SPD: Sigmar Gabriel:Vom Harzer Roller zum Parteichef

Sigmar Gabriel, einst Deutschlands jüngster Ministerpräsident, später verspottet als "Siggi Pop", kennt die Höhen und Tiefen der Politik. Die Karriere des Hoffnungsträgers in Stationen.

Wolfgang Jaschensky

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RTL-Sommerinterview mit Gabriel

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Kurz vor der Wahl von Hannelore Kraft zur Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen provoziert Sigmar Gabriel die Bundesregierung: Die Bildung einer Minderheitsregierung sieht der SPD-Chef auch für den Bund als Option. "Solche Minderheitenregierungen, die inhaltlich gut arbeiten, sind allemal besser als Regierungen, die zwar eine rechnerische Mehrheit haben, aber nichts miteinander anzufangen wissen."

Sigmar Gabriel, Gerhard Schröder;dpa

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Es war eine furiose Rede, die Sigmar Gabriel am 2. April 1998 in Hannover gehalten hat. Die niedersächsische SPD war nach dem triumphalen Wahlsieg Gerhard Schröders bei der Landtagswahl ohnehin bester Stimmung. An diesem Tag, bei der Aussprache über Schröders Regierungserklärung, registrierten die Sozialdemokraten in Hannover, dass sie einen neuen Star in ihren eigenen Reihen haben: den frisch gewählten Fraktionschef Sigmar Gabriel.

Der damals 38-jährige Lehrer hatte mit einer klassisch sozialdemokratischen Vita zuvor schnell Karriere in der SPD gemacht: Mit 18 Jahren Mitglied der Sozialistischen Jugend Deutschlands - Die Falken, ein Jahr später Eintritt in die SPD, Mitgliedschaft bei der Gewerkschaft ÖTV und der Arbeiterwohlfahrt, später Kreistagsabgeordneter und Ratsherr seiner Heimatstadt Goslar. 1990 gewann Gabriel das Direktmandat in seinem Wahlkreis und zog in den niedersächsischen Landtag ein.

Dort arbeitete sich der Mann stetig nach oben. Gerhard Schröder und dessen unglücklicher Nachfolger Gerhard Glogowski erkannten früh das Talent und förderten ihn nach Kräften. In der Partei war Gabriel allerdings umstritten, galt als laut, unstet - und zu sehr auf sein eigenes Fortkommen fixiert.

Doch bei seiner Jungfernrede als Fraktionschef an jenem 2. April bringt Gabriel sein stärkstes Pfund, die rhetorische Stärke, so überzeugend zur Geltung, dass auch die Zweifler in langanhaltenden Applaus ausbrechen.

Gabriel nimmt sich Schröders Widersacher, den CDU-Oppositionsführer Christian Wulff, zur Brust. "Die Menschen haben gespürt, was für eine Sorte Politiker Sie sind", wirft er Wulff an den Kopf. "Jung, berechnend und von maßloser Selbstüberschätzung gekennzeichnet." Die Charakterisierung Wulffs kommt an - obwohl wohl nicht wenige in den Reihen der Sozialdemokraten sitzen, die finden, dass sie auch auf den Redner zutrifft.

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Sigmar Gabriel;dpa

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Gut eineinhalb Jahre benötigt Gabriel für seinen nächsten Karriereschritt. Am 15. Dezember 1999 wählt der Landtag den Mann aus Goslar zum neuen Ministerpräsidenten des Landes. Für diesen furiosen Schritt benötigt Gabriel Glück - zeigt aber auch sein politisches Geschick.

Der ins Kanzleramt enteilte Gerhard Schröder übergibt die Amtsgeschäfte an den bisherigen Innenminister Gerhard Glogowski. Als der über eine Affäre stolpert, wird der Posten erneut frei. Gabriel gelingt es schnell, die Bataillone hinter sich zu versammeln. Mit Umweltminister Wolfgang Jüttner und Wissenschaftsminister Thomas Oppermann hat Gabriel prominente, in der Partei etablierte Konkurrenten - doch in der Fraktion besitzt Gabriel die Hausmacht, agiert geschickt hinter den Kulissen und macht deutlich, dass die Partei sich jetzt kein Machtvakuum leisten könne.

