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Bundestagswahl:So kann die SPD die Kanzlerin doch noch schlagen

Kanzlerin Merkel ist extrem beliebt. In aktuellen Umfragen hängt sie ihre möglichen Herausforderer von der SPD weit ab. Die Sozialdemokraten haben keine Chance - aber sie können sie nutzen. Weil die Kanzlerin nur noch sich selbst hat und damit mehr Risiken eingeht als 2009.

Thorsten Denkler, Berlin

Würden die drei von der SPD nur den Zahlen vertrauen, sie könnten einpacken. Einer von ihnen wird Kanzlerkandidat der SPD werden. Würde demnächst und nicht erst in einem Jahr gewählt, sie wären chancenlos. Für Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück kann bereits die neue Forsa-Umfrage des Sterns ein Grund sein, depressiv zu werden: 49 Prozent der Wähler würden sich für Merkel entscheiden, müsste sie gegen Steinmeier antreten, dieser käme auf 26 Prozent. Die Begegnung Merkel-Steinbrück ginge 50 zu 28 Prozent aus. Für SPD-Parteichef Sigmar Gabriel sieht es noch schlechter aus: 60 zu 16.

Bei solchen Zahlen braucht sich wirklich keiner die Mühe machen anzutreten. Gabriel will ja offenbar auch nicht mehr. Im Moment wäre er auch mehr Problem als Lösung, wenn es darum geht, Merkel Konkurrenz zu machen.

In der SPD steigt die Nervosität. Derart niederschmetternde Daten sind selbst ein Jahr vor der Bundestagswahl nicht leicht zu verkraften. Und doch: Die SPD hat noch Chancen, geringe zwar, aber es gibt sie. Dazu muss sie sich allerdings sehr tiefgehend mit einer Frage befassen: Was ist die SPD, was will sie und mit wem?

Merkels scheinbarer Erfolg hängt mit einer Strategie zusammen, die schon im Bundestagswahlkampf 2009 gezogen und die sie seitdem nicht verlassen hat: die "asymmetrische Demobilisierung".

Kurz gesagt bedeutet das nichts anderes, als die in Politik übersetzte Erkenntnis: Wenn ich nicht stark genug bin, muss der Gegner eben schwächer werden.

Die Ausgangslage: Allen Parteien brechen die Stammwähler weg. Die Zahl der Wechselwähler steigt. Die CDU hat dabei aber den kleinen strategischen Vorteil, dass ihre Wähler selbst dann noch zu den Urnen gehen, wenn es stürmt und regnet. Einfach um sicherzustellen, dass am nächsten Morgen kein Sozialdemokrat im Kanzlersessel sitzt.

Wähler der Sozialdemokraten dagegen fragen sich - verkürzt gesagt - erst mal, warum sie auch diesmal wieder SPD wählen sollen. Finden sie darauf keine befriedigende Antwort oder haben sie den Eindruck, dass es ja doch keinen Unterschied gibt zwischen CDU und SPD, dann bleiben sie eher zu Hause.

Diese Tatsache hat die Union 2009 mit der Strategie "asymmetrische Demobilisierung" massiv für sich genutzt. Das Ergebnis ist bekannt. CDU und CSU landeten zwar bei mageren 35 Prozent. Die SPD aber bei entwürdigenden 23 Prozent.

Inzwischen will die CDU einen Mindestlohn, die Frauenquote und die Energiewende. Themen, die bisher eher dem linken Lager zugerechnet wurden. Das spricht dafür, dass auch 2013 die "asymmetrische Demobilisierung" für Merkel die Waffe der Wahl sein dürfte. Nur sind diesmal die Sozialdemokraten dem nicht ganz so schutzlos ausgeliefert wie vor drei Jahren.

Das liegt zunächst an den veränderten Voraussetzungen.

[] Die eklatante Schwäche der FDP lässt einen Lagerwahlkampf Schwarz-Gelb gegen Rot-Grün nahezu aussichtslos erscheinen. Merkel strebt zwar eine Wiederauflage der bürgerlichen Koalition an. Aber das ist kaum mehr als ein Lippenbekenntnis. Ihr Lager hat seit 2009 gut acht Prozentpunkte an Zustimmung verloren. Die Arbeit der Bundesregierung insgesamt wird rundweg als dürftig beschrieben. Mit dieser Regierung kann sie beim besten Willen nicht werben wollen. Merkel ist auf sich zurückgeworfen. Ihr einziges Ziel kann nur sein: Machterhalt mit wem auch immer und mit ihr als Kanzlerin.

