Koalitionsverhandlungen:Warum Martin Schulz ins Kabinett gehen sollte

SPD-Chef Martin Schulz

Ein Martin Schulz ohne Kabinettsposten könnte versucht sein, sich auf Kosten der eigenen Regierung zu profilieren.

(Foto: dpa)

Sozialdemokraten, die den Parteichef nicht im Kabinett sehen wollen, schaden ihrer Partei. Ohne Ministeramt wäre Schulz versucht, sich auf Kosten der Parteifreunde in der Regierung zu profilieren.

Kommentar von Nico Fried

Nicht ins Kabinett zu gehen - damit kennt Wolfgang Tiefensee sich aus. 2002 widersetzte der Leipziger Oberbürgermeister sich dem Werben Gerhard Schröders, in die rot-grüne Regierung nach Berlin zu wechseln. Er wollte Olympische Spiele in seine Heimat holen, was misslang. Von 2005 an saß er dann doch am Kabinettstisch, allerdings in einer großen Koalition. Viel in Erinnerung geblieben ist von ihm nicht. Immerhin entlockte sein ursprünglicher Verzicht dem Außenminister Joschka Fischer den schönen Satz: "Wenn Deutschland ruft, darf man nie Nein sagen."

Tiefensee hat nun gefordert, dass Martin Schulz nicht in das Kabinett einer etwaigen großen Koalition gehen solle. Abgesehen davon, dass Tiefensee demnächst SPD-Chef in Thüringen werden will und deshalb jeden billigen Punkt auf Kosten anderer mitnimmt, klingt das ja zunächst plausibel. Erstens ruft Deutschland bis jetzt für gar keinen Posten übertrieben laut nach Martin Schulz. Zweitens hat der SPD-Vorsitzende versprochen, unter Angela Merkel nicht als Minister arbeiten zu wollen. Trotzdem ist es falsch, was Tiefensee sagt, wenn man die Sache unter dem Aspekt betrachtet, der für Deutschland wirklich wichtig ist: dass eine Regierung funktioniert.

Niemand kann eine SPD wollen, die nur mit sich selbst beschäftigt ist

Wenn - vorausgesetzt, es kommt zur großen Koalition - Schulz Vorsitzender bleibt, aber nicht Minister wird, hat die SPD drei Machtzentren: Die Partei mit Schulz, die Fraktion mit Andrea Nahles und die Regierung mit einem Vizekanzler oder einer Vizekanzlerin.

Wer wissen möchte, wie so etwas nicht funktioniert, muss nur zur ersten großen Koalition von Angela Merkel zurückblicken. Damals verzichteten die SPD-Parteichefs (erst Matthias Platzeck, dann Kurt Beck) auf Ministerposten in Berlin. Prompt rivalisierten sie wiederholt mit dem sozialdemokratischen Vizekanzler und Arbeitsminister Franz Müntefering. Das wiederum stürzte die Fraktion unter Peter Struck in schwere Loyalitätskonflikte.

Platzeck und Beck waren damals immerhin erfolgreiche Ministerpräsidenten. Sie versuchten, als SPD-Vorsitzende Nähe zur Koalition herzustellen, und wollten zugleich als Landesväter Distanz zur Bundespolitik wahren. Das konnte nicht gut gehen. Martin Schulz ist weder Ministerpräsident noch erfolgreich. Seine Position als SPD-Chef ohne Ministeramt wäre mithin schon am Anfang schwächer als die von Platzeck und Beck am Ende ihrer Zeit im Parteivorsitz. Das würde bei Schulz die Versuchung steigern, sich gegen Kabinett und Fraktion zu profilieren - die SPD wäre vor allem mit sich selbst beschäftigt. Wer soll das wollen?

Es gibt kein richtiges Leben im falschen

Die Idee einer SPD, die zugleich regiert und nicht regiert, entspringt ohnehin nur dem Wunsch, es möglichst allen recht zu machen: Den Befürwortern einer großen Koalition sowieso, aber auch den Skeptikern, indem man so tut, als könne es eine Art sozialdemokratischen Rückzugsraum geben, quasi ein richtiges Leben im falschen. Das wird scheitern.

Stattdessen muss sich die SPD, so es dazu kommt, zu einer Regierung bekennen. Dazu gehört auch, endlich zu akzeptieren, dass die Wende vom Nein zum Ja zu einer großen Koalition nicht das Versagen der SPD dokumentiert, sondern ihre Kraft, auf das Versagen anderer im Sinne des Ganzen zu reagieren. Dann aber bindet einen Parteichef Schulz auch keine Absage mehr, die er unter anderen Voraussetzungen gegeben hat.

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