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Sigmar Gabriel Wulff AP

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Am Tag nach Glogowskis Rücktritt wird Gabriel von der Landtagsfraktion zum Nachfolger bestimmt.

Gut drei Jahre kann sich der jüngste Ministerpräsident der Republik im Glanze seines Glückes sonnen. Gabriel, lange als "Harzer Roller" verspottet, zeigt sich zupackend und volksnah, lässt seinen Widersacher und Lieblingsfeind Wulff oft alt aussehen.

Foto: AP. Gabriel mit Oppositionsführer Christian Wulff von der CDU

Sigmar Gabriel;dpa

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Gabriels Fall kommt so schnell wie sein Aufstieg. Bei der Landtagswahl im Februar 2003 erlebt die erfolgsverwöhnte niedersächsische SPD ein Debakel und verliert 14 Prozentpunkte. Gabriel, mehr als drei Jahre die große Nachwuchshoffnung seiner Partei, muss auf die Oppositionsbank und verschwindet in der politischen Bedeutungslosigkeit.

Während er mit ansehen muss, wie sein Lieblingsfeind Christian Wulff einen kometenhaften Aufstieg erlebt, vergrault sich Gabriel die letzten Unterstützer. Er sucht die Schuld für seine Niederlage in Berlin und nörgelt gegen Schröders Agenda 2010. Erst spät, zu spät räumt Gabriel eine Mitschuld am desaströsen Wahlergebnis ein. "Zu hektisch und zu widersprüchlich" sei sein Wahlkampf am Ende gewesen.

Die Demutsgeste hilft nicht mehr. Bei seinem einstigen Ziehvater Schröder ist Gabriel längst in Ungnade gefallen. Gabriel hat den Ruf, disziplinlos, ungeduldig und illoyal zu sein, ihm fehle es an Konzepten und Strategien, heißt es in Berlin. Schröder bedankt sich auf seine Art - und ernennt Gabriel zum Popbeauftragten der SPD - Tokio Hotel statt Berlin Bundestag.

Der gefallene Sozialdemokrat wird als "Siggi Pop" verulkt. Oder man macht sich über seine Leibesfülle lustig. "Lieber dick als doof", kontert er.

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Sigmar Gabriel;ddp

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Gabriel müht sich als Popbeauftragter redlich und wirkt in seinem neuen Wirkungsfeld doch wie ein gestrandeter Wal. Aber hinter den Kulissen arbeitet Gabriel an seinem Comeback. Er sucht die Nähe zu den Netzwerkern, einer Gruppe junger, pragmatischer SPD-Parlamentarier, die sich zwischen der Parteilinken und dem eher konservativen Seeheimer Kreis eingerichtet haben. Die Netzwerker wiederum suchten nach einem, der ihnen wieder zu mehr Dynamik verhalf.

Als nach der Niederlage Schröders bei der Bundestagswahl 2005 der Parteichef und Vizekanzler Müntefering einige Kabinettsposten mit frischen Leuten besetzen musste, war die Stunde des Sigmar Gabriel gekommen. Müntefering machte aus Siggi Pop einen Umweltminister.

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Angela Merkel, Sigmar Gabriel;AFP

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Aus den Untiefen der Popkultur steigt Gabriel wie ein Phoenix aus der Asche. Statt neben Udo Lindenberg steht Gabriel nun auf EU- und G-8-Gipfeln auf der großen Bühne der Weltpolitik. Gabriel erweist sich als Umweltminister als Glücksgriff für die SPD - und für Gabriel ist es der Beginn eines erstaunlichen Comebacks.

Dabei war die Umweltpolitik nie eine Herzensangelegenheit für den Niedersachsen. "Umwelt ist für Gabriel das, durch das man mit seinem Dienstwagen möglichst schnell hindurchbraust", lässt sich ein Fraktionsmitglied aus Hannoveraner Tagen zitieren.

Müntefering soll Gabriel zwei Dinge mit auf dem Weg gegeben haben: "Übe Demut und lerne Inhalt." Demut gehört bis heute nicht zu Gabriels Stärken - doch kaum im Amt, arbeitet er sich in die Materie ein. Der Neu-Minister lernt fleißig über Kraft-Wärme-Kopplung und Biomassenutzung, parliert bald fehlerfrei über das Kyoto-Protokoll und Kohlendioxidmoleküle.

