Verhältnis zu Russland:„Eine Schande für die deutsche Sozialdemokratie“

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Seit 19 Jahren ist Altkanzler Gerhard Schröder nun nicht mehr im Amt, seinen Schatten wirft er auch heute noch auf seine Partei, die SPD. (Foto: Friedrich Bungert)

Wohin treibt nur die SPD? Sie einigt sich in Sachen Krieg und Frieden mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht in Brandenburg – und streitet über ein Lob für Gerhard Schröder, der wiederum Donald Trump lobt und sich mit Viktor Orbán trifft. Parteimitglieder warnen vor einer Rolle rückwärts.

Von Georg Ismar, Berlin

Über zu wenig Arbeit kann sich Matthias Miersch nicht beschweren, er lernt gerade all die Risiken und Nebenwirkungen kennen bei der Tätigkeit eines SPD-Generalsekretärs in Zeiten der Polarisierung und Verunsicherung. Miersch hat den einen Teil der Aufregung in der Kanzlerpartei selbst mitausgelöst, durch Aussagen zu Gerhard Schröder, der andere Teil wiederum lässt sich in Potsdam verorten.

Miersch hatte in einem Interview mit der Zeitschrift Stern auf eine Frage, ob es Raum für Schröder in der deutschen Sozialdemokratie geben müsse, gesagt: „Ja. Sonst hätte Gerhard Schröder aus der Partei ausgeschlossen werden müssen.“ Und er argumentierte streng juristisch: Beide Schiedsgerichtsverfahren gegen den Altkanzler hätten „ihm bescheinigt, dass er sich nicht parteischädigend verhalten hat“. Aber Miersch sagte auch: „Ich kann seine Lebensleistung, gerade als Vorsitzender des Bezirks Hannover, insgesamt würdigen, auch wenn ich eine fundamental andere Auffassung in Sachen Putin und Angriff auf die Ukraine habe.“

Neuerdings darf Schröder wieder in der ersten Reihe sitzen

Nun steht Schröder eben für jenen Kurs, der, trotz allem, auf ein Auskommen mit Russland setzt und in der SPD durchaus viele weitere Anhänger hat, der aber vor allem zum Mobilisierungsthema für AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wurde. Zuletzt durfte Schröder in Schwerin beim Tag der Deutschen Einheit auch wieder in der ersten Reihe sitzen – Gastgeberin war Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (ebenfalls SPD), beide kennen sich gut wegen des Nord-Stream-Projekts.

Aber dass Schröder nun mit Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbán bei einem „geopolitischen Abend“ der Schweizer Zeitschrift Weltwoche in Wien auf dem Podium saß, das bringt auch seine Fürsprecher in neue Erklärungsnöte. Der Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner, der wie Miersch mahnt, Schröders Leistung als Kanzler anzuerkennen, sagte der Süddeutschen Zeitung, mit Orbán könne es für Sozialdemokraten keine Gemeinsamkeiten geben, er sei „der Verfechter der illiberalen Demokratie“. Aber Schröder sei eben auch „Pensionär und trägt keine politische Verantwortung für die SPD“.

Bei dem Treffen am Donnerstag machte Orbán klar, dass er bei einem Sieg von Donald Trump bei der Präsidentschaftswahl am 5. November in den USA von ihm und seinem Team eine sofortige Initiative für eine diplomatische Lösung des Krieges in der Ukraine erwarte. „Sie werden sich im Handumdrehen mit dem russischen Präsidenten hinsetzen und Verhandlungen führen“, sagte Orbán. Schröder betonte, Trump sei tatsächlich derjenige, der einen Beitrag zum Ende der Kämpfe leisten wolle. „Dass ich den noch einmal loben würde“, meinte Schröder mit Blick auf den Republikaner. Beide zweifeln an, dass weitere Waffenlieferungen an die Ukraine etwas ändern können, betonen, dass ein Sieg der Ukraine immer illusorisch war – der skizzierte Friedens-Weg würde, ohne dass sie es klar sagen, zu großen Gebietsabtretungen der Ukraine führen.

Schröders Aussagen, gerade zu Trump, sorgen prompt für neue Aufwallung in der Partei, der Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe sagte: „Gerhard Schröder ist eine Schande für die deutsche Sozialdemokratie. Wenn er ein letztes Fünkchen Anstand hätte, würde er die SPD freiwillig verlassen, um Schaden abzuwenden.“ Eine SZ-Anfrage an SPD-Generalsekretär Miersch, was er zu Schröders Auftritt sage, blieb zunächst unbeantwortet.

