Niedergang der Linken vor der Bundestagswahl:Warum die SPD daran scheitert, die Wähler der Linken zu gewinnen

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Die Hoffnung, die Linke könnte die Politik in Deutschland wandeln, hat sich als Illusion herausgestellt. Die Partei konnte bislang nichts grundlegend verändern. Deshalb laufen ihr jetzt die Wähler davon. Die Enttäuschten unter den Enttäuschten suchen eine neue politische Heimat. Doch die SPD wird es nicht werden.

Thorsten Denkler, Berlin

Vergangenen Freitag in Göttingen. Parteitag der Linken. Frauenplenum. Katina Schubert tritt ans Pult. Die Frau war mal stellvertretende Parteichefin der Linken. Bis Oskar Lafontaine sie abgesägt hat. Heute ist sie Landesgeschäftsführerin der Berliner Linken. Der Landesverband sei die "Sicherheitsreserve der Linken" wird Schubert sagen. Nur in Berlin seien die nötigen Direktmandate sicher zu gewinnen, um die Linke in den Bundestag zu bringen, selbst wenn sie die Fünf-Prozent-Hürde nicht schafft. Dass es so kommt, dafür stehen die Chancen gerade ganz gut.

Schubert hält im Frauen-Plenum auch so eine Art Wut-Rede. Nichts im Vergleich zu den testosterongetränkten Auftritten der Matadore Klaus Ernst, Gregor Gysi und Oskar Lafontaine am Tag danach, aber dennoch. Sie analysiert scharf: "Wir waren gut, als wir neu waren! Wir waren gut auf dem Höhepunkt des Protestes gegen Hartz IV! Wir waren gut, solange die Menschen glaubten, wir könnten was verändern!" Pause. Schubert holt Luft. "Wir haben aber nichts grundlegend verändert."

Richtig: Hartz IV gibt es immer noch. Bundeswehrsoldaten sind nach wie vor in Kampfeinsätzen. Es gibt viele Debatten. Aber nichts von dem, was die Linke zu ihren "Haltelinien" zählt, hat sie auch nur im Ansatz in praktische Politik umsetzen können. Und jetzt laufen ihr die Wähler davon. In den Umfragen hat sich ihr Wahlergebnis von 2009 mehr als halbiert. Mit 11,9 Prozent erzielte sie damals ein Rekordergebnis. Jetzt sehen manche Institute die Partei bei sechs, andere bei unter fünf Prozent.

Fleisch vom Fleische der SPD. So sehen viele Sozialdemokraten die Linke. Weil massenhaft SPDler zur WASG übergelaufen sind, bevor sich PDS und WASG zur Linken vereinigt haben. Vor allem aus Protest gegen die Hartz-IV-Reformen. Die neue Linke versprach das Ende von Hartz IV. Sie werde die SPD schon dazu bringen, dem sozialen Kahlschlag abzuschwören, alles rückgängig zu machen. "Hartz IV muss weg, sofort!", lautet der erste Satz im Glaubensbekenntnis der Linken.

Die SPD aber tut nichts dergleichen. Ein paar kleinere Korrekturen am Hartz-System hat sie auf Parteitagen beschlossen. Im Grundsatz aber soll alles bleiben wie es ist. Eine pragmatische Haltung.

Und einer der wesentlichen Gründe dafür, warum die SPD in Umfragen nicht profitiert vom Niedergang der Linken. Die Partei hat es geschafft, sich aus dem 23-Prozent-Loch von 2009 herauszuackern. Aber immer wieder droht sie abzurutschen. Mal 30 Prozent Zustimmung, mal 25, mal 27. Es liegt fast elf Jahre zurück, dass die Partei in einer Emnid-Umfrage über 40 Prozent kam. Damals lag die Linke übrigens auch bei sechs Prozent. Wie heute.

Das Spitzenpersonal, das die SPD in die Bundestagswahl 2013 führt, wird die an die Linke verlorengegangenen Wähler wohl nicht zurückholen können. Mit Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück stehen der Architekt und der schärfste Verteidiger der Hartz-Reformen in der ersten Reihe. SPD-Chef Sigmar Gabriel will die SPD zwar als Mitte-links-Partei positionieren. Aber eine radikale Abkehr von Hartz IV wird es auch mit ihm nicht geben.

Im Gegenteil: Der Name von Hartz-Kanzler Gerhard Schröder wird heute wieder voller Stolz in die Debatten geworfen, wenn es darum geht, die erstaunliche Entwicklung am Arbeitsmarkt zu erklären, während fast alle Länder ringsherum von Krisen geschüttelt werden. Sogar die Gewerkschaften versöhnen sich langsam wieder mit den Sozialdemokraten. Und auch wenn mit Bernd Riexinger jetzt ein Verdi-Funktionär der Linken vorsitzt, die Übermacht der SPD in den Gewerkschaften des DGB wird auch er nicht brechen können.

Die Protestwähler gehen lieber zu den Piraten als zurück zur SPD. Mit vagen Hoffnungen. Oder sie wählen gar nicht mehr. Aus den politisch Enttäuschten von einst sind politisch Hoffnungslose geworden, denen die Linke keine Heimat mehr bieten kann. Janine Wisseler, Fraktionschefin der Linken im hessischen Landtag, hat es so formuliert: "Wir sollten nicht die Illusion schüren, wir könnten grundlegende Dinge verändern." Ein wahrer Satz. Seit diese Hoffnung sich als Illusion herausgestellt hat, ist die Enttäuschung der Enttäuschten unübersehbar.

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