SPD-Politiker Kurt Beck:Gegangen, um zu bleiben

Kurt Beck

In der Mainzer Staatskanzlei: Kurt Beck, scheidender Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, soll Vorsitzender der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung werden.

(Foto: dpa)

So einfach lässt sich Kurt Beck nicht nach Hause schicken. Der scheidende Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz ist auch am Ende seiner politischen Laufbahn noch einmal unterschätzt worden - er hat schon ein neues Amt.

Ralf Wiegand, Mainz/Ramberg

Es gibt Kesselfleisch und Sauerkraut, Blut- und Leberwurst, einen weißen, süffigen Landwein dazu, natürlich frisches Schwarzbrot vom Bäcker im Dorf, hinterher Filterkaffee aus blubbernden Thermopumpkannen und Hefezopf vom laufenden Meter. Der Raum dampft, die Fensterscheiben beschlagen.

Es ist Schlachtfest in Ramberg in der Südpfalz. Der Ministerpräsident hat längst sein Sakko über den Stuhl gehängt, Kesselfleisch und Sauerkraut und Hefezopf gegessen, Wein und Kaffee getrunken. Zufrieden sitzt er am Kopf der Tafel, um ihn herum hocken Freunde. Ramberg ist rund 20 Kilometer von Steinfeld, seinem Heimatort, entfernt. Die Wangen leuchten. Das Hemd spannt. Kurt Beck sieht zufrieden aus an diesem Tag, und irgendwie: gesund.

"Kurt Beck tritt ausschließlich aus gesundheitlichen Gründen zurück", hat Malu Dreyer tags zuvor gesagt, als sie neben Beck auf der Bühne der Mainzer Phoenix-Halle stand und Interviews gab. Dort war Beck, 63, zum letzten Mal Gastgeber des Betriebs- und Personalräteforums, künftig wird Dreyer die Vertreter aller Arbeiter aus Rheinland-Pfalz einmal im Jahr einladen, zum Meinungsaustausch.

Malu Dreyer, 51, noch Sozialministerin, löst Beck an diesem Mittwoch ab, sofern der Landtag sie mit den Stimmen der rot-grünen Koalition wählt. Sie wird die erste Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz sein. Die Frage, auf die sie geantwortet hatte, fing so an: "Kurt Beck tritt ja auch aus gesundheitlichen Gründen zurück" - da war sie der Reporterin schon ins Wort gefallen: " . . . ausschließlich aus gesundheitlichen Gründen!" Ausschließlich, das ist ganz wichtig.

Es geht um die Würde des Abschieds eines Mannes, den man gefahrlos einen verdienten Sozialdemokraten nennen darf. Beck selbst hatte lediglich auf ein "ernstes Problem mit der Bauchspeicheldrüse" hingewiesen, als er im vergangenen September die Aufgabe aller politischen Ämter bekanntgab. Mehr nicht. Es bedeutete gleichzeitig, dass er nicht dem Druck der Opposition nachgegeben haben wollte, die ihn kurz zuvor durch einen Misstrauensantrag im Parlament hatte stürzen wollen, ohne Erfolg.

Die Nürburgring-Affäre, dieses Hunderte-Millionen-Euro-Grab in der Eifel, soll nicht der Grund seines Rücktritts sein. Die Geschichte liegt eh' schon wie ein Schatten auf der Ehrenrunde, die er im Lande dreht. Im Februar wird Beck als Zeuge vor Gericht aussagen müssen. "Ich hätte das jetzt schon gerne weggeräumt", sagt er, aber die Verhandlungstage wurden aus organisatorischen Gründen verschoben.

Es ist verständlich, wenn Kurt Beck nicht mit so einer Niederlage vom Platz schleichen will, sondern aufrecht gehen möchte. Gesundheitliche Gründe sind Privatsache, niemand fragt ernsthaft nach, weil sich das nicht gehört. Beck selbst hat sein Leben als Ruheständler ohnehin längst vorgespult bis nach seiner "vollständigen Genesung", die ihm die Ärzte in Aussicht stellen.

Noch vor der Aufgabe aller Ämter hat er erstmal ein neues übernommen. Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung wird er, kommissarisch als Nachfolger des unerwartet verstorbenen ehemaligen Bundesverteidigungsministers Peter Struck. Und wenn er dann Ende des Jahres, sofern die Gesundheit es erlaubt, für zwei weitere Jahre gewählt werden würde, dann hätte er da Lust drauf, sagte Beck jüngst.

Eine Aufgabe. Eine Perspektive. Endlich. Ihm war zuletzt ja kaum eine Antwort eingefallen auf die Frage nach einer Verwendung für die Zeit nach dem Rücktritt. Er würde sich doch lächerlich machen, sagte er, wenn er daheim in der Küche und im Garten helfen würde: "Meine Frau würde sich bedanken."

Da wird was fehlen

Radtouren durch den Pfälzer Wald und die Teilnahme am Faschingsumzug waren die verlockendsten Aussichten des angehenden Politpensionärs. Auch beim Schlachtfest in Ramberg ist er nur Gast. Die Karawane von Staatskarossen bringt ihn bald wieder nach Mainz.