[] Union und FDP stehen damit in direkter Konkurrenz zueinander, während sie noch 2009 Hand und Hand dem Wahltag entgegenmarschierten. Ein schwarz-grünes Bündnis gilt zwar als ausgeschlossen. Doch dass die FDP mit Grünen und SPD in eine Ampel-Koalition gehen könnte, ist kein völliges Hirngespinst. Die FDP steckt mitten in einem Überlebenskampf. Da nimmt sie jeden Strohhalm, der ihr zur Verfügung steht.

[] Die FDP wird ihr Heil deshalb in der Mitte suchen müssen und nicht wie 2009 rechts von der Mitte. Das wiederum kann zu einer Demobilisierung der konservativen Wählerschaft führen und die relative Schwäche der CDU noch deutlicher spürbar werden lassen. Die haben schon mit der Abkehr von der Abkehr vom Atomausstieg und dem Ende der Wehrpflicht genug Probleme.

[] Die CSU ist, im Gegensatz zu 2009, ein erheblicher Störfaktor geworden. Anders als Merkel setzt CSU-Chef Horst Seehofer hart auf bayerische Themen, um die Landtagswahl 2013 zu überstehen. Das in der CDU hoch umstrittene Betreuungsgeld ist Teil dieser Strategie. Merkels Botschaft an die SPD-Anhänger, dass sie nicht zur Wahl gehen brauchen, weil mit der CDU alles schon nicht so schlimm wird, die wird von Seehofer konterkariert.

Die CDU mag einige Prozentpunkte vor der SPD liegen, aber darauf ausruhen kann sie sich in dieser Gemengelage nicht. Denn die SPD besitzt einige Angriffspunkte gegen eine CDU, die derzeit einzig und allein von der Reputation der Kanzlerin lebt.

Manche sagen, die SPD im Bund müsse es machen wie Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen. Da ist was dran. Sie hat das Herzland der Sozialdemokratie recht eindrücklich zurückerobert mit ihrem Konzept des "vorsorgenden Sozialstaates". Heute in Bildung investieren und morgen weniger Sozialhilfe zahlen - das ist die Kurzfassung. Damit hat sie sich ein Alleinstellungsmerkmal erarbeitet, das weder CDU noch FDP so übernehmen konnten, die ja vor allem auf Haushaltssanierung setzen.

Kraft verkörpert damit aber auch einen radikalen politischen Richtungswechsel - weg von einer Fokussierung allein auf Finanz- und Haushaltspolitik hin zu einer Politik der Fürsorge.

Tatsächlich ist die Flanke Sozialpolitik derzeit ziemlich offen in der Union. Merkel interessiert mehr die Euro-Rettung. Auf die Frage, was geschieht, wenn die Banken- und Schuldenkrise sich zur Sozialstaatskrise in Deutschland auswächst, hat sie keine Antworten. Im Rentenstreit verlangt sie nur, dass sich ihre Arbeitsministerin Ursula von der Leyen mit den Sozialpolitikern einigt - wie auch immer. Den halbherzigen Mindestlohnvorstoß ihrer Partei hat sie eher desinteressiert geschluckt, ohne sich dafür sonderlich starkzumachen.

Die Generationenfrage, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich. Die vielen Mini-Jobber und prekär Beschäftigten, all das könnte die SPD zu einem Großen und Ganzen zusammenfügen. Sie muss wie Kraft ihren Anhängern einen radikalen Politikwechsel versprechen, der nur mit der SPD möglich wäre. Nur so lassen sich Wähler mobilisieren.

Dafür muss die Partei jedoch schnell ihr Führungsproblem klären. Die unbeantwortete K-Frage lähmt die Partei - auch inhaltlich. Es braucht Zeit, bis inhaltliche Forderungen in den Köpfen der Menschen verankert sind. Kraft hat dafür zwei Anläufe gebraucht. Darum ist eine gewisse Eile geboten.

Dem möglichen Kanzlerkandidaten kann nämlich kein Programm aufgedrückt werden, das er nicht vertreten will. Programm und Person müssen eins sein, sonst fehlt dem Kandidaten das wichtigste Gut: Glaubwürdigkeit. Und selbst wenn er die Glaubwürdigkeit besitzt, hat die SPD keine Chance, den Kanzler zu stellen. Aber sie kann ja wenigstens versuchen, sie zu nutzen.

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