Süddeutsche Zeitung

SPD und die große Koalition:Killer-Kanzlerin? Von wegen!

Genossen im Angstzustand: Der SPD ist ziemlich unwohl bei dem Gedanken an eine Neuauflage der großen Koalition unter Angela Merkel. Die Sozialdemokraten vergessen: Für ihre Niederlage 2009 war weniger die Kanzlerin verantwortlich. Sondern sie selbst.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Die Angst geht um in der SPD. Wer manchem Genossen zuhört, der kann glauben, Bundeskanzlerin Angela Merkel sei eine Art parteienmordendes Monstrum. Ein Polit-Zombie, das alle um sich herum in das Reich der Untoten führen will. Und zwar auf eine perfide Art und Weise, nämlich ruhig und für lange Zeit. In diesem Reich der Untoten, so fürchten die Sozialdemokraten, gibt es zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel.

Nur knapp sei die SPD diesem Schicksal 2009 entronnen, so erinnern sich die Genossen. Mit 23 Prozent kamen die Sozialdemokraten aus der großen Koalition heraus, ein Absturz von knapp elf Prozent, den die Partei nur so eben überlebt hat. Und jetzt die FDP. Merkel habe die Liberalen "ruiniert", wie SPD-Parteichef Sigmar Gabriel am Montag nach der Wahl sagte. Merkel allmächtig also? Eine Frau, gegen die nicht mal Knoblauch und Weihwasser helfen, sobald sich jemand mit ihr eingelassen hat?

Ein bisschen ist ja was dran an dieser Mär. Merkel ist das Gegenmodell zu den Alphamännchen in den anderen Parteien. Ihre Machtspiele fanden nie öffentlich statt. Nur einmal, als sie Umweltminister Norbert Röttgen wegen erwiesener politischer Untreue und nach dessen Wahlniederlage in NRW schasste, da blitzte kurz auf, wozu Merkel hinter den Kulissen fähig ist.

Die Bürger scheinen ihre unprätentiöse Art, die manche als langweilig empfinden, zu mögen. Sie wirkt ganz anders als Raufbolde wie FDP-Ex-Spitzenmann Rainer Brüderle und SPD-Ex-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück - und es hat ihr nicht geschadet.

Die SPD war instabil

Doch ist die Politikerin Angela Merkel wirklich der alleinige Grund, weshalb SPD und FDP das Bündnis mit ihr später bereuten? Eher nicht. Die wahre Gegnerin beider Parteien war nicht die Kanzlerin. Wenn Parteien vor irgendetwas Angst haben müssen, dann in der Regel vor sich selbst. Das gilt jetzt vor allem für die SPD, in der viele mit dem Verweis auf Merkels angebliche Killer-Künste lieber in der Opposition bleiben würden, als sich von der Kanzlerin erneut kaltmachen zu lassen.

Richtig ist: Die große Koalition von 2005 bis 2009 gilt aus heutiger Sicht als durchaus erfolgreich. Die einsetzende Wirtschafts- und Finanzmarktkrise machte ihr schwer zu schaffen, doch mit Abwrackprämie, Konjunkturprogrammen und Kurzarbeitergeld hielten Union und SPD den deutschen Dampfer über Wasser.

Zeitgleich aber gab die SPD ein desaströses Bild ab. Innerhalb von vier Jahren verbrauchte die Partei fünf Vorsitzende. Franz Müntefering ging noch vor der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages, weil er seinen Kandidaten für das Amt des Generalsekretärs nicht durchbringen konnte. Matthias Platzeck ging wenige Monate später, weil er dem Amt gesundheitlich nicht gewachsen war.

Dann kam Kurt Beck. Der gemütliche Landesvater von Rheinland-Pfalz war das letzte Aufgebot der Sozialdemokratie damals. Intellektuell überfordert, von den sozialdemokratischen Strippenziehern in Berlin gemobbt, lernte der Vorsitzende die Partei von einer ganz hässlichen Seite kennen. Es kam die Nacht der langen Messer. Am Schwielowsee wurde Beck im Herbst 2008 politisch entsorgt. Frank-Walter Steinmeier übernahm das Amt kommissarisch für einen Monat. Um es dann erneut Franz Müntefering zu überlassen. Steinmeier wurde Kanzlerkandidat. Und war in dieser Rolle ähnlich überfordert wie Beck als Parteichef. Er hatte als Außenminister seiner Chefin Merkel einfach zu wenig entgegenzusetzen.

Dazu kam, dass Franz Müntefering praktisch im Alleingang die Rente mit 67 durchsetzte. Mit dieser Entscheidung hadert die Sozialdemokratie noch heute. Und dann war da noch die Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte auf 19 Prozent. Im Wahlkampf 2005 hatte die SPD so etwas noch gänzlich ausgeschlossen, am Ende gelang ihr nicht einmal ein Kompromiss: CDU und CSU hatten im Wahlkampf nur zwei Prozent mehr gefordert.

