SPD Schleswig-Holstein:Die Frau nach Stegner

Serpil Midyatli

Will die Partei breiter aufstellen: Schleswig-Holsteins designierte SPD-Chefin Serpil Midyatli.

(Foto: Markus Scholz/picture alliance/dpa)

Serpil Midyatli soll künftig die SPD in Schleswig-Holstein führen. Ihr Vorgänger Ralf Stegner leitet weiter die SPD-Fraktion in Kiel und bleibt Vize der Bundes-SPD.

Von Peter Burghardt, Kiel

Zum Machtwechsel der SPD im Norden gehört auch dies, Serpil Midyatli erwähnt es beim munteren Gespräch in der Kieler Landtagskantine beiläufig. Twitter? "Ich bin gar nicht auf Twitter", sagt die Frau, die am Samstag die erste SPD-Vorsitzende in Schleswig-Holstein werden dürfte. Wozu, ihr genügen Facebook und Instagram. Ralf Stegner, der sein Amt nach zwölf Jahren räumt, twittert dagegen sagenhaft. Er hatte bis zum Freitag um 16.06 Uhr insgesamt 46 446 Tweets abgesetzt - circa einen pro Follower, mehr als Donald Trump. Als Titel ganz oben auf seiner legendären Twitter-Seite steht derzeit: #SPDerneuern.

"Parteireform überzeugt mich mehr", sagt Stegner. Er sitzt zwei Tage vor der mutmaßlichen Wahl seiner Nachfolgerin leicht nostalgisch in seinem Büro mit Blick auf die Kieler Förde. Wie lange dauere es vom ersten Gedanken bis zum Tweet, wurde er in einer Sendung gefragt, Antwort: "Manchmal ist das gleichzeitig", siehe Twitter. Sein Tag begann live im Morgenmagazin sowie wie üblich mit seinem digitalen Morgengruß aus Bordesholm, wo er wohnt, samt Musiktipp "für euch da draußen im digitalen Orbit". Diesmal: "Don't give up" von Peter Gabriel. Gib' nicht auf, doch in diesem Fall fügt er sich.

Serpil Midyatli ist die einzige Kandidatin beim Landesparteitag am Wochenende in Norderstedt, Stegner verzichtet. Und ob man das Erneuerung oder Reform nennt - es endet eine Ära. Die 43-jährige Midyatli wird den 59-jährigen Stegner ablösen, das Talent den Mentor. Er hatte sie 2009 so auf die Wahlliste gesetzt, dass sie in den Landtag kam. Sie gab Ende August 2018 ihre Kandidatur bekannt. Er meldete erst danach, dass er nicht mehr antreten werde. Er habe es vorher für sich beschlossen gehabt, sagt er. "Das einzige, was unrund war, waren die Zeitpunkte, wann wir was gesagt haben." Er unterstützt sie nun.

Fraktionsvorsitzender und Vize der Bundes-SPD bleibt der Linksaußen Stegner bis auf Weiteres, für den Fraktionsvorsitz will er im Sommer wieder kandidieren. Man wird sehen. "Ich gehe nicht in Ruhestand, ich gebe nur eines meiner Ämter auf", sagt er. "Ich bin 59 und nicht 79, die Kampfkraft ist noch komplett da." Aber klar, er hält am Samstag seine Abschiedsrede an der Landesparteispitze, er hat wochenlang an dem Text gefeilt.

Wehmut? "Natürlich, ich habe das mit großer Leidenschaft und Emotion gemacht." Seine Rückschau fällt so zwiespältig aus, dass Stegner dafür die doppelte Verneinung wählt: "nicht unzufrieden." Er hat mit der SPD gewonnen, sie bundesweit mitgeprägt - und mehrere Wahlen verloren. 2017 wurde Daniel Günther von der CDU überraschend Ministerpräsident, nach einem verkorksten Wahlkampf von Vorgänger Torsten Albig und der SPD. Günthers Jamaika-Bündnis folgte der Küstenkoalition aus SPD, Grünen und SSW.

Da brodelte etwas in Serpil Midyatli. "Wenn man so einen Reformprozess macht, dann braucht es auch einen Wechsel an der Spitze, um außerhalb der Partei glaubwürdig wahrgenommen zu werden", sagt sie jetzt. "Mein Mann sagte nach meiner Entscheidung: na, endlich." Stegner zog nach. Politisch sind sich die zwei ähnlich, sie vertreten beide die linke SPD, aber ihre Gesichter und Geschichten unterscheiden sich doch erheblich.

Stegner ist eine Marke. "Die meisten wissen, das ist der Sozi", sagt er. Rüstungsexportstopp, Rente, Brexit - Stegner kann man immer fragen, seine Schärfe könnte auch geholfen haben, die AfD in Schleswig-Holstein klein zu halten. Er kann sogar witzig sein. "Sie sind netter, als ich dachte", würden viele Leute zu ihm sagen. "Besser als umgekehrt", findet Stegner. Andererseits halten ihn Zuschauer häufig für mies gelaunt, was er mit dem Hinweis entschuldigt, dass er sich halt nicht gleichzeitig konzentrieren und nett schauen könne. Und im Vergleich zu Serpil Midyatli sei er "temperamtsmäßig ein Kaltblüter", sagt Stegner. Sie sei ein politischer Vulkan.

Auf einer Bühne wurde Midyatli zur SPD geholt. Von ihrem Vorbild Heide Simonis

Serpil Midyatli kommt beschwingt ins Landtagscafé, holt Kaffee an der Theke und räumt nachher ab. Sie lacht viel. Schleswig-Holsteins künftige SPD-Chefin wurde 1975 in Kiel geboren, ihre Eltern kamen aus der Türkei. Mit 19 eröffnete sie das Familienrestaurant, 2000 wurde sie als Unternehmerin von ihrem Vorbild Heide Simonis auf einer Bühne zur SPD geholt. Frau, Migrationshintergrund, zweisprachig, Muslimin, Mutter: "Das prägt einen natürlich, weil man sich immer beweisen musste, weil einem wenig zugetraut wurde", sagt sie. Die Haare hat sie sich mal aus Protest kurz schneiden lassen. Sie ist spontan, selbstbewusst, sagt Sätze wie: "Ich war 16 Jahre lang selbständig. Sie gehen nicht mit dem niedrigsten Preis in eine Verhandlung." Und: "Ich bin seit zwölf Jahren im Landesvorstand, die Genossinnen und Genossen kennen mich."

Ihre Themen sind Kitas, Migration, Sozialstaat. Sie organisiert gerne, nun soll sie diese SPD führen, 17 000 Mitglieder, man wird über Fraktionsvorsitz und Spitzenkandidatur diskutieren. Das Profil der Partei will Midyatli schärfen, sie "personell breiter aufstellen". Stegner? Er habe sie gefördert, "aber ich habe meine Chancen selbst genutzt". Da sei kein Machtkampf. Stegner sagt: "Serpil wird ein gutes Ergebnis kriegen." Bei ihm am Samstag auch auf Twitter.

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