SPD streitet über Kurs:Die Flügel kämpfen wieder

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Mit einem Positionspapier bohren 60 Genossen in den Wunden der Sozialdemokratie. Dabei wollen sie nur endlich über Inhalte reden.

Thorsten Denkler, Berlin

Es ist nicht ganz klar, in welcher Gemütsverfassung SPD-Parteichef Kurt Beck Papiere studiert, in denen mal wieder eine Abkehr von der Agenda 2010 gefordert wird. Erheitern dürften sie ihn kaum.

Beginn aller Qualen für die SPD: Die Agenda 2010 mit ihren Hartz-Gesetzen. (Foto: Foto: ap)

Am Montag soll er in der Parteivorstandssitzung lediglich gesagt haben, das Neueste ihm vorliegende Papier leiste einen "Beitrag" für das noch zu entwickelnde Wahlprogramm der Sozialdemokraten. Das können die Autoren auch getrost als größtmögliche Abfuhr werten.

Die Parteilinken haben sich zusammengetan und auf etwas mehr als zwei Seiten ihre Grundanforderungen an eine sozialdemokratische Politik der kommenden Jahre zusammengefasst.

60 linke SPD-Politiker, größtenteils Abgeordnete des Bundestages, und führende Gewerkschafter haben das Papier unterzeichnet, das sueddeutsche.de vorliegt.

Es sind Sozialdemokraten aus der dritten bis vierten Reihe. Die bekanntesten Namen sind noch die ehemalige Justizministerin Hertha Däubler-Gmelin und Ottmar Schreiner, der im Saarland Arbeitsminister werden soll, falls die SPD dort die Wahl 2009 gewinnt. Aber mit dem Papier bohren sie in Wunden, die offenbar noch nicht verheilt sind. Das Stichwort lautet Agenda 2010.

Ein Papier mit Streit-Potential

Unter der Überschrift "Reichtum nutzen, Armut bekämpfen, Mittelschicht stärken" beklagen die Autoren die immer größere werdende Schere zwischen Arm und Reich.

Die Einkommensverteilung klaffe so weit auseinander wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik, heißt es in dem Papier. Die Ursache sei "die Deregulierung des Arbeitsmarktes und die Schwächung der Tarifautonomie". Also: die schröderschen Reformen.

Dabei haben die Sozialdemokraten auf ihrem Hamburger Parteitag im Oktober mit einem neuen Grundsatzprogramm versucht, die Partei mit ihrer jüngsten Reform-Vergangenheit zu versöhnen. Die Autoren des Papiers aber gehen in einigen Punkten über das Parteiprogramm hinaus. Zum Teil stehen sie den Hamburger Beschlüssen sogar entgegen.

Die Rente mit 67 etwa, in Hamburg noch mit zusammengebissen Zähnen angenommen, wollen die Unterzeichner gleich ganz abschaffen. Weitere Forderungen: Die Ein-Euro-Jobs sollen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt, die Hartz-IV-Sätze erhöht, Praxisgebühren und Zuzahlungen im Gesundheitswesen zurückgenommen werden.

In der Steuerpolitik verlangen die Unterzeichner die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und eine Erbschaftssteuer, die wenigstens zehn Milliarden Euro einbringen soll. Derzeit ringt Finanzminister und SPD-Vize Peer Steinbrück noch mit der Union, die Erbschaftssteuereinnahmen nicht unter vier Milliarden Euro sinken zu lassen.

Das Papier könnte geeignet sein, die Flügelkämpfe in der SDP neu zu entfachen. Der thüringische SPD-Partei- und Fraktionschef Christoph Matschie reagierte auf das Papier, indem er vor einer Abkehr von der Agenda 2010 warnt. Kanzler Gerhard Schröder habe damit Deutschland stabilisiert, wirtschaftlich wieder erfolgreicher gemacht und die Arbeitslosigkeit gesenkt. So sehen das die Konservativen in der SPD.

Führende Parteilinke sind deshalb bedacht, die Bedeutung des Papiers herunterzuspielen. Der schleswig-holsteinische SPD-Vorsitzende Ralf Stegner etwa verweist auf das Hamburger Parteiprogramm, das es jetzt umzusetzen gelte: "Ich sehe gar keinen Bedarf für eine Revision in die eine wie in die andere Richtung." Und selbst die hessische SPD-Spitzenfrau Andrea Ypsilanti erklärt das geltende Parteiprogramm für verbindlich: "Auf diesen Grundsätzen muss das Wahlprogramm erstellt werden."

Mitunterzeichner Klaus Barthel, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Bayern, tritt dem Eindruck entgegen, mit dem Papier werde der Kampf gegen die Reformer weitergeführt. Es gebe lediglich zwei Gründe, das Papier jetzt und mit diesen Inhalten zu präsentieren, sagt er sueddeutsche.de.

Zum einen wollen die Autoren damit erreichen, dass sich die SPD zur Bundestagswahl in der Sozial- und Wirtschaftspolitik "eindeutig positioniert". Der zweite Grund sei, dass in den vergangenen Wochen mehr über Personen und Koalitionen geredet wurde als über Inhalte. Barthel: "Das wollen wir mit dem Papier ändern."

Johannes Kahrs, Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, glaubt dagegen nicht, dass sich mit dem Papier irgendetwas ändern wird. Das Meiste könne er ohnehin unterschreiben, sagt Kahrs. Und die wenigen strittigen Punkte, wie die Rücknahme der Rente mit 67, "werden nicht Beschlusslage der SPD werden, weil sie in Hamburg anders entschieden worden sind." Das Papier sei deshalb vor allem eines, sagt Kahrs: "Überflüssig."

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