Süddeutsche Zeitung

Sigmar Gabriel:Die Ich-AG der SPD

  • Ein wichtiges Jahr hat begonnen. Die Europawahl und mehrere Landtagswahlen stehen an. Bei der SPD geht es um die Existenz.
  • Viele Sozialdemokraten fragen sich: Warum bindet SPD-Chefin Nahles den ehemaligen Parteivorsitzenden Gabriel nicht stärker ein?
  • Denn der kann allein durch seine Anwesenheit immer noch die Säle füllen.
  • Für die versprochene Erneuerung der SPD steht er allerdings nicht.

Von Mike Szymanski, Berlin

Er kann es ja noch, süffisant seiner Partei eine hinreiben und am Ende auch noch gut aus der Nummer herauskommen. Die Debatte der SPD-Abgeordneten läuft schon einige Zeit. Ein ums andere Mal ergreift Sigmar Gabriel das Wort, nicht ohne - betont beiläufig - darauf hinzuweisen, dass er ja noch sehr wohl wisse, was seine Partei umtreibt. Er weiß natürlich, warum sich viele von der SPD abwendeten. "Dass der, der dreißig Jahre gearbeitet hat, am Ende genauso viel kriegt wie der Balalaikaspieler in der Fußgängerzone, das finden die scheiße", sagt er.

Ein Tagungssaal in Osnabrück Anfang Januar. Die Bundestagsabgeordneten aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Bremen sitzen zusammen. Den großen Auftritt haben zwei alte Bekannte: die Ex-Chefs Martin Schulz und Sigmar Gabriel. Schulz gehört der SPD-Landesgruppe NRW an, Gabriel den Niedersachsen.

Gerade Gabriel zeigt in Osnabrück noch einmal eindrucksvoll, dass er sich in seiner Rolle als stellvertretendes Mitglied im Europaausschuss des Bundestages keinesfalls ausreichend gefordert sieht. Bei der Zukunft Europas gehe es um nicht weniger "als die Selbstbehauptung des Kontinents", sagt Gabriel in der Debatte. Von Weltpolitik versteht er etwas als früherer Außenminister. Gabriels Auftritt in Osnabrück, lässig im Strickpulli, hallt bis heute in der Partei nach. Viele in der SPD fragen sich: Warum bindet Parteichefin Andrea Nahles Gabriel nicht stärker ein?

Gabriel ist als Ich-AG in der SPD unterwegs. Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz hatten Gabriel und Martin Schulz nach der desaströsen Bundestagswahl rüde ins Abseits geschoben. Früher, als Gabriel noch Parteichef war, hat Nahles unter ihm gelitten. Jetzt lässt sie ihn leiden - indem sie ihn auf Distanz hält. Sie trauen einander nicht.

Schulz hingegen bemüht sich - trotz aller Verletzungen - um Loyalität zu Nahles. Er hat sich wieder eingereiht. Der ehemalige EU-Parlamentspräsident soll im Europawahlkampf aushelfen. Er bekommt Auftritte von der Parteizentrale organisiert. Er gehört zur Kampagne.

Die Energien des Quälgeists nutzen

Und Gabriel? Der hat lange Zeit kaum eine Gelegenheit ausgelassen, Nahles die Show zu stehlen. Für ihn hat Nahles absolut nichts vorgesehen, was seine Rolle aufwerten könnte. Im Bundestag hat er im ganzen vergangenen Jahr keine Rede gehalten. Das heißt aber noch lange nicht, dass Gabriel sich nicht zu beschäftigen wüsste. Wer ihn für den Neujahrsempfang im Wahlkreis anfragt, hat gute Chancen, dass Gabriel kommt.

Die Gabriel-Unterstützer in der Partei wünschen sich schon lange, dass er wieder eine größere Rolle spielt. Neu ist aber, dass selbst im Nahles-Lager mittlerweile darüber nachgedacht wird, wenn auch aus anderen Motiven: Wenn der Quälgeist schon keine Ruhe gibt, wäre es dann nicht sinnvoll, diese Energie für die Partei zu nutzen?

Ein wichtiges Jahr hat begonnen. Im Mai ist Europawahl, in Bremen muss die SPD ihre letzte Festung verteidigen. Im Herbst wählen dann noch die Sachsen, die Thüringer und die Brandenburger. Für die SPD, in Umfragen bundesweit bei nur noch etwa 15 Prozent, geht es um die Existenz.

Martin Dulig, Landeschef der SPD in Sachsen, will auf Gabriel im Wahlkampf nicht verzichten. Dessen großer Vorteil sei, dass er "sowohl im direkten Gespräch als auch bei größeren Formaten Wirkung erzielt". Übersetzt heißt das: Gabriel schafft es noch, allein durch seine Anwesenheit Säle zu füllen. "Wir können zurzeit viel gute Politik durchsetzen, aber trotzdem ändert sich stimmungsmäßig nichts." Einem wie Gabriel traut er zu, die Stimmung zu drehen.

Thüringens SPD-Innenminister Georg Maier sieht das anders. Wie passe das mit dem Versprechen zusammen, die Partei zu erneuern, wenn Gabriel reaktiviert würde? Die SPD brauche stattdessen "neue und unverbrauchte" Gesichter. Gabriel polarisiert - mindestens das.

Von den einflussreichen Landesgruppenchefs, Johann Saathoff für Niedersachsen und Achim Post für NRW, ist öffentlich nichts zur Gabriel-Frage zu vernehmen. Sie lassen die Veranstaltung in Osnabrück für sich sprechen. Gabriel hatte sich bei dem zweitägigen Treffen viel Zeit für die Abgeordneten genommen. Für seine Außenwirkung bekam er viel Raum. Es war, als hätten sie ihm ein Testfeld bereitet.

Ignorieren, marginalisieren oder umarmen

Andere, aus der zweiten Reihe, wagen sich mittlerweile vor: Karl-Heinz Brunner, Vizechef der Abgeordneten aus Bayern, sagt: "Ich halte es für notwendig, Sigmar Gabriel wieder stärker in die aktive Parteiarbeit einzubeziehen." Aus der ersten Reihe halten sich viele zurück, auch aus Sorge, der Chefin in den Rücken zu fallen. Einer aus dem Parteivorstand sieht es ganz pragmatisch: Man habe drei Möglichkeiten mit Leuten wie Gabriel umzugehen: ignorieren, marginalisieren oder umarmen. Möglichkeiten eins und zwei gelten als gescheitert. Bleibt: umarmen.

Nahles war selbst Gast in Osnabrück. Sie hat ein gutes Gespür für ihre Partei. Sie bekommt schnell mit, wenn sich irgendwo etwas zusammenbraut. Sie spürt, wie Gabriel das Feld sondiert. Im Willy-Brandt-Haus aber tut man das wieder aufgeflammte Gerede über Gabriel als lästiges Randthema ab. Die Partei habe andere Aufgaben vor sich. Am Zustand der nicht sehr friedlichen Koexistenz würde sich demnach vorerst so schnell nichts ändern, heißt es.

Gabriel umarmen? Klingt im Moment nicht danach, dass es dazu bald kommt.

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SZ vom 22.01.2019/gal
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