Dieser Tag im Bundestag lässt tief blicken, es öffnet sich das Psychogramm einer Koalition, die noch ein Jahr durchhalten will. Zumindest, wenn es nach der SPD geht. Nachdem FDP und Grüne beide den Einzug in den Landtag von Brandenburg verpasst hatten, kündigte erst Christian Lindner einen „Herbst der Entscheidungen“ für diese Koalition an, dann orakelte Grünen-Chef Omid Nouripour, den großen Feng-Shui-Moment, sprich Harmonie, werde es in dieser Ampelkoalition nicht mehr geben. Nun antwortet darauf in Berlin der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich, kurz bevor der aus New York zurückgekehrte Kanzler hier aufkreuzt. Er versucht, Optimismus zu verbreiten – und wird später mit einer klaren Ansage überraschen.
Ein SPD-Abgeordneter sagt, er habe gehört, die FDP spiele so ernst wie noch nie die Ausstiegsszenarien durch. „Das sollten wir auch tun“, fordert er. Auch Mützenich wird gefragt, ob er den Koalitionsbruch fürchtet. Zum Beispiel, wenn man sich erneut über den Bundeshaushalt 2025 zerstreitet, die SPD will da noch mal ran. Etwa um ein Paket für die von großen Arbeitsplatzverlusten bedrohte Auto- und Stahlindustrie zu schnüren.
Beim Gedanken an die FDP? Fraktionschef Mützenich seufzt tief
„Was die FDP macht? Ja, meine Güte“, setzt Mützenich an. Tiefes Seufzen. Ähm. Schweigen. Dann sagt er: „Es hilft doch niemandem, wenn man immer radikaler in der Sprache wird.“ Dieser Begriff „Herbst der Entscheidungen“ erinnere ihn an den Herbst 1989, als die Teilung in Deutschland überwunden wurde. Aber auch er kann es nicht ganz lassen, gibt der FDP und Lindner noch einen mit. „Wichtig ist doch, dass wir keinen radikalen Marktliberalismus pflegen, sondern vielleicht auch daran erinnern, dass der Liberalismus mal soziale Aspekte in seiner Programmatik hatte.“ Er hätte sich schon gewünscht, wenn mit dieser Koalition dieser Gedanke stärker zurückgekommen wäre. Es klingt wie ein Requiem.
Aber Mützenich betont zugleich: „Wir wollen an der Koalition festhalten. Es gibt kein Ausstiegsszenario. Wenn es das an anderer Stelle gibt, kann ich keinen daran hindern.“ Angesprochen auf Nouripour und die Suche nach Feng-Shui meint Mützenich, wenn andere in der Arbeit hier im Bundestag eine Last sähen oder nach Therapiemöglichkeiten suchten, dann sei das deren Sache.
Immerhin kommt diese Woche das Rentenpaket in erster Lesung in den Bundestag, aber hier die FDP-Fraktion will da noch mal ran, sie befürchtet hohe Beitragssteigerungen. Die SPD will hingegen die Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent des Durchschnittseinkommens durchsetzen, ein Wahlversprechen.
Zum Knackpunkt dürfte besonders der Bundeshaushalt werden. Der Kanzler kommt früher als sonst in den Bundestag, macht mit jungen Besuchern reichlich Selfies und sprüht vor guter Laune, als wäre alles in gutem Fahrwasser. „Auch ein Selfie“, fragt er die Journalisten, „bin gerade in der Stimmung.“ Als sich die Türen drinnen schließen, macht er deutlich, mit welchem Schwerpunkt er für die SPD, aber auch für sich persönlich ein neues Momentum schaffen will. „Wir müssen alles dafür tun, um Arbeitsplätze in Deutschland zu kämpfen“, sagt er drinnen nach Teilnehmerangaben.
Scholz will auch Volkswagen helfen. Fragt sich nur, wie
Er erinnert an seine Anfänge als Arbeitsrechtsanwalt, an das „mulmige Gefühl“, wenn Mitarbeiter eine Verlagerung in das Ausland fürchten müssen. Volkswagen will ja weg von der Beschäftigungsgarantie, es droht der Verlust Zehntausender Arbeitsplätze. Scholz betont, da müsse man helfen. Mit welchen Maßnahmen, ob etwa mit neuen Subventionen oder Autokaufprämien, lässt er offen. Es könne nicht sein, dass die einzige Lösung sei, das Problem auf dem Rücken der Arbeitnehmer auszutragen. Lauter Applaus. „Deshalb müssen wir etwas Patriotismus von den deutschen Unternehmensführern erwarten.“ Er macht deutlich, dass man auch bei den Energiekosten dringend noch was machen müsse. Stichwort Industriestrompreis – den lehnt aber die FDP ab.
Auch Bundestagspräsidenten Bärbel Bas erklärt in einer kämpferischen Rede, dass der Erhalt von Industriearbeitsplätzen jetzt im Fokus der eigenen Politik stehen müsse. Abgeordnete betonen am Rande der Sitzung, Scholz habe den Ernst der Lage verstanden – zuletzt waren die Zweifel an einer erneuten Kanzlerkandidatur gewachsen. Wenn im Streit um die Unterstützung der Industrie die Koalition zerbreche, habe man bei einer Neuwahl ein klares Thema, hieß es. Wichtig sei es, diese ganz konkreten Sorgen vieler Menschen um ihre Arbeitsplätze zum Thema Nummer eins zu machen.
Und so landet man bei der Lösungssuche wieder beim Haushalt – denn wo so soll zusätzliches Geld herkommen? Die Schuldenbremse lasse Ausnahmen zu, „insbesondere in einer Situation wie der der Ukraine“, betont Mützenich. Aber so ein Erklären einer Notlage, ein Ausklammern der Ukraine-Kosten, um Raum für andere Investitionen zu haben, ist für Lindner eine Sollbruchstelle in der Koalition. Mützenich aber will nicht klein beigeben. „Das nehme ich nicht so einfach vom Tisch.“