Die SPD hat in jüngerer Vergangenheit große Staatsmänner hervorgebracht, aber auch Unglücksraben. Einer der bekanntesten war Rudolf Scharping. Er verhedderte sich als Kanzlerkandidat zwischen Brutto und Netto, eine von mehreren Pannen, die ihn 1994 den Wahlsieg kosteten. Als Verteidigungsminister planschte er 2001 mit Freundin im Pool auf Mallorca, während die Bundeswehr auf den Balkan zog. Das kostete ihn den Rückhalt seines Kanzlers und später das Amt. Vorher war er schon vom Fahrrad gefallen, und sein Wagen von einer Barriere am Pentagon in die Luft gewuchtet worden. Die Anekdote, die Luftwaffe habe den Minister mal am Flughafen vergessen, ist zu schön, um wahr zu sein, macht aber klar, wie viel Pech man bei Scharping für möglich hielt.
Sigmar Gabriel ist noch kein Scharping. Aber es gibt Parallelen. Die juristische Niederlage des Wirtschaftsministers wegen der Fusion von Edeka und Tengelmann ist ein Schlag, der Gabriel zurückwirft im Bemühen, endlich kanzlerabel zu erscheinen. Und sie reiht sich ein auf einer Liste schlechter Nachrichten sowohl für den SPD-Vorsitzenden wie für den Wirtschaftsminister. Das Scharping-Moment besteht darin, dass fast alles schief- zugehen scheint, was schiefgehen kann.
Erlaubnis zur Fusion war Gabriels alleinige Entscheidung
Vor Gericht verliert die Politik schon mal. Die Regierungen Angela Merkels sind vom Verfassungsgericht wiederholt zurechtgewiesen, gerügt oder zurückgepfiffen worden. Besonders bitter an Gabriels Niederlage vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf ist aber der persönliche Charakter dieser Schlappe: Die Ministererlaubnis zur Fusion war Gabriels alleinige Entscheidung, gegen das Votum des Kartellamts und der Monopolkommission. Deshalb ist es allein seine Niederlage.
Gabriel definierte den Erhalt der Arbeitsplätze als Allgemeingut, was man bei 8000 Betroffenen nicht zu leichtfertig kritisieren sollte. Und natürlich entschied er auch entlang parteipolitischer Überzeugungen, von denen nirgends steht, dass man sie bei Amtsantritt an der Bürotür eines Wirtschaftsministers abzugeben hat. Gleichwohl ist es eine Ironie der Geschichte, dass Gabriels Vorgänger Philipp Rösler von der FDP einst einen schweren Imageschaden davontrug, als er sich im Fall Schlecker besonders liberal gebärden wollte und gegen staatliche Hilfe votierte, während Gabriel nun unterlag, weil er mit Rücksicht auf die Arbeitnehmer besonders sozialdemokratisch entschieden hat.
Der großen Klappe müsste auch mal der große Sieg folgen
Auch für ihn bedeutet das einen Imageschaden, selbst wenn er sich nun mit der ihm eigenen Vehemenz wehrt. Sigmar Gabriel hatte noch nie ein Problem damit, sich mit allen und jedem anzulegen. Politische Gegner, Genossen und Fernsehmoderatorinnen können ein langes Lied davon singen. Seine Rauflust ist auch eine politische Qualität. Doch nur einmal, als er 2013 die SPD gegen verbreiteten Widerstand wieder in die große Koalition führte, hat Gabriel damit einen wirklich bemerkenswerten Erfolg erzielt.
Oft bleibt es bei Ankündigungen. Einen seiner ersten großen Aufstände inszenierte er als niedersächsischer Ministerpräsident gegen die Steuerpolitik seines Förderers und Genossen Gerhard Schröder. Gabriel verlor. Später legte er sich mit der Atomindustrie an und managt jetzt eine Energiewende, die vielleicht besser ist als ihr Ruf, aber so kompliziert, dass sie als politischer Herzenswärmer nicht taugt. Als Ressortchef führt er ein sagenhaft fleißiges Haus, das ausweislich der Pressemitteilungen fast täglich neue Initiativen für die Wirtschaft startet.
Doch das einstweilige Vermächtnis des Ministers besteht im mühseligen Kampf um die Freihandelsabkommen Ceta und TTIP, in dem er sich in der eigenen Partei fast so einsam fühlen darf wie bei der Ministererlaubnis und in seinem Versprechen, Rüstungsexporte zu reduzieren. Es wird von immer neuen Rekordzahlen konterkariert. Was Gabriel fehlt, ist die Fortune, dass der großen Klappe öfter der große Sieg folgt. Oder ist es Unvermögen?
Gabriel wirkt schludrig, eigenmächtig und beratungsresistent
Die Niederlage vor Gericht ist auch deshalb so schmerzhaft, weil sie Gabriel als schludrig, eigenmächtig und beratungsresistent erscheinen lässt, was ihn erkennbar empört. Mit seiner kurvenreichen Reaktion auf den Brexit und seinem verwirrenden Kurs für die SPD hat Gabriel selbst zuvor schon das Klischee von der Sprunghaftigkeit bedient, das er am meisten hasst. Und das alles in dem Moment, da er bereit zu sein schien, den Stier der Kanzlerkandidatur bei den Hörnern zu packen, was man unter anderem daran erkannte, dass er der Zeitschrift Bunte die private Tür öffnete. Nun steht Gabriel wieder mit dem Rücken zur Wand, und sein Pech wirkt fast mitleiderregend. Das eine aber ist keine geeignete Ausgangsposition, das andere kein hilfreicher Eindruck für einen Kanzlerkandidaten.