Süddeutsche Zeitung

SPD-Vorsitzende:Lieber Twitter als Pressekonferenz

Für Parteichefin Saskia Esken ist Politik in Corona-Zeiten kein Problem: Sie fühlt sich im Netz wohl. In der SPD sorgt ihr Stil jedoch für Skepsis.

Von Mike Szymanski, Berlin

Wer von Parteikollegen wissen will, mit wem die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken viel Zeit verbringt, bekommt keine Namen genannt, sondern zu hören: "Mit ihrem Handy". Ob in den Sitzungen der Bundestagsfraktion oder in den Runden der Parteispitze - Teilnehmer berichten, es vergehe kaum ein Treffen, bei dem sie nicht darauf herumtippt. Sie twittert aus Sitzungen ihre Standpunkte; Anfang März etwa, als es um die Aufnahme von Flüchtlingskindern aus griechischen Camps ging und sie mehr Einsatz von Innenminister Horst Seehofer forderte.

Esken streitet im Internet, etwa für ihre Idee einer Sonderabgabe von Vermögenden, um später die Kosten der Corona-Krise zu finanzieren: "Wir haben offenbar ein unterschiedliches Verständnis vom Zusammenstehen", richtete sie dem CDU-Bundestagskollegen Jan-Marco Luczak aus, der ihren Vorschlag für "absolut verfehlt" hält. Wer sie anspricht, kann mit einer Antwort rechnen, egal, wie bedeutend sie oder er ist. Das gilt selbst für jene, die ihr "ans Schienbein" treten, wie sie mal schrieb. Einer fragte, wo denn in Corona-Zeiten die SPD-Chefs seien, man höre so wenig von ihnen; anders als von Familienministerin Franziska Giffey oder Finanzminister Olaf Scholz. Esken antwortete: "Ich bin hier. Womit kann ich helfen?"

"Das ist gerade ihr Ding", sagt ein Weggefährte über die derzeitige Lage

Es gibt Politikerinnen und Politiker, die erleben diese Tage und Wochen als große Durststrecke, weil die Corona-Krise sie aus ihren Routinen herausgerissen hat: Plötzlich keine wuchtigen Auftritte vor großem Publikum mehr, keine langen Abendtermine oder Gremiensitzungen bei Keksen und Kaffee. Und es gibt Saskia Esken, die gut mit den Umständen zurechtkommt, unter denen Politikmachen noch möglich ist, weil sie vorher schon so Politik gemacht hat. Sie braucht all das andere nicht wirklich: Die Auftritte vor der Presse nach Gremiensitzung in der Parteizentrale lässt sie eher über sich ergehen. Durch ihre Rede beim politischen Aschermittwoch in Bayern kämpften sie und ihr Publikum sich gleichermaßen durch.

Die Zeit jetzt? "Das ist gerade ihr Ding", erzählt eine Person, die im Alltag viel mit ihr zu tun hat.

Esken ist in vielerlei Hinsicht als Parteivorsitzende ein Experiment für die SPD, nicht nur weil sie kaum Führungserfahrung für eine solche Aufgabe mitbrachte. So digital, so ungefiltert, war noch keine SPD-Chefin, kein Chef zuvor unterwegs.

Co-Chef Walter-Borjans wurde öfter von ihren Tweets überrascht, das Duo wirkte unabgesprochen

Für ihren Co-Vorsitzenden Walter-Borjans, aber auch für die Vorgänger, Andrea Nahles, Martin Schulz oder Sigmar Gabriel, ist das große Interview wichtiger als der schnelle Tweet. Esken sendet dagegen auf ihrem eigenen Kanal, ohne dass ihre Berater viel mitzureden hätten. Das hat Vorteile: Sie wirkt authentisch, sie schafft Nähe zu Leuten, bei denen die SPD sich sonst schwertut, sie anzusprechen und für sich zu gewinnen.

Die SPD ist eine tendenziell alternde Partei. Im Schnitt sind ihre Mitglieder 60 Jahre alt. Das birgt Risiken: Ein ums andere Mal wurde Walter-Borjans schon von ihren Äußerungen überrascht, mitunter standen sie im Widerspruch zu seinen. Dann sah es so aus, als ob sich die Doppelspitze nicht abstimmt. Und das kann die SPD gerade nicht gebrauchen.

Kritiker sagen, sie verliere den Blick fürs Wesentliche

Intern schlägt Esken große Skepsis entgegen. Sie verzettele sich, heißt es, verliere durch die Twitterei den Blick fürs Wesentliche, versäume, worum es eigentlich gehen müsse: die Partei zu führen.

Tatsächlich fremdeln immer noch große Teile der Parteibasis mit Esken und Walter-Borjans. Denn beiden gelingt es bislang kaum, die SPD aus dem Umfragetief herauszuführen. Die Union kommt dagegen durch das Krisenmanagement der Kanzlerin in Corona-Zeiten zu Kräften.

Walter-Borjans und Esken haben dagegen eine andere Wahrnehmung. Sie sehen sich von großem Zuspruch getragen - den sie vor allem aus dem Internet erführen. Bei Esken mag das wenig überraschen. Mit ihrer Vergangenheit als Digitalpolitikerin und besonders mit ihrem Widerstand gegen Upload-Filter hat sie vor ihrer Zeit als Parteichefin im Internet eine Fangemeinde aufgebaut. Dass sie und Walter-Borjans es überhaupt bis an die Spitze der Partei geschafft haben, geht letztlich auch auf den Einsatz des Parteinachwuchses von den Jusos und einer wuchtigen Kampagne in den sozialen Netzwerken zurück. Unter normalen Umständen hätte die SPD sicher längst mit einer Debatte zu kämpfen, ob die beiden an der Spitze die richtigen sind.

Aber was ist in diesen Zeiten schon normal.

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SZ vom 17.04.2020/thba
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