Der andere Teil, der in der SPD engagiert diskutiert wird, hängt genau mit dem Thema zusammen. Es geht um die Präambel-Vereinbarung für die Koalitionsverhandlungen von SPD und BSW in Brandenburg. Darin heißt es mit Blick auf die Ukraine: „Der Krieg wird nicht durch weitere Waffenlieferungen beendet werden können.“ Und man sehe zudem die geplante Stationierung von US-Mittelstrecken- und Hyperschallraketen „auf deutschem Boden kritisch“. Es brauche konkrete Angebote, „um wieder zu Abrüstung und Rüstungskontrolle zu kommen“. Der SPD-Politiker Michael Roth hatte das als einen doppelten Bruch mit der Politik von Kanzler Olaf Scholz interpretiert. Auch, dass Wagenknecht das Papier lobte, nicht aber die „Friedensformel“ von CDU, SPD und BSW in Thüringen, wurde kritisch vermerkt – im Thüringer Papier betonten die Parteien offen ihre Differenzen beim Thema Waffenlieferungen.

In Brandenburg ist man um Einordnung bemüht

Die Brandenburger SPD ist daher an etwas Einordnung gelegen. Generalsekretär David Kolesnyk sagt, man habe sich dagegen entschieden, unterschiedliche Positionen in ein gemeinsames Papier zu schreiben. Aber die Formulierung bedeute nicht, dass sich die SPD in Brandenburg gegen weitere Waffenlieferungen stelle. In einer Mitteilung an die Mitglieder wird betont: Es bestehe „eine moralische Pflicht, die Ukraine – auch mit Waffen – zu unterstützen. Es muss zugleich alles dafür getan werden, dass der Konflikt sich nicht ausweitet“. Um dauerhaften Frieden zu erreichen „braucht es fortlaufend diplomatische Bemühungen“. Das Völkerrecht müsse eingehalten werden, und die Ukraine habe „zu Recht den Anspruch, dass ihre Grenzen respektiert werden“.

Ministerpräsident Dietmar Woidke hat nach der Wahl betont, dass diese Fragen ja ohnehin Bundessache seien und blieben. Auch im Willy-Brandt-Haus versucht es ein Sprecher mit Gelassenheit: „Die Vereinbarungen in Brandenburg haben keine Auswirkungen auf die Bundesebene.“ Bei der Unterstützung der Ukraine habe der Kanzler auch nach der Landtagswahl mehrfach deutlich gemacht, dass die Bundesregierung die Ukraine weiter unterstützen werde.

Prominente SPD-Mitglieder verlassen die Partei

Aber dennoch haben die vergangenen Tage Folgen. Der Historiker Jan C. Behrends, Osteuropa-Professor an der Universität Viadrina in Frankfurt/Oder, der in einem Brief prominenter Wissenschaftler mit SPD-Parteibuch eine deutlich stärkere militärische Unterstützung gefordert hat, fürchtet einen großen Rollback der SPD in Sachen Russlandpolitik, anlog zu den Wahlerfolgen der Russland-affinen AfD und BSW. Behrends verweist darauf, wer gerade die SPD verlasse. So habe der Historiker und Verleger Ernst Piper nach 54 Jahren seinen Austritt verkündet – wegen des Entgegenkommens zu den Positionen des BSW in Brandenburg und Mierschs Aussagen zu Schröder, die er als Versuch einer Rehabilitierung wertet. Auch der Historiker Karl Adam hat seinen Austritt erklärt. Er schreibt zum Abschied, Parteichef Lars Klingbeil habe 2022 nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine eine außenpolitische Wende einleiten wollen. „Doch all das ist längst versandet.“ Der „Friedens“-Europa-Wahlkampf und andere Entwicklungen zeigten deutlich, wohin die Reise wieder gehe: „ins Gestern, ins Ungefähre, ins Halbgare, Halbseidene – dorthin, wo du von BSW und AfD gelobt wirst“.

Nun weist gerade Klingbeil den Eindruck eines Kurswechsels zurück – und letztlich gibt es in der SPD die Spannbreite an Meinungen wie draußen im Volk. Die SPD betont auf eine SZ-Anfrage, ob es eine Häufung an Austritten gebe, das sei „nicht zutreffend.“ Die CDU mutmaßt, auch wegen der Ampelkrise, dass sie nach langer Zeit die SPD bei der Mitgliederzahl sogar überholt haben könnte. Aber die Auflösung muss noch warten: Die SPD wird traditionell erst im Januar die Mitgliederzahlen für das abgelaufene Jahr benennen.

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