Süddeutsche Zeitung

Wahl der Parteivorsitzenden:Die SPD ist sich selbst nicht gut genug

Mit der Wahl von Esken und Walter-Borjans widerrufen die Sozialdemokraten ihr Votum für die große Koalition, brüskieren ihre Bundespolitiker und überlassen einer CDU in der Krise auch noch das Heft des Handelns.

Kommentar von Nico Fried, Berlin

Dieses Ergebnis steht für viel mehr als nur eine Personalentscheidung. Dieses Ergebnis markiert auch mehr als die Vorentscheidung über das Ende der großen Koalition. Der Ausgang des Mitgliederentscheids in der SPD über die neue Parteispitze gehört in das große Bild einer atemberaubenden und ganz allmählich besorgniserregenden Selbstzerstörungsmechanik im herkömmlichen Parteiengefüge. Die zwei einst großen Volksparteien CDU und SPD sind tief zerrüttet und nicht in der Lage, die Fliehkräfte zu kontrollieren, die an ihnen zerren.

Über den Zustand der CDU ist alles gesagt, seit die neue Vorsitzende sich nach nur einem Jahr veranlasst sah, auf dem Parteitag die Vertrauensfrage zu stellen - die sie auch nur gewann, weil sie die Delegierten mehr überrumpelte als überzeugte. Die SPD wird nach einem halben Jahr, in dem sie nun eine neue Parteispitze gesucht hat, mindestens noch einmal so lange mit den Aufräumarbeiten absorbiert sein. Dabei muss sich erst zeigen, ob sie von zwei unerfahrenen Neulingen auch nur annähernd so stringent geführt wird wie zuletzt von drei Interimsvorsitzendenden.

Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, die nun mit der erklärten Unterstützung von gerade mal einem Viertel aller SPD-Mitglieder die Partei führen sollen, haben noch nie eine Wahl außerhalb der SPD gewonnen, ja noch nicht einmal einen Wahlkreis. Sie haben keine Ahnung von der Führung einer Partei, ja kaum in Parteiämtern. Es ist das gute Recht der SPD-Basis, darin einen Neuanfang zu sehen, einen wahrlich radikalen Neuanfang. Aber zum ganzen Bild gehört auch, dass weder der Wahlkampf des Duos Esken/Walter-Borjans, noch ihr Ergebnis in der Stichwahl des Mitgliederentscheids dazu angetan sind, das Autoritätsdefizit der beiden in der eigenen Partei zu kompensieren. Walter-Borjans, der einstige Landesfinanzminister, wird es genauso schwer haben, auf Augenhöhe mit vom Volk gewählten sozialdemokratischen Ministerpräsidenten zu gelangen, wie Esken Mühe haben wird, sich in der Bundestagsfraktion mehr Respekt zu verschaffen, als sie bisher hatte. Und da ist noch kein einziges Gespräch mit dem Koalitionspartner geführt.

Die Basis hat ihre Unzufriedenheit ausgelebt

Die Appelle zur Geschlossenheit in der SPD, sie klingen jetzt schon gequält. Das kann auch nicht anders sein, nachdem Esken und Walter-Borjans vor allem gewählt wurden, weil das Duo Scholz/Geywitz verhindert werden sollte. Olaf Scholz steht seit jeher für Regierungspragmatismus. Es bleibt eines der großen Rätsel dieses Mitgliederentscheids, warum der Ankauf von Steuersünder-CDs Walter-Borjans in den Rang eines Robin Hood am Rhein erhob, und andererseits eine erfolgreiche Wohnungsbaupolitik in Hamburg oder die Einführung des Kurzarbeitergeldes in der Finanzkrise Olaf Scholz auf seinem parteiinternen Konto keine Zinsen brachten. Für seine Art der Politik gibt es nun keine Mehrheit mehr in der Partei. Die SPD hat sich selbst besiegt.

Natürlich hat Scholz sich das wegen seiner arroganten Art und seinem Hang zur Selbstgefälligkeit auch selbst zuzuschreiben. Aber seine Nicht-Wahl ist nicht nur eine Niederlage der Person Olaf Scholz. Mit dieser Entscheidung gegen den einzigen klaren Befürworter der großen Koalition hat die SPD vielmehr ihr Votum fürs Regieren aus dem Frühjahr 2018 widerrufen. Obwohl fast alle Bedingungen, die die Sozialdemokraten sich und dem Koalitionspartner damals selbst gestellt haben, erfüllt, manche sogar übererfüllt wurden, hat die Basis ihre Unzufriedenheit über die große Koalition nun an deren Protagonisten ausgelebt. Denn das Ergebnis der Stichwahl brüskiert nicht nur Scholz, es ist eine Ohrfeige für alle Bundesminister und Parlamentarischen Staatssekretäre, für die Bundestagsfraktion und nicht zuletzt für die verbliebene Übergangsvorsitzende Malu Dreyer, die sich für die SPD und in der Koalition in den vergangenen Monaten beispiellos ins Zeug gelegt hat. Sie alle haben gegen Esken und Walter-Borjans verloren. Die SPD ist sich selbst nicht gut genug.

Die Selbstbeschäftigung überlagert die durchaus vorzeigbaren Ergebnisse

Das Ergebnis symbolisiert die ganze Unzufriedenheit einer Partei mit sich selbst; es macht den ganzen Hader sichtbar, der die SPD seit nunmehr 20 Jahren begleitet, in denen sie nur vier Jahre nicht regiert hat. Es ist geradezu tragisch, dass die SPD die Chance nicht zu erkennen vermochte, die im Ende der Ära Merkel und dem Zerfall der CDU vor allem in der politischen Mitte gelegen hätte. Das Ergebnis ist die gelebte Kontradiktion zu Oskar Lafontaines viel zitiertem Wort auf dem Mannheimer Parteitag 1995, nur wer von sich selbst begeistert, könne auch andere begeistern. Für die SPD 2019 gilt: Wer sich selbst fortwährend schlecht redet, macht sich am Ende selber fertig.

CDU und SPD taumeln nun dem Ende ihrer gemeinsamen Regierungszeit entgegen, das zu beschleunigen sich seit diesem 30. November als politischer Imperativ geradezu aufdrängt. Kann man das Land wirklich noch länger einer Kombination aus zwei Parteien überlassen, deren Selbstbeschäftigung das Bild der Regierung so dominiert und im öffentlichen Ansehen einen Schaden anrichtet, der die tatsächliche Handlungsfähigkeit der Koalition und ihre durchaus vorzeigbaren Ergebnisse völlig überlagert? Wie schlimm die Lage ist, zeigt sich daran, dass man inzwischen nicht mehr nur eine Minderheitsregierung oder vorgezogene Neuwahlen als kleineres Übel ernsthaft in Betracht zieht, sondern sogar jemanden wie Markus Söder. Noch schlimmer aus Sicht der SPD ist aber, dass sie das Heft des Handelns nun allein der Union überlässt. Denn das Ende der Koalition ist keineswegs automatisch gleichbedeutend mit dem Ende einer von der CDU geführten Bundesregierung oder dem vorzeitigen Ende der Kanzlerschaft Angela Merkels.

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