Es scheint so, als sei es ihm doch noch ein bisschen zu früh für die dauerhafte Heimkehr. Man denkt sich das so einfach: Beck, der Mann aus einfachen Verhältnissen, in Steinfeld im Landkreis Südliche Weinstraße aufgewachsen und dort wohnen geblieben, Volksschulabschluss, Elektriker-Lehre, verheiratet mit einer Friseurin, kehrt endlich heim. Selbst wenn einer wie er 33 Jahre im Landtag gesessen hat, 19 Jahre Landesvorsitzender der SPD war, 18 Jahre Ministerpräsident und über zwei Jahre Bundesvorsitzender, wenn einer mal Kanzler werden wollte, die Macht roch - Kurt Beck, glauben die Leute, geht einfach wieder dorthin, wo er herkam.

Im Grunde ist das eine Respektlosigkeit, die viele soziale Aufsteiger erfahren. Irgendwann sollen sie zurück. Beck lebt damit, seit er hohe Ämter übernommen hat. 1994 erbte er die Mainzer Staatskanzlei von Rudolf Scharping, der nach Berlin ging. Mit seinem damaligen Sprecher habe er sich angefrotzelt, erzählt Beck, was sie wohl in zweieinhalb Jahren machen würden - "mehr hat man mir nicht zugetraut".

Aber er blieb kein Gast auf Zeit im großen politischen Theater, er gewann das Vertrauen der Leute auf Dauer. Wenn Beck aufhört, hört auch eine selten gewordene Art von Politiker auf: Einer, der das Leben der sogenannten kleinen Leute kennt, weil er es selbst geführt hat und auf der nächsthöheren Ebene für diese Menschen eintrat. Das ist vor dem Hintergrund des Todes von Struck, der auch in diesem Ruf stand, bitter für die Kleine-Leute-Partei SPD.

Beck erzählt, dass er einst als erstes in der Staatskanzlei die Briefe, die nach draußen gingen, umschreiben ließ. Die Vorlagen im Bürokratendeutsch redigierte er mit der grünen Ministerpräsidenten-Tinte: "Das hat ja kein Mensch verstanden." Ihn aber haben die Leute fast immer verstanden. Vor dem Hintergrund der Wowereit'schen Eiertänze rund um das Berliner Flughafen-Desaster oder die Steinbrück-Debatte um Politikergehälter wirkt Becks Entschuldigung nach der Nürburgring-Pleite fast altmodisch. Wenn er es schon nicht hatte verhindern können, dass so viel Steuergeld vernichtet worden ist, so war es ihm wenigstens irgendwie peinlich. Das ist freilich nur eine Geste, aber immerhin das.

Beck hat sich, so hoch er auch stieg, gegenüber den Leuten zuhause nicht verstellt und sich nie über sie gestellt. Bei diesem letzten Betriebsräteforum in Mainz spielen sich rührende Szenen ab, im Plenum halten sie lauter "Danke, Kurt"-Plakate hoch, und am Ende nimmt der Ministerpräsident einen Sack voller liebevoll ausgesuchter Geschenke mit nach Hause. Filzpantoffeln für den Hausmann. Einen Schal für den Fußballfan. Gerahmte Fotos früherer Firmenbesuche. An fast jeden kann er sich erinnern. Dass alles bald vorbei ist? "Ich lasse das jetzt nicht an mich ran", sagt Beck.

Kurt Beck hat die Karriere tatsächlich härter gemacht. Nur, weil einer Pfälzer mit Leib und Seele ist, muss er nicht immer in der Pfalz bleiben wollen. Beck traute sich selbst mehr zu als die anderen, da ist er wie sein Land. Pfälzer hassen es, als Völkchen mit drolligem Dialekt verniedlicht zu werden, womöglich noch von Rheinländern, die dann ihre schwarz gebauten Wochenendhäuschen in den Pfälzer Wald setzen. Der Pfälzer kontert mit der Arbeitsmarktstatistik, da sind sie Dritter hinter Bayern und Baden-Württemberg, vor dem großen Nachbarn Hessen.

Beck kommt nicht aus einem Land der Zwerge - und doch wirkte er zu manchen Zeiten wie Gulliver: längst zu groß im eigenen Reich und irgendwie zu klein im Berliner Land der Riesen. Dass er dort als SPD-Chef scheiterte, hat ihn schwer verletzt. Er ist skeptischer geworden gegenüber Medien und vorsichtiger in der Partei. Über seine Rücktrittspläne hat er so gut wie niemanden informiert, um Indiskretionen zu vermeiden. Der Sturz als Parteivorsitzender ist die Narbe seines politischen Lebens: "Sie heilt, aber sie geht nicht weg", sagt er.

Als gäbe es den kommenden Mittwoch nicht, reißt Beck Termin um Termin ab. Er begrüßt abends im Gutenberg-Museum zu Mainz bei der Eröffnung einer Ausstellung über 500 Jahre armenischen Buchdruck die armenische Polit-Delegation genauso herzlich wie ein paar Tage später die Eltern der Böhämmer-Grundschule aus Bad Berzabern auf der Tribüne des Parlaments. Von seinem Platz auf der Regierungsbank applaudiert er höflich zu den Besuchern hinauf und scheint dabei jedem einzeln zuzunicken. Andere Abgeordnete schauen nicht einmal auf.

Da wird was fehlen, wenn Beck weg ist.

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