SPD-Parteitag:Sigmar Gabriel am Tag danach: Das hat gesessen

Leader of SPD Gabriel addresses the party congress in Berlin

Sigmar Gabriel auf dem SPD-Parteitag in Berlin.

(Foto: REUTERS)
  • Sigmar Gabriel signalisiert nach seinem schlechten Ergebnis bei der Wiederwahl zum SPD-Chef: Ich verstecke mich nicht.
  • Gabriel wirkt angefasst, die 74-Prozent-Klatsche hat gesessen.
  • Die Partei erspart ihm weitere Nadelstiche, etwa bei den Themen Doppelspitze oder TTIP.

Von Thorsten Denkler und Christoph Hickmann, Berlin

Der Gang am Freitagabend dürfte Sigmar Gabriel nicht leicht gefallen sein. Obwohl die Delegierten des Bundesparteitags ihn am Nachmittag mit gut 74 Prozent abgestraft hatten, tauchte der Parteichef zu späterer Stunde noch beim traditionellen Parteiabend auf, wo Delegierte, Gäste und Medienmenschen zum Essen, Trinken, Diskutieren zusammenkommen. Hemd und Krawatte hatte Gabriel abgelegt, stattdessen trug er ein schwarzes Polohemd unter dem Sakko - jenes Kleidungsstück, mit dem er sonst gern signalisiert: Ich bin privat hier.

Gabriel konnte das Arbeiten dann aber doch nicht lassen. Erst setzte er sich länger mit seiner frisch gewählten Generalsekretärin Katarina Barley zusammen, dann versuchte er, mit seinem Staatssekretär und Berater Matthias Machnig ein Gespräch zu führen - was daran scheiterte, dass die beiden im Foyer hockten und ständig Leute vorbeikamen, die Gabriel tätscheln, aufmuntern oder ein Foto mit ihm machen wollten.

Was Gabriel mit seinem Besuch signalisierte: Ich verstecke mich nicht. Was man ihm nicht ansehen konnte: Wie tief der Eindruck der Klatsche tatsächlich sitzt. Darauf aber wird es in den nächsten Wochen und Monaten ankommen.

Die Klatsche hat gesessen

Gabriel ist sensibler, als es angesichts seiner raubeinigen Art häufig den Eindruck macht. Über Niederlagen geht er nicht hinweg, sondern knabbert daran - und verfällt in Selbstzweifel, wenn ihm nicht rechtzeitig die richtigen Leute gut zureden. Deshalb sind die nächsten Wochen entscheidend für die Frage, ob Gabriel nun tatsächlich seinen Kurs durchzieht, wie er es nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses trotzig angekündigt hat. Oder ob er ins Grübeln kommt. Darüber, ob er sich unter diesen Umständen tatsächlich die Kanzlerkandidatur antun will. Darüber, ob er für diese Partei noch der Richtige ist.

Noch kann man nicht absehen, in welche Richtung es läuft. Eines aber wird am Samstag, dem Tag danach, schon ziemlich deutlich: Gabriel ist angefasst. Die Klatsche hat gesessen.

In der Parteitagshalle läuft am Vormittag die Debatte über den Freihandel - jenes Reizthema, das vor allem in der Parteilinken schlimmste Befürchtungen weckt, das Gabriel aber zugleich als Wirtschaftsminister zu verantworten hat. Allerlei Linke haben sich mit ihren Bedenken zu Wort gemeldet, haben gewarnt und gemahnt. Da schaltet sich, kurz vor der Abstimmung, auch Gabriel noch mal ein.

"Nicht nur Zufriedenheit mit der eigenen Position"

Er beginnt mit dem Thema Freihandel, erklärt, dass die SPD zu den Verhandlungen über das TTIP-Abkommen doch ohnehin schon klare Bedingungen beschlossen habe. Und dass am Ende, so habe man es schon vor geraumer Zeit beschlossen, noch einmal ein Parteitag oder ein Konvent entscheiden werde, ob die Verhandlungsergebnisse nun annehmbar sind oder nicht.

Dabei aber belässt es Gabriel nicht - sondern kommt auf das Grundsätzliche zu sprechen. Er erinnert an sein Wahlergebnis vom Vortag: Es sei doch der Gegensatz zwischen Partei und Regierung gewesen, der "uns gestern auseinandergetrieben hat". Es gehe am Beispiel Freihandel "um eine sehr prinzipielle Frage", nämlich die, "wie Partei mit Regierungsarbeit umgeht", sagt Gabriel. "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht eine Partei werden, wo die einen rigoros das eine und die anderen rigoros das andere besprechen." Die SPD sei eine Partei, "die das Land und Europa führen" wolle. "Das ist der Anspruch, den die SPD hat - nicht nur Zufriedenheit mit der eigenen Position."

Das ist, einerseits, ein mehr als berechtigter Appell. Dass Gabriel ihn an dieser Stelle noch einmal für notwendig hält, zeigt aber, wie sehr er noch unter dem Eindruck des Vortags steht - denn eigentlich wäre die Intervention an dieser Stelle gar nicht mehr notwendig gewesen.

Inhaltlich läuft alles ins seinem Sinn - die Partei erspart ihm weitere Nadelstiche. Die im Vorfeld heiß debattierte Doppelspitze räumen die Delegierten noch am Freitagabend nach kaum einer halben Stunde Debatte ab. Vor allem auf Landes- und Bundesebene hatte es die Sorge gegeben, dass die Doppelspitzen-Frage nicht auf Orts- und Kreisverbände beschränkt bleiben, sondern ganz schnell auch die obersten Hierarchieebenen der SPD erreichen würde. Und schon hätte Gabriel die nächste Debatte am Hals gehabt.

Potenziell brisanter Antrag kommt nicht durch

Auch die Debatte über den Freihandel läuft am Samstag so, wie von der Parteispitze um Gabriel erwartet und erhofft. Nach fast zweieinhalbstündiger Debatte nehmen die Delegierten den Leitantrag des Parteivorstands mit breiter Mehrheit an. Das fünfseitige Papier war in diversen Runden mühsam zwischen TTIP-Skeptikern und TTIP-Befürwortern austariert worden. Am Ende waren dann auch die Parteilinken weitgehend zufrieden - vor allem weil die vor einem Jahr auf einem Parteikonvent beschlossenen sogenannten "roten Linien" noch einmal bekräftigt wurden: Europäische Standards dürfen nicht abgesenkt werden, private Rechtsanwälte dürfen nicht in Schiedsgerichten sitzen, die Handelsstreitigkeiten beilegen. Mindeststandards für Arbeitsbedingungen müssen eingehalten werden. Und schließlich kommt auch ein potenziell brisanter Antrag der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen, kurz AfA, nicht durch. Die wollte, dass der Bundesparteitag das bereits fertig verhandelte Ceta-Abkommen mit Kanada ablehnt.

Doch auch das dürfte kaum genügen, um den Vizekanzler auf die Schnelle wieder mit seiner Partei zu versöhnen - oder jedenfalls jenem Teil, der ihm am Freitag die Stimme verweigert hat. Wie hat er es in seiner Rede zum Freihandel gesagt? "Wenn man regieren will, dann muss man die Bedingungen von Regierung kennen." Das lässt sich auch als Warnung an die eigenen Leute verstehen: Wir können gern zusammen weitermachen. Aber von jetzt an zu meinen Bedingungen.

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