Süddeutsche Zeitung

Protokolle aus der SPD:"Bock, zu kämpfen"

Wie lässt es sich überhaupt noch aushalten, SPD-Mitglied zu sein? Und wie soll die Partei jetzt, nach Nahles' Rücktritt, weitermachen? Fünf Stimmen von der Basis.

Von Benedikt Peters, Philipp Saul und Zita Zengerling

Eine gerade zurückgetretene Vorsitzende, ein historischer Absturz bei der Europawahl und die ewige Debatte um die große Koalition: Man kann sich in diesen Zeiten Besseres vorstellen, als SPD-Mitglied zu sein. Zumal da im Herbst, bei drei Landtagswahlen in Ostdeutschland, die nächsten Niederlagen drohen. An der Parteibasis ist die Stimmung entsprechend gedrückt. Doch es gibt auch viele, die sagen, dass sie kämpfen wollen - jetzt erst recht.

"So geht man nicht miteinander um"

"Die Lage der SPD macht mich traurig. Bei der Europawahl hatte ich nicht viel erwartet, aber als ich das Ergebnis sah, war ich trotzdem fix und fertig. Auch der Wahlkampf war schwierig, wir wurden teilweise beleidigt und persönlich angegriffen. Trotzdem stelle ich nicht in Frage, in welcher Partei ich bin. Ich stehe zu den Grundwerten der SPD - und ich kann nur etwas verändern, wenn ich mich engagiere. Die SPD gibt es schon so lange, dass sie auch diesen Schiffbruch überstehen wird.

Ich war gegen den Eintritt in die große Koalition, aber ich würde nicht sagen, dass wir aus der Regierung austreten müssen, weil unsere Wahlergebnisse jetzt so schlecht sind. Wir sollten die Halbzeitbilanz abwarten und dann entscheiden. Ich habe nicht damit gerechnet, dass Andrea Nahles so schnell zurücktritt. So, wie Fraktionssitzungen abgelaufen sein müssen oder wie einige SPD-Mitglieder sie im Internet kritisiert haben, geht man nicht miteinander um. Wir sind Genossen, wir haben uns zu respektieren. Ich würde mir eine Urwahl zum Parteivorsitz wünschen. Statt über Posten zu streiten, sollten wir uns lieber auf Inhalte konzentrieren und uns zu wichtigen Themen wie dem Klimaschutz klar positionieren."

"Gerade jetzt eintreten"

"Viele Menschen mögen sich von der SPD abwenden. Ich habe mich entschieden, gerade jetzt in die Partei einzutreten. Ich komme aus Annaberg-Buchholz im Erzgebirge, die anstehende Landtagswahl bei uns in Sachsen beschäftigt mich sehr. Ich habe das Gefühl, dass ein großer Graben entstanden ist: Auf der einen Seite stehen die Menschen, die für die AfD stimmen, auf der anderen Seite diejenigen, die die Grünen wählen. Ich glaube daran, dass die SPD diesen Graben schließen kann.

Die enormen Gegensätze zwischen Stadt und Land, der Strukturwandel, niedrige Löhne - all das sind Dinge, die in meiner Heimat viele Menschen umtreibt. Wenn die SPD dagegen auf eine Politik der sozialen Gerechtigkeit setzt, die gleichzeitig stärker als früher den Klimaschutz betont, dann kann sie viele Menschen mitnehmen. Dafür will ich kämpfen."

"Wahnsinnig frustrierend"

Dirk Smaczny, 50, Verwaltungsangestellter und Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Rheinhausen-Mitte in Duisburg:

"Wir vom Ortsverein Duisburg/ Rheinhausen-Mitte waren mehrheitlich gegen die große Koalition. Die Partei hat sich dann anders entschieden, und als gute Demokraten haben wir das mitgetragen. Jetzt aber sind alle Befürchtungen eingetroffen, die SPD hat in der Regierung viele gute Inhalte durchgebracht, aber sie hat die Früchte nicht geerntet.

