Süddeutsche Zeitung

SPD-Streit mit Steinbrück und Gabriel:Wenn die Nerven blank liegen

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SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück wirft Parteichef Gabriel Illoyalität vor, die Basis reagierte verstört. Erst als Steinbrücks Frau auf dem kleinen Parteitag spricht und sogar ihren Mann zu Tränen rührt, zeigen die Delegierten spontan ihre Solidarität. Ein kleines Wunder.

Von Susanne Höll, Berlin

Als Kanzlerkandidat Peer Steinbrück zusammen mit seiner Frau und zwei Dutzend namhafter Sozialdemokraten kurz vor 12 Uhr beim kleinen Parteitag in Berlin eintrifft, besitzt er, vorsichtig gesagt, nicht die Sympathien seiner ganzen Partei. Fassungslos hatten etliche Delegierte am Vorabend gelesen, dass es 98 Tage vor der Wahl schwere Spannungen in der Führungsspitze gibt und Steinbrück dem Vorsitzenden Sigmar Gabriel kaum verhüllt Illoyalität attestiert - unter Parteikollegen der schlimmstmögliche Vorwurf. Warum man überhaupt noch Wahlkampf mache, fragten sich die höflicheren unter den verstörten Sozialdemokraten. Die weniger Höflichen fragten, ob die Herren an der Spitze ihren Verstand beieinander haben. Dieses Parteitreffen, gedacht zur Belebung des ohnehin schwierigen Wahlkampfes, droht zum Fiasko zu werden.

Doch schon eine gute Stunde später macht der Kandidat in den eigenen Reihen wieder einigen Boden gut. Zu verdanken hat er dieses kleine Wunder einzig und allein seiner Frau Gertrud. Die sollte, im Gespräch mit ihrem Mann und der Fernsehmoderatorin Bettina Böttinger, auf offener Bühne erzählen, wie es so zugeht in der Familie Steinbrück und welch ein Typ ihr oft als kalter, dünkelhafter Technokrat beschriebener Gatte in Wahrheit ist. Das tut sie auch - und rührt ihren Mann an einer Stelle buchstäblich zu Tränen.

Man hatte schon erfahren, dass Peer Steinbrück bis zum Tag seiner Nominierung der Mumm fehlte, seiner Familie die Wahrheit über seine Pläne zur Kandidatur zu sagen. Dass er ein guter Handwerker ist, nahezu atombombensichere Vogelhäuser baut und nichts von Ehefrauen hält, die sich daheim jahrzehntelang um Mann und Kinder kümmern und auf einen Beruf verzichten. Bei einer anderen Frau hätte ein solches Gespräch über die menschlich-allzumenschlichen Seiten eines Politiker-Partners peinlich werden können. Aber Gertrud Steinbrück, Biologie-Lehrerin in Bonn, ist ebenso scharfzüngig wie ihr Mann, unprätentiös und schlagfertig.

Sehr hübsch erzählt sie, warum es im Hause Steinbrück keine Fototermine gibt. Vor 20 Jahren wurde ein Journalist eingeladen, um die Familie beim gemeinsamen Frühstück abzulichten. X-mal mussten Gertrud und die drei Kinder die Treppe hinabsteigen, wo sie von Peer Steinbrück erwartet wurden. Mit solch gestelltem Zeug sei künftig Schluss, entschied die Ehefrau damals. Der Saal lacht und klatscht. Mit der Heiterkeit ist es dann allerdings schnell vorbei. Böttinger möchte über den schwierigen Wahlkampfstart reden, den, wie sie sagt "Shitstorm", der über Steinbrück hinwegfegte. Gertrud Steinbrück erzählt, wie sie diese Zeit erlebte.