Ebenfalls in die schwarz-rote Zeit fiel der Beginn des Streits um das rot-grüne Agenda-2010-Vermächtnis - und die Verschärfung der Reformen. Hartz-IV-Empfänger mussten plötzlich nachweisen, nicht in eheähnlichen Lebensgemeinschaften zu leben, wenn sie sich eine Wohnung teilten. Seit 2007 wird von unter 25-Jährigen verlangt, dass sie weiter bei ihren Eltern wohnen. Hartz-IV-Empfängern konnten die Leistungen nun sogar um 100 Prozent gekürzt werden, wenn sie ihren Pflichten nicht nachkamen.

Die Linke schlug daraus massiv Kapital. Umso mehr nach dem Zusammenschluss von WASG und Linkspartei.PDS. Beide Parteien wurde im Juni 2007 zur gemeinsamen Linken. Symptomatisch für die SPD war in den Jahren der unklare Umgang mit der ungeliebten Konkurrenz. Beispiel Hessen. Vor der Wahl 2008 hatte Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti ein Bündnis noch ausgeschlossen. Die SPD gewann bei der Wahl 7,7 Prozentpunkte und landete bei 36,7 Prozent. Für Rot-Grün reichte es nicht. Ypsilanti versuchte es doch mit der Linken. Die Mehrheit war knapp, einige Abgeordnete der SPD verweigerten sich. Das Projekt scheiterte. Die Neuwahl im Januar 2009 wurde für die SPD zum Desaster: 23,7 Prozent. Ein Minus von 13 Prozentpunkten. Und das im Jahr der Bundestagswahl.

Es finden sich in den Jahren 2005 bis 2009 also genug Gründe, weshalb die Bürger damals das Vertrauen in die SPD verloren. Merkel hat diese Schwäche lediglich genutzt, indem sie den enttäuschten SPD-Anhängern im Wahlkampf keinen Grund gab, zur Wahl zu gehen. Das mag der finale Stoß gegen die SPD gewesen sein. Die Vorbereitungen dazu hat die SPD selbst getroffen.

Das gilt auch für die FDP. Dass die Liberalen jetzt nicht mehr im Parlament sind, kann kaum alleine Merkel angelastet werden. Da war das großspurige Auftreten von Parteichef Guido Westerwelle nach dem Wahlsieg 2009. Die 14,6 Prozent waren sein Erfolg. Die fünf Prozent in den Umfragen wenige Monate später aber auch. Seine Unfähigkeit, das Selbstverständnis des lautstarken Oppositionsführers hinter sich zu lassen und in den neuen Rollen als Außenminister, Vize-Kanzler und Chef der Regierungspartei FDP anzukommen, lösten jene Krise aus, von der sich die FDP nicht mehr erholte.

Dazu kamen: nicht gehaltene, weil überzogene, Wahlversprechen. Statt Steuersenkungen für alle gab es eine Steuersenkung für Hoteliers. Und kurz darauf faselte Westerwelle im Zusammenhang mit Hartz-IV-Empfängern von "spätrömischer Dekadenz". Der kalte Neoliberalismus war zurück.

Wer stark ist, muss Merkel nicht fürchten

Als Westerwelle gegangen war, kam für ihn der begabte wie überforderte Philipp Rösler. Der sich dann umgehend im Dauerclinch mit Rainer Brüderle wiederfand. Dem hatte Rösler das geliebte Wirtschaftsministerium entrissen. Brüderle wurde dann "Spitzenmann" für die Bundestagswahl, sah sich umgehend nicht ganz unberechtigt Sexismus-Vorwürfen ausgesetzt. Seine Partei eichte er im Wahlkampf darauf, vor allem Steuerhöhungen zu verhindern und vor Rot-Rot-Grün zu warnen. An eigenen programmatischen Angeboten fehlte es. Der Gipfel war die Schmach, mit Zweitstimmen für die FDP zu werben, damit Merkel Kanzlerin bleiben könne. Spätestens in diesem Moment verpasste Brüderle der FDP den letzten Schubs in die außerparlamentarische Opposition.

Unbestritten ist Merkels Stärke: Sie bleibt cool. Sie lässt sich nicht aus der Fassung bringen, wartet geduldig ab, bis sich ihre Gegner gegenseitig zerfleischt haben. Das ist etwas, was sie wie keine Zweite kann. Manchem mag diese Ruhe der Kanzlerin wie eine ständige Provokation vorkommen.

Die Schwäche ihrer Gegner ist, dass sie diese Gelassenheit nicht aufbringen. Wie sagte es Philipp Rösler nach der Wahl in einem Moment der Wahrhaftigkeit? "Wir wissen, dass diese FDP ganz bewusst abgewählt wurde." Das bedeutet auch: Wer selbst stark ist, muss Merkel nicht fürchten.

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