In Rheinhausen-Mitte hatten wir bei der Europawahl zwar noch eine drei vorne, aber wir kommen hier von über 50 Prozent. Das ist wahnsinnig frustrierend, ebenso wie die unklare Lage an der Parteispitze. Wir werden hier an der Basis trotzdem weitermachen. Es geht hier ja gar nicht so sehr um die große Politik - sondern darum, sich um unseren Ort und um die Leute zu kümmern. Um den LKW-Verkehr zum Beispiel, der hier viele Menschen nervt, oder um die nächste Bordstein-Absenkung. Da gibt es dann durchaus das eine oder andere Erfolgserlebnis, und abends, wenn man schlafen geht, weiß man, wofür man das macht."

"Vorsitzende per Urwahl bestimmen"

"Ich habe jetzt mehr denn je Bock, zu kämpfen und dabei mitzuhelfen, die SPD richtig umzugestalten. Wir müssen weg von Hinterzimmer-Entscheidungen. Die Nachfolger an der Parteispitze wurden bisher fast immer wie in einer Erbmonarchie ernannt. Die Mitglieder sollten den oder die Vorsitzende per Urwahl bestimmen können, vielleicht auch eine Doppelspitze. Vor der Urwahl sollten die Kandidaten durch das Land touren und ihr Programm vorstellen. Ich sage es ungern, aber so ein bisschen wie die CDU es gemacht hat, nur auf basisdemokratische Art.

Idealerweise sollten es viele verschiedene Kandidaten mit unterschiedlichen Politikstilen und Biografien sein. Einen bestimmten Kandidaten habe ich nicht im Kopf. In der engeren Parteiführung sollte es künftig aber niemanden mehr geben, der sich für die große Koalition eingesetzt und den Umbruch verhindert hat. Ich bin nicht für ein sofortiges Ende der Koalition, aber für ein perspektivisches. Spätestens Ende des Jahres oder zur Halbzeitbilanz sollte man sagen: Wir müssen uns erneuern.

Und wenn wir bei der nächsten Wahl ein schlechtes Ergebnis bekommen, dann ist es eben so. Dann kriegen wir halt nur zwölf Prozent. Aber das ist mir jetzt lieber, als wenn wir 2021 bei fünf Prozent liegen - ich denke, das würde passieren, wenn wir in der großen Koalition bleiben. In der Opposition muss es inhaltlich mehr um grundlegende Fragen wie Umverteilung und soziale Gerechtigkeit gehen. Das ist das, wofür die SPD steht. Wir brauchen eine Wende um 180 Grad. Wenn wir so weitermachen, wird die Partei auf Bundesebene bald unbedeutend sein."

"Regierung konsequent zu Ende führen"

"Viele sehen die Auflösung der großen Koalition als heilbringende Lösung. Ich bin der Meinung, wir sollten die Regierung konsequent zu Ende führen, auch wenn ich damals dagegen gestimmt habe. Wir konnten viele sozialdemokratische Themen setzen und im Koalitionsvertrag unterbringen. Jetzt haben wir die Verantwortung und müssen sie auch tragen.

Es bräuchte einen Parteichef, der die Mitglieder eint. Die SPD braucht mehr Politiker, die auf Menschen zugehen können. Ich wünsche mir, dass jemand wie Martin Dulig, der sächsische SPD-Chef, mehr Berücksichtigung findet. Er verkörpert das, was die Sozialdemokratie mal ausgemacht hat und kennt sich im ländlichen Raum aus. Er geht die Probleme an, mit denen wir in Sachsen jeden Tag konfrontiert sind. Und wenn er bundespolitisch bekannter wäre, könnte er auch in Sachsen mehr erreichen.

Bei der Landtagswahl im September geht es um eine entscheidende Zukunftsfrage: Koaliert die CDU künftig mit der AfD? Die SPD sollte sich klar dagegenstellen, auch wenn sie dafür auf den Marktplätzen in Oschatz oder Döbeln nicht ausschließlich Applaus ernten wird. Natürlich engagiere ich mich im Wahlkampf. Ich habe den klaren Vorsatz gefasst, in Gesprächen Flagge zu zeigen und zu betonen, dass ich SPD-Mitglied bin."

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