Süddeutsche Zeitung

Thorsten Schäfer-Gümbel:Der Trümmermann der SPD

Zum Ende seiner politischen Karriere ist der 49-Jährige ganz nach oben gekommen. Als einer von drei kommissarischen Parteichefs darf er jetzt die großen Hebel der Macht bedienen - und findet Gefallen daran.

Von Mike Szymanski, Berlin

Im Leben des Thorsten Schäfer-Gümbel haben Politikerinnen mit dem Vornamen Andrea eine nahezu schicksalhafte Kraft entfaltet. Er war ein unbekannter hessischer Landespolitiker, als seine damalige Chefin, Andrea Ypsilanti, 2008 die SPD in eine große Krise stürzte. Sie hatte gegen ihr klares Versprechen versucht, sich mit Hilfe der Linkspartei in Wiesbaden zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen. Das bekam ihr nicht gut und der Partei auch nicht.

Als alles in Trümmern lag, da schlug die Stunde des "TSG", wie Thorsten Schäfer-Gümbel der Einfachheit halber genannt wird. Als neuer Chef, anfangs als Verlegenheitslösung belächelt, rückte er an die Spitze der Hessen-SPD. 2019, im Juni, war es wieder eine Andrea, die eine SPD am Boden zurückließ. Nahles gab als Bundesvorsitzende auf. Wieder durfte Schäfer-Gümbel ran, als einer von drei kommissarischen Chefs.

Für den 49-jährigen Politiker kommt damit das Beste zum Schluss. Schäfer-Gümbel kann plötzlich die großen Hebel der Macht bedienen, die ihm verwehrt blieben, nachdem er als Spitzenkandidat 2009, 2013 und 2018 in Hessen verloren hatte. Mit Kanzlerin Merkel und den Chefs von CDU und CSU berät er plötzlich über die große Politik. Er hilft, die Mietpreisbremse nachzujustieren. Im Streit um die Grundrente darf er das Kreuz breitmachen. Ob Irak-Mandat oder die Lage in der Straße von Hormus - das sind jetzt auch seine Themen. Am Montag präsentierte er seine, noch etwas dünnen, Pläne für eine neue Vermögensteuer. Schon ist sie wieder da, die Umverteilungsdebatte.

Der Hesse ist nicht bereit, in der Parteizentrale lediglich den Hausmeister zu geben

Spätestens jetzt denkt sich mancher: Schau' her, der TSG - hat noch nie eine Wahl gewonnen und es trotzdem irgendwie nach oben geschafft. Dass der Hesse nicht bereit war, im Willy-Brandt-Haus lediglich den Hausmeister zu geben, der morgens das Licht in der Chefetage anmacht und abends wieder aus, zeigte sich schon in den ersten Tagen im Amt. Er setzte sich in die Fernsehtalkshows und vermittelte fortan das Gefühl: Es ist längst nicht alles gut in der SPD. Aber die Lage ist unter Kontrolle.

Schäfer-Gümbel fand schnell Gefallen am neuen Einfluss, bald legte er seine Vorsicht ab. Für ein Interview, in dem er den Grünen Populismus im AfD-Stil vorwarf, entschuldigte er sich später. Dass sich die Partei bei der Suche nach einer neuen Spitze ein anstrengendes und kompliziertes Verfahren auferlegt hat, geht auch maßgeblich auf ihn zurück.

Der Wunsch nach einer Doppelspitze und maximaler Mitgliederbeteiligung ist groß in der Partei - aber auch nach Transparenz: Mit dem Spiegel liegt TSG seit Tagen im Clinch darüber, wie Finanzminister Olaf Scholz die Interimsparteispitze über seine Kandidatur informiert hat. Es besteht der Verdacht, dass Scholz eine Sonderrolle zugebilligt wurde, die Schäfer-Gümbel mit dem Vorwurf der Falschberichterstattung vertuschen wolle. Die Reporter hatten von einer Telefonschalte geschrieben, die es TSG zufolge gar nicht gab. Wie es wirklich war, sagt er aber auch nicht.

Trotzdem erntet er auch Respekt für seine Rolle. Wenn die drei kommissarischen Chefs nicht von Anfang an erklärt hätten, sie stünden als Nahles' Nachfolger nicht zur Verfügung, wäre jetzt der Zeitpunkt für Schäfer-Gümbel gekommen, eine Kandidatur zu prüfen. Am 1. September läuft die Bewerbungsfrist ab. Doch Schäfer-Gümbel entwöhnt sich bereits von der Politik. Im hessischen Landtag stehen für ihn die letzten Termine als SPD-Fraktionschef an. Auch die Führung des Landesverbandes gibt er demnächst ab.

In Hessen hinterlässt der Vater von drei Kindern eine einigermaßen befriedete Partei. Und in Berlin? Weiß noch niemand mit Sicherheit zu sagen, ob die langwierige Kandidatenkür der SPD am Ende helfen wird. Schäfer-Gümbel wird nur noch bis Ende September an Bord sein. Im Oktober wechselt er als Arbeitsdirektor zur Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Dann lässt er die SPD hinter sich.

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SZ vom 27.08.2019/jbb
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