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Umweltminister Sigmar Gabriel SPD Asse Atommüll AP

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Je länger Gabriel im Amt ist, desto mehr kommt er in Tritt. Mit der Formel "ökologische Industriepolitik" hebt sich Gabriel positiv von der alarmistischen Umweltpolitik des Grünen-Politikers Jürgen Trittin ab. Gabriel vermittelt erfolgreich im Kabinett und auf internationalen Konferenzen, Klimaschutz als Chance zu begreifen. Er wettert gegen George W. Bush und Klimakiller und verteidigt doch manche Pfründen der deutschen Automobilindustrie.

Zurück in die Herzen der Genossen schafft es Gabriel mit seinem Wahlkampf. Als einzigem Mitglied aus Steinmeiers Team gelingt es ihm, Akzente zu setzen. Mit seinem Staatssekretär Michael Machnig, einst Chef von Schröders erfolgreicher Kampa 1998, baut er das Umweltministerium frühzeitig zu seiner Wahlkampfzentrale aus.

Gabriel profiliert sich und die SPD als Verfechter des Atomausstiegs, landet mit Geschick und Gespür regelmäßig auf den Titelseiten der Zeitungen und macht fast im Alleingang das Thema Kernkraft zum einzig erfolgreichen Wahlkampfschlager der Genossen. Gabriel wettert in Sachen AKW Krümmel gegen das "Krümmelmonster", hebt das Atommülllager Asse auf die Agenda und spielt mit Vorwürfen im Fall Gorleben gegen die Regierung Kohl.

Foto: AP. Diese Aufnahme zeigt Gabriel während eines Besuchs in der Asse

Sigmar Gabriel;dpa

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Seit die SPD nach dem Debakel bei der Bundestagswahl praktisch führungslos durch die Gegend irrt, darf sich der "Harzer Roller" nun berechtigte Hoffnungen machen, an die Parteispitze aufzurücken. Müntefering wird nur bis zum Parteitag im November SPD-Chef bleiben. Gabriel, der Rhetoriker, der Wahlkämpfer, der Agitator, der zwischen rechts und links nirgendwo genau zu verorten ist, hat das Rennen um die Nachfolge Münteferings gemacht.

Er ist einer der wenigen Sozialdemokraten, der bei öffentlichen Debatten punktet. So schlug er sich vor der Wahl bei "Anne Will" gegen zwei Konservative außerordentlich gut. Und schon vor knapp einem Jahr hat er das Programm für seine Führungstour abgeliefert: "Links neu denken. Politik für die Mehrheit" heißt das Werk.

Er ist nun der Held der Netzwerker und der jungen SPD-Politiker. Sollte es ihm gelingen, die Partei wiederaufzurichten - Gabriel wäre mit Sicherheit nicht am Ende seiner Ziele.

Foto: dpa. Text: Wolfgang Jaschensky

Sigmar Gabriel;dpa

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Er ist die neue Hoffnung der SPD. Ein schlagfertiger Politiker, der das größte Himmelfahrtskommando übernimmt, das in Deutschland derzeit zu finden ist - die Sozialdemokraten zu einen, zu motivieren und zu retten,

Das ist ein Job genau nach dem Geschmack des selbstbewussten Sigmar Gabriel. Seine politische Karriere ähnelt dem Lauf der Olympia-Bahn auf dem Münchner Oktoberfest - auf und ab. Und doch hat sich der Niedersachse hochgearbeitet in die oberste Etage der SPD, da wo Erich Ollenhauer, Willy Brandt oder Gerhard Schröder wirkten. Gabriels Aufstieg in sechs Stationen.

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Sigmar Gabriel, AP

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Sigmar Gabriel wirkt erschöpft - und zufrieden zugleich. Er ist angekommen. Angekommen an der Spitze der SPD, angekommen auf dem Höhepunkt seiner politischen Karriere. Auf dem Parteitag in Dresden hat er in einer zweistündigen Rede erst die Delegierten begeistert - und ist dann mit einem Spitzenergebnis von 94,2 Prozent zum neunen Parteichef gewählt worden.

Damit tritt er die Nachfolge von Franz Müntefering an.

Foto: AP

© sueddeutsche.de
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