SPD: Personaldebatte:Berliner SPD fordert Rücktritt der Führung

Zur Wahl der Fraktionsvorsitzenden bringt sich der erste Landesverband in Stellung. Berlins Bürgermeister Wowereit fordert ein Ende des Tabus im Umgang mit den Linken.

Nach dem Wahldebakel der SPD fordert der Berliner Landesverband in einem Strategiepapier eine personelle Erneuerung auf Bundesebene. Ein glaubwürdiger Neuanfang sei nur ohne Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück und Franz Müntefering möglich, heißt es in dem Papier laut Angaben der RBB-Welle RadioBerlin 88,8.

Außerdem spricht sich die Berliner SPD nicht nur für den Rücktritt des Spitzenkandidaten, des Parteivorsitzenden und seines Stellvertreters aus, sondern distanziere sich auch von der Agenda 2010 und damit von Hartz IV.

Berlins SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzender Michael Müller brachte bereits vier Kandidaten als denkbares künftiges Führungspersonal der Sozialdemokraten ins Gespräch. Als dafür geeignet bezeichnete er die stellvertretende Parteivorsitzende Andrea Nahles, die bisherigen Bundesminister Sigmar Gabriel (Umwelt) und Olaf Scholz (Arbeit und Soziales) sowie Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit.

Eine inhaltliche Erneuerung nach der verlorenen Bundestagswahl müsse auch durch neue Gesichter sichtbar werden, sagte Müller im Inforadio des RBB.

Nur mit neuem Personal könne den Wählern wieder verdeutlicht werden, dass die SPD weiter für soziale Gerechtigkeit stehe, meinte Müller. Dass Frank-Walter Steinmeier am Nachmittag als neuer Vorsitzender der Bundestagsfraktion gewählt werden solle, sei für ihn am Sonntagabend unmittelbar nach der Wahl zu schnell gekommen. Darüber hätte es zumindest eine breitere Diskussion geben müssen.

Auch aus der bayerischen SPD-Spitze kommt die Forderung nach einer Verjüngung der Führungsriege der Bundespartei. Generalsekretärin Natascha Kohnen sagte dem Sender Bayern2, die SPD müsse "über einen Generationenwechsel nachdenken". In Bayern sei dies bereits geschehen: "Wir haben im Landesverband eine sogenannte neue Generation mit Florian Pronold, Thomas Beyer, Annette Karl. Und ich denke, das ist eine sehr strategische Vorgehensweise", sagte Kohnen.

Die neue SPD-Bundestagsfraktion tritt an diesem Nachmittag zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen. Die 146 neu gewählten Abgeordneten sollen den unterlegenen SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier zum neuen Fraktionsvorsitzenden wählen. Er soll die Nachfolge von Peter Struck antreten, der aus dem Amt scheidet.

Wowereit plädierte indes für einen entspannten Umgang mit der Linkspartei auch in der Bundespolitik. "Wir haben kategorisch erklärt, auf der Bundesebene geht es mit der Linkspartei nie und nimmer", sagte Wowereit am Montagabend in der ARD-Talksendung "Beckmann". Dies sei "wirklich eine Tabuisierung". Er plädiere dafür, dass dieses Tabu wegfällt.

Die SPD solle die Linkspartei "behandeln wie andere Parteien", sagte Wowereit. "Auch mit der FDP hätten wir in vielen Punkten keine Grundlage für eine Koalition gehabt - das haben wir aber nicht zum Tabu gemacht." Nach der "tragischen Wahlniederlage" sei es nun die dringendste Aufgabe, "die Profilschärfe der SPD herauszuarbeiten".

Unterstützung für seine Haltung bekommt Wowereit vom früheren SPD-Vorsitzenden Hans-Jochen Vogel. Beim Umgang mit der Linkspartei rät der 83-Jährige zu Kooperationen. Die SPD müsse entschieden ihre Positionen verteidigen und auf dem Boden der Realität bleiben. "Wenn sich die Linkspartei dem im Einzelfall anschließt, umso besser. Dazu mag es dann auch wechselseitige Sondierungen geben, wie sie mit den Grünen wohl ganz normal sein werden", sagte Vogel.

Von der Forderung der Berliner SPD, die gesamte Parteispitze müsse zurücktreten, hält Vogel indes wenig. SPD-Chef Franz Müntefering "hat seinen Anteil an der gemeinsamen Verantwortung. Es wäre aber nicht fair, die gemeinsame Verantwortung speziell bei ihm abzuladen."

Zugleich warnte er seine Partei vor ausufernden Streitigkeiten. Eine interne Diskussion mit gegenseitigen Vorwürfen wäre in dieser Situation nicht hilfreich, sagte Vogel der in Hannover erscheinenden Neuen Presse. Es sei das Gebot der Stunde, die neue Aufgabe in der Opposition anzunehmen. "Frank-Walter Steinmeier ist unter den gegebenen Umständen als Fraktionsvorsitzender und Oppositionsführer die richtige Besetzung", sagte der frühere SPD-Vorsitzende.

Der SPD-Linke Ottmar Schreiner hält dagegen nichts davon, Steinmeier alle Spitzenämter zu überlassen. Er sprach sich dagegen aus, dass der Kanzlerkandidat und designierte Fraktionschef auch den Parteivorsitz übernimmt. "Ich hielte eine Zweierlösung für sinnvoller", sagte Schreiner im ARD-Morgenmagazin. In der Führungsspitze sollten sich verschiedene inhaltliche Tendenzen wiederfinden. Schreiner forderte weiter eine "schonungslose Bestandsaufnahme", wenn die SPD "noch eine Chance haben will, wieder richtig auf die Beine zu kommen".

Die Situation ähnele 1983, als er als Spitzenkandidat der SPD die Bundestagswahl verloren gehabt und danach als Fraktionsvorsitzender den Übergang mitgestaltet habe. "Es war damals die Fraktion, die der Partei geholfen hat, wieder auf die Beine zu kommen", meinte Vogel.

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