es nach ihr geht, wird das Gesetz - wenn überhaupt - nur noch in geringfügigen Details geändert. Die letzten Streitpunkte sind fast ausgeräumt. Es geht vor allem noch um Ausnahmen vom Mindestlohn über 8,50 Euro pro Stunde. Die wird es geben, wenn auch in überschaubarem Umfang.

So sieht das im Einzelnen aus:

  • Ausgenommen sind alle unter 18 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Damit soll verhindert werden, dass Jugendliche lieber einen Mindestlohn-Job annehmen, als eine schlechter bezahlte Ausbildungsstelle.
  • Ausgenommen sind nämlich auch alle Auszubildenden.
  • Ehrenamtliche bekommen ebenfalls keinen Mindestlohn.
  • Praktikanten bekommen keinen Mindestlohn, wenn ihr Praktikum Pflicht ist, also etwa Voraussetzung für eine Berufsausbildung oder einen Studienabschluss ist. Das Praktikum darf aber nicht länger als sechs Wochen dauern. Danach gilt Mindestlohn-Pflicht.
  • Alle freiwilligen Praktika müssen immer mit Mindestlohn bezahlt werden. Kettenpraktika, also mehrere Praktika hintereinander beim gleichen Arbeitgeber werden untersagt.
  • Stücklöhne können weiter gezahlt werden. Der Arbeitgeber muss dann aber nachweisen, dass damit der Mindestlohn erreicht werden kann.
  • Keinen Anspruch auf Mindestlohn haben Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten ihres neuen Jobs.

Langzeitarbeitslose als Streitpunkt

Vor allem die Regel für Langzeitarbeitslose dürfte die Jusos auf die Palme gebracht haben. Sie befürchten, dass Langzeitarbeitslose regelmäßig nach sechs Monaten wieder gefeuert werden, damit die Arbeitgeber den Mindestlohn nicht zahlen müssen.

Nahles widerspricht. Im Einzelfall könne sie zwar nicht verhindern, dass Unternehmen Langzeitarbeitslose nur für ein halbes Jahr einstellen. Damit aber die Befürchtungen der Jusos wahr werden, müsste "ja ein Riesen-Run auf Langzeitarbeitslose existieren. Den gibt es aber nicht." Mit dem Gesetz werde eher "eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt" gebaut.

Wenn alles glatt läuft, wird der Mindestlohn für die allermeisten Arbeitnehmer ab 1. Januar 2015 gelten. Die Arbeitgeber von Taxifahrern oder Zeitungsboten sollen noch bis Ende 2016 Zeit bekommen, den Mindestlohn einzuführen. Ab 2017 dann gilt er für alle.

Auch für ausländische Arbeitnehmer. Dann müsste im Grunde auch Schluss sein mit der Ausbeutung etwa von rumänischen und bulgarischen Arbeitskräften. Nahles will sich für ein flächendeckendes Netz von Beratungsstellen einsetzen, um diese Arbeitnehmer zu schützen.

Damit der Mindestlohn überall eingehalten wird, soll der Zoll mehr Mitarbeiter für die Kontrolle bekommen. Mit einer Generalunternehmer-Haftung will Nahles sicherstellen, dass die Verantwortung für den Mindestlohn nicht auf Subunternehmer abgeschoben wird.

So viel positive Stimmung

Bleibt noch der Umstand, dass selbst 8,50 Euro in vielen Fällen nicht reichen wird, um Hartz IV und Altersarmut zu verhindern. Warum dann also nicht gleich zehn Euro, wie die Linke fordert?

Nahles erklärt das so: Mit 8,50 liege der Mindestlohn in der Mitte der Einkommen in Deutschland. "Oder anders: Wir liegen damit genau richtig." Es sei das erste Mal, dass in Deutschland ein Mindestlohn eingeführt werde. Der erste Schritt müsse deshalb ein vernünftiger Schritt sein, auch um die Akzeptanz in der Gesellschaft zu erhöhen.

Es werde überdies nicht bei 8,50 Euro bleiben. Im Sommer 2017 werde sich erstmals eine Kommission aus Arbeitgebern und Gewerkschaften zusammensetzen, um einen neuen und höheren Mindestlohn festzulegen. Das werde dann aber "nicht mehr meine Aufgabe sein", sagt Nahles.

Anders als die Wirtschaftsweisen rechnet Nahles nicht mit dem Verlust von Arbeitsplätzen. Sie verlasse sich ganz auf die Erfahrungswerte mit den Mindestlöhnen in bisher 13 Branchen. Da habe es keine nennenswerten Effekte auf den Arbeitsmarkt gegeben. Darum geht sie auch jetzt von "neutralen Beschäftigungseffekten" aus.

So viel positive Stimmung. Da müsste doch die SPD in den Umfragen längst ordentlich zugelegt haben. Tatsächlich aber liegt sie nach wie vor unter ihrem Wahlergebnis von 25,7 Prozent.

Und das, obwohl neben dem Mindestlohn auch SPD-Großprojekte wie die Rente mit 63 oder die doppelte Staatsbürgerschaft auf den Weg gebracht wurden.

Nahles hofft, "dass sich gute Arbeit auszahlt". Es gebe jetzt Verbesserungen für viele Millionen Menschen. Aber "wir denken vielleicht manchmal zu kurzfristig", wenn es um die Frage gehe, wann sich solche Verbesserungen im Bewusstsein der Menschen verankern. Für die Europawahl dürfte es so gesehen fast schon zu spät sein.

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