SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft im Interview:"Die Piraten sind Mitbewerber wie alle anderen auch"

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Landesmama oder "Schuldenkönigin"? In Umfragen liegen Hannelore Kraft und die SPD weit vor der CDU. Dennoch warnt die NRW-Ministerpräsidentin vor der Landtagswahl am Sonntag, ihre Partei müsse kämpfen bis zum Schluss. Im SZ-Gespräch verrät sie, wie ihr Verhältnis zu CDU-Kandidat Norbert Röttgen ist, was sie von den Piraten hält - und weshalb sie selten Currywurst essen darf.

Michael König

Hannelore Kraft, 50, ist seit 2010 SPD-Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen. Ihre rot-grüne Minderheitsregierung scheiterte Mitte März am Haushaltsentwurf für 2012, am Sonntag kommt es deshalb zu Neuwahlen in dem bevölkerungsreichsten Bundesland. In Umfragen liegen die Sozialdemokraten mit sechs bis sieben Prozent vor der CDU und ihrem Spitzenkandidaten Norbert Röttgen. Dennoch reiht Kraft Wahlkampftermin an Wahlkampftermin. Interviews werden zwischendurch geführt, in diesem Fall am Telefon, mit einer Stunde Verspätung. Kraft entschuldigt sich: Ihr Flug habe sich verzögert.

Hannelore Kraft will Ministerpräsidentin in NRW bleiben: "Wir kämpfen bis zur letzten Minute." (Foto: dpa)

Süddeutsche.de: Frau Kraft, wenn Sie ein Ministerium den Piraten abgeben müssten, welches wäre das?

Hannelore Kraft: Darüber denke ich überhaupt nicht nach. Die Runde der Spitzenkandidaten im WDR-Fernsehen war aber sehr aufschlussreich.

SZ: Dort waren Sie mit dem Spitzenkandidaten der Piraten, Joachim Paul, erstaunlich häufig einer Meinung ...

Kraft: ... das habe ich anders empfunden ...

SZ: ... und Paul bot Ihnen sogar an, das Programm der Piraten gemeinsam einem Realitätscheck zu unterziehen. Nehmen Sie an?

Kraft: Das habe ich nicht gehört. Aber es wäre ohnehin keine Option. Die Piraten sind bisher nicht in der Lage, zu den wichtigen landespolitischen Themen Antworten zu geben. Sie sind aber ein Mitbewerber wie alle anderen auch, mit denen wir uns inhaltlich auseinandersetzen.

SZ: Sie selbst haben - nach Meinung vieler Kommentatoren - sowohl im TV-Duell als auch in der Elefantenrunde gut abgeschnitten. Im Wahlkampf 2010 hatte es noch geheißen, Sie hätten im Fernsehen umständlich und fahrig gewirkt. Was hat sich seitdem verändert?

Kraft: Es gab damals auch andere Kommentatoren.

SZ: Sie haben sich nicht verändert?

Kraft: Nicht persönlich, nein. Aber natürlich war ich auch in einer anderen Rolle. Als Herausforderin verhalte ich mich in einem solchen Duell anders, als ich das als Ministerpräsidentin tue.

SZ: Norbert Röttgen hat Sie als Herausforderer pausenlos unterbrochen. Muss sich eine Ministerpräsidentin das bieten lassen?

Kraft: Ich habe großes Vertrauen in die Zuschauer. Die werden sich ihr eigenes Bild davon gemacht haben.

SZ: Wie ist Ihr Verhältnis zu Norbert Röttgen?

Kraft: Wir haben einen professionellen Umgang miteinander. Beim Schulkonsens habe ich ihn als verlässlichen Partner kennengelernt.

SZ: In Frankreich hat sich in François Hollande der sozialistische Präsidentschaftskandidat bei der Wahl durchgesetzt. Gibt Ihnen das Auftrieb für Sonntag?

Kraft: Es wäre zu weit gegriffen, Rückschlüsse von der Präsidentenwahl in Frankreich auf die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen zu ziehen. Die SPD ist sich mit den französischen Sozialisten einig, dass wir in Europa neben einer konsequenten Sparpolitik auch ein Wachstumsprogramm und eine Finanztransaktionssteuer brauchen. Insofern freue ich mich für die französischen Freundinnen und Freunde und gratuliere Frankreich zu der guten Wahl.

SZ: Bei der Wahl 2010 galten Sie als Außenseiterin, jetzt liegen Sie in Umfragen konstant vorne. Macht das den Wahlkampf leichter?

Kraft: Es verbessert die Stimmung an unseren Wahlkampfständen, das ist klar. Aber ich warne immer davor, die Umfragen so zu sehen, als wäre alles schon gelaufen. Wir kämpfen bis zur letzten Minute für eine starke SPD.

SZ: Ist Ihnen Schleswig-Holstein eine Warnung? Dort wurde die SPD nur zweitstärkste Partei hinter der CDU, Rot-Grün braucht für eine Koalition die Hilfe der Minderheitenpartei SSW.