Sie, die von den Plänen zur Kandidatur überhaupt nichts hielt, nimmt ihren Mann in Schutz. Die Medien suchten stets die "kleinen Gemeinheiten", "Sottisen", immer nach schlechten Nachrichten. "Das finde ich schwer zu ertragen", sagt sie und fragt laut, warum man sich das eigentlich alles antut. Genau das will Böttinger von Steinbrück wissen. Der schaut auf den Boden und schweigt. Vom Saal aus sieht man - er kämpft mit seiner Fassung. Die Ehefrau bemerkt es auch, streckt die Hand nach seinem Arm aus. Steinbrück bedeutet ihr mit einer Handbewegung, ihn nicht zu berühren. In den Delegiertenreihen stehen die ersten Leute auf. Die Prominenz auf der Bühne weiß zunächst nicht, was los ist. Sie sieht nur Steinbrücks Rücken, nicht seinen Kampf mit sich selbst. Aber schnell steht der Saal, man applaudiert lange dem Mann, dessen Nerven blankliegen. Man verzeiht ihm, stützt ihn, trägt ihn. Wieder einmal.

Der Vorsitzende war bemüht, die Gemüter zu besänftigen

Auch Sigmar Gabriel ist aufgestanden und klatscht. Er muss außer sich gewesen sein, als er am Freitag vernahm, was Steinbrück dem Spiegel erzählt hat. Einige fragten sich, ob er überhaupt noch auf dem Parteitag reden würde. Dem Vernehmen nach hatten die beiden vor dem Sonntag mehrfach miteinander gesprochen, die Sache aber offenkundig nicht klären können. Gabriel fühlt sich zu Unrecht angegriffen; Steinbrück und andere in der Partei fanden dagegen, es sei nun allerhöchste Zeit, dem umtriebigen, brummkreiseligen Vorsitzenden, der ständig mit neuen Ideen und unabgestimmten Vorschlägen die Wahlkampfplanung durcheinander bringe, die Grenzen aufzuzeigen.

"Sigmar versteht die Dinge erst, wenn sie richtig wehtun", beschreibt einer die Gemengelage in der SPD-Führungsmannschaft. Der Kandidat hatte, so wird versichert, in den vergangenen Wochen den Eindruck gewonnen, Gabriel halte ihn und alle anderen für Polit-Deppen, die keinen Wahlkampf auf die Beine kriegen. Als Gabriel-Marionette will Steinbrück aber nicht auftreten.

Der Vorsitzende war am Sonntag sehr bemüht, die Gemüter zu besänftigen. Schon in der Sitzung des Parteivorstandes vor dem Konvent sagte er nach Teilnehmerangaben, dass der Kandidat das Sagen habe und auch den Parteichef zur Ordnung rufen dürfe. Die Luft, so sagen die Teilnehmer, sei danach frischer gewesen. In dieser Runde stellte niemand die Frage, ob denn die Häuptlinge keine anderen Wege hätten, um sich in heiklen Fragen auszutauschen. Stattdessen beteuerten hinterher alle, wie wichtig Geschlossenheit sei und dass man nun nach vorn schauen wolle. Vorn, auf der Parteitagsbühne prangt das Partei-Motto "Das WIR entscheidet". Man könne selbst noch üben, kommentierte ein verstörter Sozialdemokrat diesen Slogan.

Gabriel spricht von seiner politisch-privaten "Ehe" mit Steinbrück

Und auch beim Parteitag, bei dem das eigentliche Thema, die Familienpolitik, keine Rolle mehr spielte, versuchte Gabriel, die Mitglieder zu beruhigen. Ungeplant ergriff er als erster das Wort und sprach von seiner politisch-privaten "Ehe" mit Steinbrück, in der es fröhlich zugehe, manchmal aber eben auch Reibungen gebe. Mit der Bemerkung, dass eine stumme Partei eine dumme Partei sei, versucht er, dem Wirbel noch etwas Gutes abzugewinnen.

Das aber werden weder die eigenen Leute noch die Wähler glauben. Die könnten auf die Idee kommen, dass in der SPD-Führung der Siegeswille längst verflogen ist und schon jetzt nach den Schuldigen für eine weitere bittere Wahlniederlage gesucht wird. Für die SPD ist das gefährlich. Das weiß auch Gabriel. Aus seiner Ansprache im Parteivorstand wird er mit der Warnung zitiert, es dürfe jetzt nicht um die Frage gehen, wer die Verantwortung für das Ergebnis am 22. September trage. Dabei ist die Antwort klar: Der Kandidat, zusammen mit dem Vorsitzenden, der den Herausforderer ins Amt bugsierte.

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SZ vom 17.06.2013
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