Süddeutsche Zeitung

Rot-grüne Gespräche in Berlin:Auf schwankendem Boden

Eigentlich geht es nur um 3,2 Kilometer Asphalt, doch an dem Streit um die Verlängerung der A100 könnte eine mögliche Koalition zwischen SPD und Grünen in Berlin tatsächlich scheitern. Da es zwischen dem Bau und dem Nicht-Bau einer Autobahn keinen Mittelweg gibt, behelfen sich beide Parteien mit Formelkompromissen. Am Ende wird es darauf ankommen, wie sehr der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit Rot-Grün überhaupt will.

Constanze von Bullion

Gut zwei Wochen ist es her, da wurde im Land Berlin gewählt. Seither haben SPD und Grüne ausdauernd über ein mögliches Regierungsbündnis verhandelt - ohne greifbaren Erfolg. Nach zwei Sondierungsrunden und einem grünen Parteitag trafen sich SPD und Grüne am Dienstag ein drittes Mal im Roten Rathaus, um auszuräumen, was bisher nicht auszuräumen war: die Differenzen über den Ausbau der Berliner Stadtautobahn.

Als sich vier Stunden später die Tür wieder öffnete, erklärten beide Seiten, sie wollten Koalitionsverhandlungen aufnehmen. Ob und welche Lösung da gefunden wurde, blieb ein Geheimnis. Beide Seiten haben Stillschweigen über den Inhalt des Kompromisses vereinbart.

Gesicht wahren, Konflikt vertagen, weiterverhandeln, wenn auch auf schwankendem Boden, das ist und bleibt die Devise bei SPD und Grünen in Berlin. Am Dienstag soll hinter den Kulissen eine neue Kompromissformel gefunden worden sein, mit der beide Seiten leben können. Möglicherweise haben SPD und Grüne sich auf einen Zeitrahmen verständigt, in dem eine Entscheidung über die umstrittene Berliner Stadtautobahn fallen muss. Bestätigen wollte das zunächst keine der Parteien.

Öffentliche Dispute

Die SPD will ohne weitere Rücksprache mit Parteigremien in Koalitionsverhandlungen gehen. Auch bei den Grünen gab man sich optimistisch, trotz schwieriger Verhandlungen und öffentlicher Dispute noch eine Lösung hinsichtlich der Stadtautobahn zu finden - jedenfalls war das vor den Gesprächen am Dienstag noch so. "Unser Kompromiss steht. Da gibt es nichts hinzuzufügen", sagte Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann vor Beginn der dritten Sondierungsrunde. "Die SPD muss jetzt ihre Zuverlässigkeit beweisen."

Aus der SPD kamen ähnliche Töne. Man habe sich an das gehalten, was in den ersten Sondierungen ausgehandelt worden sei, hieß es. Nun müssten die Grünen sich bewegen und beweisen, dass sie bei Thema Stadtautobahn zum Kompromiss bereit seien.

Seit Tagen geht das nun schon so, zwischen SPD und Grünen ist ein lautstarker Disput ausgebrochen, was man hinsichtlich der Autobahn ausgehandelt hat - und wie es zu interpretieren ist. Gestritten wird um 3,2 Kilometer Asphalt, die von Neukölln in die östliche Innenstadt verlängert werden sollen. Klaus Wowereit will das Autobahnstück, weil der Bund 420 Millionen Euro dafür zahlen würde und er auf das Geld nicht verzichten will. Die Grünen wollten es verhindern, weil sie Wohngebiete vor starkem Verkehr schützen und in umweltschonende Technologien investieren wollen. Im Wahlkampf haben sie sich darauf festgelegt, keinen Koalitionsvertrag zu unterzeichnen, in dem der Autobahnbau festgeschrieben wird.

Umwidmung der Autobahngelder fraglich

Da es zwischen dem Bau und dem Nicht-Bau einer Autobahn keinen Mittelweg gibt, hatten die Sondierungsgruppen von SPD und Grünen zunächst einen Formelkompromiss ausgehandelt, der die Entscheidung in die Zukunft vertagte. Darin hieß es, der Ausbau werde "grundsätzlich nicht aufgegeben". Rot-Grün aber wolle versuchen, die 420 Millionen Euro vom Bund umzuwidmen und statt für den Neubau des Autobahnstücks für die Verbesserung bestehender Autobahnen zu verwenden.

Da die Mittel im Bundeshaushalt 2012 nicht eingestellt seien, so argumentierten die Grünen, und 2013 eine Bundestagswahl anstehe, sei unklar, ob die Autobahn je finanziert werde. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) hat diese Überlegungen zurückgewiesen. Eine Umwidmung der Gelder sei unmöglich. Die Grünen dagegen behaupten, sie sei möglich.

Ob es einen Ausweg aus dem Dilemma gibt, hängt maßgeblich von Klaus Wowereit ab. Der Regierende Bürgermeister weiß, dass die große Mehrheit der SPD Rot-Grün favorisiert. Allerdings hätte dieses Bündnis im Abgeordnetenhaus nur eine knappe Mehrheit von zwei Stimmen. Mit der CDU dagegen käme die SPD auf eine Mehrheit von zehn Stimmen. Eine große Koalition wäre so gesehen bequemer, dem starken linken Flügel der SPD allerdings ein Graus. Mit der CDU verbinden viele in der SPD jahrzehntelange Abneigung.

Wie ernst es Klaus Wowereit mit einem rot-grünen Bündnis ist, wurde zuletzt auch in der SPD kritisch hinterfragt. Denn schon bei der Bekanntgabe des ersten Formelkompromisses mit den Grünen, also des Versuchs, die Bundesmittel für die Autobahn umzuwidmen, sagte Wowereit, er sei "sehr skeptisch", ob dies gelinge. Am nächsten Tag erklärte er, jetzt scharf im Ton, die Bagger könnten schon bald anrollen. Dieses Wochenende setzte auch SPD-Chef Michael Müller nach. Die Grünen zeigten keine Kompromissbereitschaft, verweigerten weiter den Autobahnbau. Die Grünen sahen das umgekehrt. Sie hätten, statt das Projekt ganz auszuschließen, einen Bau in der Zukunft offen gelassen.

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SZ vom 05.10.2011/olkl
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