SPD-Spitze ringt um große Koalition:Ausgerechnet Nahles

Andrea Nahles

Von links außen in die Mitte - Andrea Nahles, Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag.

(Foto: Gregor Fischer/dpa)

Während ihre Partei mit sich ringt, ackert die SPD-Fraktionschefin unbeirrt für eine große Koalition. Hätte man das vor 20 Jahren Gerhard Schröder erzählt, hätte der wahrscheinlich kurz und trocken gelacht.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Was passiere denn, so wird Andrea Nahles am frühen Dienstagnachmittag gefragt, wenn die Sache am Sonntag schiefgehe? Wenn also der SPD-Parteitag in Bonn gegen Koalitionsverhandlungen mit der Union stimme?

Nahles, die gleich die Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion leiten muss und vor dem Fraktionssaal für einen kurzen Presseauftritt haltgemacht hat, antwortet schnell: "Es wird erstens nicht schiefgehen", sagt sie. "Zweitens ist es jetzt an der Zeit, dass man für das eintritt, was man verhandelt hat, und dass man für das wirbt, wovon man überzeugt ist." Ende, Abgang.

Die SPD präsentiert sich derzeit mal wieder so, wie man sie kennt: zerrissen, hadernd, zögernd, streitend. Wobei man das ja auch positiv wenden kann, schließlich wird hier wenigstens noch diskutiert und gerungen, während anderswo das parteipolitische Äquivalent von Befehl und Gehorsam herrscht. Eine Frau allerdings steht von alldem unbeirrt zu ihrer Position und damit zum Ziel einer großen Koalition: Andrea Nahles, Chefin der SPD-Bundestagsfraktion.

Schon Ende November redete sie den Jusos ins Gewissen, Schwarz-Rot nicht vorschnell auszuschließen. Zu Beginn dieser Woche warf sie den Gegnern einer Neuauflage vor, die Ergebnisse der Sondierungen mit der Union schlechtzureden. Und während nun diverse Genossen Nachbesserungen fordern, warnt Nahles, man solle hier "keine falschen Erwartungen" wecken. Nahles. Ausgerechnet Nahles.

Hätte man das vor 20 Jahren Gerhard Schröder erzählt, hätte der wahrscheinlich kurz und trocken gelacht. Damals warf die damalige Juso-Bundesvorsitzende Nahles dem damals noch künftigen Kanzlerkandidaten Schröder vor, er betätige sich "permanent als Abrissbirne an der SPD-Programmatik".

Gelegentlich rutscht Nahles noch in Pausenhof-Slang ab

Heute ist die Lage umgekehrt: Nahles versucht gegen massive Widerstände eine neue große Koalition durchzusetzen, während die Jusos das Lager der Gegner anführen. Nur als "Abrissbirne" hat der heutige Juso-Chef Kevin Kühnert die heutige Fraktionschefin noch nicht bezeichnet - was unter anderem daran liegen dürfte, dass der junge Kühnert einen etwas anderen Umgangston pflegt als die junge Nahles, die ja auch als gereifte Politikerin gelegentlich noch in den Pausenhof-Slang abrutscht ("Fresse", "Bätschi").

Es ist ein weiter Weg, den Andrea Maria Nahles, 47, in ihrer Partei mittlerweile gegangen ist, von links außen in die Mitte. Das begann bereits, als sie 2007 zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt wurde. Und spätestens als sie Ende 2009 Generalsekretärin wurde, gab sich die frühere Anführerin der Parteilinken als "Zentristin". Sie, die unter konservativen Sozialdemokraten für ihre Angriffslust gefürchtet war, musste sich nun um die Belange der gesamten Partei kümmern.

Als Linke gilt Nahles schon lange nicht mehr

Auch als Arbeits- und Sozialministerin setzte sie in der vergangenen Legislaturperiode zwar diverse sozialdemokratische Herzensanliegen um, agierte aber stets pragmatisch und verlässlich, was ihr bei der Union Respekt und Wertschätzung eintrug.

Von den eigenen Leuten hingegen musste sie sich zum Teil harte Kritik anhören - zum Beispiel, ausgerechnet, als der Mindestlohn durchgesetzt war: Statt das Projekt als Meilenstein zu feiern, prangerten die Jusos gemeinsam mit manchen Parteilinken die Ausnahmen an, die es geben sollte. Wie das unter Sozialdemokraten halt so läuft.

Andrea Nahles

Als Juso-Chefin gehörte Andrea Nahles 1995 eindeutig zum linken Flügel der Partei.

(Foto: dpa)

Als Linke gilt Nahles also schon lange nicht mehr. Beim SPD-Parteitag in Dortmund lobte im vergangenen Sommer gar Altkanzler Schröder das von Nahles entwickelte Rentenkonzept im SPD-Programm: "Ich hatte nicht immer erwartet, dass du das so doll machen würdest." Und am vergangenen Wochenende meldete der Spiegel, dass Nahles ihre Mitgliedschaft in der Parlamentarischen Linken ruhen lasse, einer der drei Strömungen in der SPD-Fraktion: Als Fraktionsvorsitzende müsse sie die Chefin aller Abgeordneten sein.

Trotz alldem beäugt der rechte Flügel sie weiter misstrauisch. Hier wird sie von vielen nach wie vor als linke Flügelfrau gesehen, die 2005 den damaligen Parteivorsitzenden Franz Müntefering zu Fall brachte, weil sie gegen dessen Willen Generalsekretärin werden wollte. Wobei es sein könnte, dass sich die Wahrnehmung unter den Parteirechten gerade ins Positive verschiebt.

Vor den Genossen wird Nahles deutlich

Schließlich ackert derzeit wohl kaum jemand so für die große Koalition wie Nahles: Am Montagabend Treffen mit nordrhein-westfälischen Parteitagsdelegierten in Dortmund, am Dienstagnachmittag Fraktionssitzung in Berlin, am Dienstagabend das nächste Treffen mit NRW-Delegierten in Düsseldorf - gemeinsam mit Parteichef Martin Schulz, der am Dienstag nicht zur Fraktionssitzung kommt, sondern sich auf Facebook den Fragen zur großen Koalition stellt.

In der Sitzung wird Nahles noch deutlicher als vor den Journalisten. Entweder, sagt sie hinter verschlossenen Türen, es gebe eine große Koalition - oder Neuwahlen. Allerdings, so wird sie von Teilnehmern zitiert: Wenn der Parteitag Koalitionsverhandlungen ablehne, wie wolle man dann eigentlich in den Wahlkampf gehen? Das habe ihr noch keiner erklärt. Applaus.

Auch die geschäftsführenden Minister Sigmar Gabriel (Außen) und Heiko Maas (Justiz) plädieren in der Sitzung klar für Schwarz-Rot. Gabriel warnt allerdings davor, mit der Angst vor Neuwahlen zu argumentieren. Stattdessen müsse man inhaltlich um Zustimmung werben. Darauf geht Nahles aber nicht mehr ein. Bis Sonntag hat sie wichtigere Dinge zu tun.

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