SPD und Grüne nach der Gauck-Nominierung:Einigkeit und Angst und Misstrauen

Sozialdemokraten und Grüne werden nicht müde zu betonen, dass Gaucks Nominierung als Bundespräsident ihre gemeinsame Idee war. Doch die demonstrative Einigkeit trügt. In Wirklichkeit hatte jede Partei Angst, dass die andere ein Geschäft auf ihre Kosten macht.

Michael Bauchmüller und Susanne Höll, Berlin

Sozialdemokraten wie Grüne müssen sich fühlen wie die Schweizer in der Kräuterbonbon-Werbung. Es gibt nur ein Original - der Rest ist Fälschung. Schließlich waren sie es doch, die den Kandidaten Joachim Gauck erfunden haben. Und nicht die FDP, die ihn nun scheinbar durchsetzte.

"Die Kandidatur Joachim Gaucks für dieses Amt war schon 2010 ein Angebot der Grünen und auch der SPD", sagt Grünen-Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke. "Und die anderen Parteien haben diese Idee jetzt mit Verspätung aufgegriffen." Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel wird nicht müde, darauf zu verweisen, wer die Idee Gauck zuerst hatte. Nämlich nicht die FDP.

Dabei waren sowohl SPD als auch Grüne bereit gewesen, auf Gauck zu verzichten, wenn etwa Ex-Umweltminister Klaus Töpfer von der CDU Chancen gehabt hätte. Ohnehin war Gauck noch vor wenigen Wochen bei einigen Grünen auf Vorbehalte getroffen. Mal hatte er sich kritisch zur multikulturellen Gesellschaft geäußert, mal die Occupy-Bewegung kritisiert. Zweifel keimten. Erst der Rücktritt Wulffs wischte sie hinweg. Gleich in den ersten Absprachen vereinbarten SPD und Grüne, Gauck zur gemeinsamen Nummer eins zu erklären. "Alles andere wäre undenkbar gewesen", heißt es in der Grünen-Spitze.

Gegenseitiges Misstrauen

Öffentlich sind die beiden Parteien nun bemüht, große Einigkeit zu demonstrieren. Der Schein aber trügt. Sozialdemokraten und Grüne gingen sich wechselseitig ziemlich auf die Nerven. Jede Seite traute der anderen zu, im Zweifelsfall ein Geschäft zu Lasten des jeweils anderen zu machen. Zwar hatten sich die Führungsspitzen fest versprochen, sich nicht trennen zu lassen. Doch schon als die SPD für Samstagnachmittag eine Pressekonferenz ankündigte, ahnten die Grünen Übles und pochten darauf, mitzukommen.

Dabei hatte, wie es aus der SPD heißt, der bis dahin urlaubende Gabriel nur ein Podium gesucht, ohne große Neuigkeiten verkünden zu wollen. Zudem fürchtete die SPD bis in den Sonntag hinein, die Grünen könnten die Gemeinsamkeit aufkündigen, um ihre Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt zur Bundespräsidentin zu machen.

So weit hätte es durchaus kommen können. Als zwischenzeitlich Andreas Voßkuhle, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, als Kandidat gehandelt wurde, war die Grünen-Spitze prompt alarmiert. Hinter dem Vorstoß wähnten sie eine Absprache zwischen Merkel und der SPD, der Andreas Voßkuhle nahesteht. Die Grünen hätten dem nicht zugestimmt. Hätte Voßkuhle nicht von selbst abgewinkt - gut möglich, dass die Grünen dann Göring-Eckardt aufgestellt hätten. Und gut möglich, dass die SPD für Voßkuhle gestimmt hätte, Gauck hin oder her.

Ähnlich hätte es bei dem einstigen Bischof Wolfgang Huber laufen können, dem die SPD zwar hätte zustimmen können, nicht aber die Grünen: Ein Bischof als Bundespräsident, das war ihnen zu viel der Kirche auf dem höchsten Staatsamt. Nur stellte sich diese Frage erst gar nicht - weil sich die FDP vorher auf Gauck festlegte.

"Das Wahljahr 2013 könnte schwierig werden"

So hat der rot-grüne Praxistest auch das Misstrauen enthüllt, das zwischen SPD und Grünen nach wie vor herrscht. Und obendrein beklagen sich die Sozialdemokraten über die doppelte Doppelspitze bei den Grünen, in Partei und Fraktion. Absprachen mit vier Leuten seien schwierig, besonders wenn die sich untereinander widersprächen. "Das Wahljahr 2013 könnte schwierig werden", seufzt ein SPD-Vertreter. Da wirkten SPD und Grüne im Sommer 2010, als sie gemeinsam mit ihrem Kandidaten Gauck gegen den Koalitionsmann Christian Wulff unterlagen, noch weit harmonischer.

Derweil sind die Sozialdemokraten bemüht, alle - auch grüne - Zweifel an ihrer Aufrichtigkeit auszuräumen. Recht stolz erzählte Gabriel in der SPD-Telefonschalte am Montag nach Angaben von Teilnehmern, dass man ohne Zögern dem Angebot aus der Koalition am Sonntagabend widerstanden habe, einen SPD-Politiker zu nominieren für den Fall, dass Gauck doch scheitert. Das Angebot, unterbreitet von der FDP, hatte dem früheren Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau gegolten.

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