Kraft: Die Umfragen hatten dort ein Kopf-an-Kopf-Rennen prognostiziert und in NRW sind die Umfragen anders. Dennoch ist Schleswig-Holstein Ansporn für die letzten Tage. Wir müssen bis zum Schluss kämpfen, damit die SPD stärkste Partei wird und wir Rot-Grün fortsetzen können. Deshalb werden wir im Schlussspurt nochmal landesweit dafür werben, dass die Bürgerinnen und Bürger wählen gehen, denn NRW braucht klare Verhältnisse.

SZ: Das Thema Schuldenabbau beherrscht den Wahlkampf. Sie werden häufig als Landesmutter beschrieben, die niemandem weh tut und deshalb Schulden macht. Erkennen Sie sich darin wieder?

Kraft: Nein, da erkenne ich mich nicht wieder, weil wir große Einsparungen vorgenommen haben. 750 Millionen Euro im Haushalt 201, im Etat für 2012, der nicht mehr zustande kam, war jetzt rund eine Milliarde Euro an Einsparungen vorgesehen. Das sind schon harte Einschnitte, die an der einen oder anderen Stelle wehgetan haben.

SZ: Wenn Sie die Schuldenbremse einhalten wollen, werden Sie den Bürgern noch mehr Schmerzen bereiten müssen.

Kraft: Wir haben die Einhaltung der Null-Schulden-Grenze bis 2020 fest im Blick. Deshalb betreiben wir eine Haushalts- und Finanzpolitik, die aus einem Dreiklang besteht: Einsparungen mit Augenmaß, gezielte Investitionen in Kinder, Bildung, Vorbeugung und Kommunen. Drittens eine Verbesserung der Einnahmen. Nur so lässt sich die Zukunft unseres Landes erfolgreich gestalten.

SZ: Weil die CDU das anders sieht, ist im Wahlkampf über kaum ein anderes Thema so intensiv diskutiert worden wie über die Schulden. Welches andere Thema ist deshalb - aus Ihrer Sicht - leider völlig untergegangen?

Kraft: Im Straßenwahlkampf bin ich häufig auf das Thema Dumping-Löhne und den gesetzlichen Mindestlohn angesprochen worden, den sich viele Menschen wünschen und für den sich die SPD einsetzt, damit gute Arbeit entsprechend gewürdigt wird. Ältere und chronisch kranke Menschen haben mich außerdem auf die Abschaffung der Praxisgebühr angesprochen, für die wir uns einsetzen. Das ist ein wichtiges Thema, das leider im medialen Wahlkampf kaum stattgefunden hat.

SZ: Frau Kraft, Sie sind seit Ende März bei Twitter angemeldet. Wir haben Ihre Follower gefragt, was Sie gerne von Ihnen wissen möchten. Eine Frage, die mehrfach gestellt wurde, war: Welchen Stellenwert haben soziale Netzwerke für Sie?

Kraft: Twitter und Facebook begleiten mich, es ist Teil meines politischen Lebens geworden, aber ich nutze es auch privat. Unser Sohn war zum Beispiel jetzt monatelang im Ausland, da war es hilfreich, auch über soziale Netzwerke und Skype den Kontakt zu halten.

SZ: Das heißt, sie bleiben dem Internet auch nach der Wahl treu?

Kraft: Ja, sicher. Wir haben ja auch als Regierung viel gemacht. Unseren letzten Landeshaushalt haben wir im Internet mit 40.000 Nutzern diskutiert. Das ist für mich nichts Neues, nur haben wir - anders als etwa Frau Merkel - keinen großen PR-Etat. Alles, was sie derzeit initiiert, haben wir in NRW schon längst gemacht.

SZ: Eine andere Frage eines Twitter-Nutzers: Welchen SPD-Kanzlerkandidaten bevorzugen Sie?

Kraft: Es ist jetzt nicht an der Zeit, den Kanzlerkandidaten zu bestimmen. Wir werden das als Bundes-SPD Anfang nächsten Jahres entscheiden, wie geplant. Und bis dahin werben wir für unsere guten Inhalte, die wir auf dem letzten Bundesparteitag beschlossen haben.

SZ: Sie haben eine Kanzlerkandidatur abgelehnt. Gilt das auch für die Wahl 2017?

Kraft: Ich bleibe in NRW, weil ich hier die vorbeugende Politik zum Wohle der Menschen und der Zukunft des Landes umsetzen will. Das gilt auch für 2017.

SZ: Zwei internetaffine Menschen, die Tübinger Jusos Erik Flügge und Jonathan Gauß, haben via Facebook den SPD-Wahlkampf geprägt: mit ihrem Plakat "Currywurst ist SPD". Die Aktion brachte Ihnen einige Aufmerksamkeit. Wie viele Currywürste mussten Sie anschließend essen?

Kraft: Ich esse selten Currywurst. Die müssten nämlich glutenfrei sein, deshalb ist das für mich eher schwierig.

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