SPD und CSU für Volksabstimmungen auf Bundesebene:Endlich mitbestimmen!

Mitten in die schleppend laufenden Verhandlungen über eine große Koalition kommen ein CSU- und ein SPD-Mann mit der größten Überraschung um die Ecke: Volksentscheide auf Bundesebene. Sie wollen zwar nur einen behutsamen Einstieg wagen. Aber schon das wäre ein Riesenerfolg für die Demokratie.

Ein Kommentar von Thorsten Denkler, Berlin

Es ist die erste echte Überraschung in den Koalitionsverhandlungen, die CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich und sein SPD-Ko-Chef der Arbeitsgruppe "Innen", Thomas Oppermann, da ausgeheckt haben. Wenn es zu einer großen Koalition kommt, dann soll sie bundesweite Volksentscheide möglich machen. Auf einem Din-A4-Blatt haben die Beiden skizziert, wie dies aussehen könnte.

Die SPD hat schon 2002 zusammen mit den Grünen ein Gesetz über Volksentscheide in den Bundestag eingebracht. Es scheiterte damals knapp an der nötigen Zwei-Drittel-Mehrheit. Das lag vor allem an der CDU. Noch ist nicht klar, was die Merkel-Partei eigentlich von diesem neuen Vorstoß hält. Die CSU fordert seit Jahren Volksentscheide - gerne, wenn es darum geht, Europa in die Schranken zu weisen. Im gemeinsamen Wahlprogramm von CDU und CSU zur Bundestagswahl aber taucht die Frage gar nicht auf.

Bürgerbeteiligung ist überfällig

Die CDU wird sich dem Vorschlag diesmal kaum entziehen können. Volksentscheide auf Bundesebene sind überfällig. Auf Landesebene haben sie sich etabliert. Viele Politiker treibt dennoch die Sorge um, wie sie öffentlich dastehen, wenn der Souverän, das Volk, ihnen die Richtung weist. Tatsächlichen Machtverlust muss allerdings keiner befürchten. Das zeigen die Erfahrungen aus Bayern. Die CSU hat hier wichtige Volksentscheide und -begehren zum Beispiel zum Rauchverbot und den Studiengebühren verloren. Und heute? Hat Seehofer die absolute Mehrheit. Das sollte die Zauderer in der CDU beruhigen.

Es gibt auch sonst wenig Grund, Angst vor Plebisziten zu haben, vor allem wenn sie sich in den engen Grenzen bewegen, die Friedrich und Oppermann ausgehandelt haben. Die Bürger sollen nur zu beschlossenen Gesetzen innerhalb von sechs Monaten einen Volksentscheid erzwingen können - wenn sie dafür eine Million Unterstützer finden. Ein Volksbegehren, also die Möglichkeit, ganze Gesetze per Volksentscheid auf den Weg zu bringen, soll es dagegen nicht geben.

Damit haben Friedrich und Oppermann eines der Hauptargumente der CDU gegen bundesweite Volksabstimmungen anerkannt: Die Gesetzgebung sei zu komplex, um sie einzelnen Interessengruppen zu überlassen, deren Vorschläge dann zur Abstimmung stünden, hieß es immer wieder.

Berliner Strominitiative wollte repräsentative Demokratie aushebeln

Da ist ja auch was dran: Jüngst haben die Berliner über ein Gesetz des "Berliner Energietisches" abstimmen können, mit dem ein öko-soziales Stadtwerk hätte gegründet werden müssen, das die Berliner mit Strom versorgt. So sympathisch die Idee war, sie ist auch daran gescheitert, dass die Initiatoren nichts dem Zufall überlassen wollten. Das Gesetz war bis in Details ausformuliert. Kein Bürger hat da noch durchblicken können, was er mit einem Ja zu dem Vorschlag auslösen würde.

Warum sollte er auch? Dafür hat er schließlich Vertreter in das Abgeordnetenaus von Berlin geschickt. Deren demokratisch legitimierter Job ist es, sich tief in ein Thema einzuarbeiten. Und dann zu entscheiden. Die Initiatoren des Strom-Volksbegehrens glaubten, es besser zu können als das gewählte Parlament. Sie haben versucht, die repräsentative Demokratie auszuhebeln.

Der Vorstoß von Friedrich und Oppermann ist da besser. Das Volk kann zunächst lediglich Gesetze korrigieren oder wieder abschaffen, die es für falsch hält. Das wäre ein "behutsamer Einstieg" in mehr direkte Demokratie, wie die beiden schreiben. Und ein großer Erfolg von Bewegungen wie "Mehr Demokratie", die in den vergangenen Jahren nicht müde geworden sind, für bundesweite Plebiszite zu werben. Sie waren ihrem Ziel noch nie so nahe.

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