Süddeutsche Zeitung

Klaus Barthel:Jemand, der weiterkämpft

Klaus Barthel tritt zum vierten Mal für den SPD-Parteivorstand an - und scheitert. Und doch erlebt der SPD-Mann, der einst zum "dreckigen Dutzend" gegen Schröders Agendapolitik zählte, auf dem Parteitag einen späten, kleinen Triumph.

Von Jean-Marie Magro, Berlin

Flagge zeigen, das ist das Motto des Klaus Barthel. Der 63-Jährige kandidierte am Samstag zum vierten Mal für den Parteivorstand der SPD. Zum vierten Mal ohne große Aussicht auf Erfolg. Zum vierten Mal scheiterte er. 114 Stimmen erhielt Barthel, 290 wären nötig gewesen.

Barthel ist einer der beharrlichsten Anwälte für Arbeitnehmer in der Sozialdemokratie und Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen, kurz AfA. An seinem grauen Jackett mit feinen weißen Streifen ist eine AfA-Stecknadel befestigt.

An Arbeitsgemeinschaften mangelt es in der SPD nicht, es gibt Dutzende. Für Frauen, für Integration, für Umwelt und und und... Nur, das ist Barthels Meinung, erhalten die im Bundesvorstand nicht genug Gehör. Stattdessen werden dessen Mitglieder vor allem nach Regionalproporz gewählt. "Das ist wie im Feudalismus früher", urteilt Barthel. "Da haben sich die Kurfürsten geeinigt, wer Kaiser wird. Da ging es auch nicht unbedingt darum, wer der Kompetenteste ist."

Deswegen kandidiert Barthel seit Jahren unermüdlich. "Ich würde mir feige vorkommen, wenn ich meine Person nicht zur Verfügung stellen würde", sagt er. Feige ist Barthel sicherlich nicht. Von 1994 bis 2017 saß er für den Wahlkreis Starnberg, Wolfratshausen und Bad Tölz im Bundestag.

Barthel war immer Friedenspolitiker. Er stimmte gegen die Einsätze im Kosovo-Krieg und in Afghanistan. Barthel, der früher als Postzusteller jobbte und hauptamtlicher Gewerkschafter war, sprach sich gegen die Agendapolitik von Kanzler Gerhard Schröder aus. Mit elf anderen Kollegen zählte ihn der damalige Fraktionsvorsitzende Franz Müntefering fortan zum "dreckigen Dutzend", das sich gegen die Arbeitsmarktreformen der Regierung sträubte.

Ein bayerischer Sisyphos

Und Barthel steckte auch später nie zurück. Der Oberbayer ging selbst Sigmar Gabriel auf die Nerven. Einmal platzte dem damaligen Wirtschaftsminister in einer Fraktionssitzung der Kragen, und er warf dem Oberbayer an den Kopf, dieser solle doch erstmal so gute Ergebnisse erzielen wie er einst in Niedersachsen. "Er wusste, dass ich recht hatte. Also wurde er persönlich. Das war seine Masche", sagt Barthel heute mit einem Lächeln.

"Ich bewundere ihn für seine Beharrlichkeit und Prinzipientreue", sagt sein Freund und Mitstreiter Florian von Brunn. Von Brunn war einst Barthels Pressesprecher. Später wurde er Landtagsabgeordneter.

Den meisten ist der Name Klaus Barthel ein Begriff auf diesem Parteitag in Berlin. Für die bayerischen Delegierten ist er fast schon ein Mythos, jemand der weiterkämpft, egal wie aussichtslos dieser Kampf scheint. Er ist so etwas wie der bayerische Sisyphos.

"Nach der Bundestagswahl vor zwei Jahren stand ich vor dem Münchner Schlachthof", erzählt Seija Knorr-Köning, Mitglied im Vorstand der Jusos München. "Da hab ich mich aufgeregt, dass niemand in der SPD mehr fordert, den Sozialstaat zu verändern." Um diesen Punkt zu untermauern, tippte sie dem Erstbesten, der an ihr vorbeikam, auf die Schulter und fragte: "Was denkst du davon?" Der Mann drehte sich zu ihr, lächelte und sagte: "Ich bin Klaus Barthel, AfA-Landesvorsitzender und mache seit Jahren nichts anderes." Seitdem trinken die heute 31-Jährige und der 63-Jährige regelmäßig zusammen Kaffee.

Emotionen überkommen Klaus Barthel bei diesem Parteitag noch nicht. Zu groß ist die Gefahr, dass es seine SPD, in der er seit 1975 Mitglied ist, zerreißt. Zu viel hat er schon erlebt. Seinen ersten Parteitag 1982 in München - damals kämpften noch Helmut Schmidt, Erhard Eppler und Oskar Lafontaine um den richtigen Kurs. Der junge Barthel lauschte den Schlachtrossen. Er selbst war Helfer, verteilte Unterlagen.

Die neuen Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans hätten zumindest einen wesentlich nüchterneren Stil als manche ihrer Vorgänger, sagt Barthel. "Wir sind leider von vielen brillanten Rednern und Charismatikern enttäuscht worden." Barthel will den neuen Parteivorstand an seinen Taten messen.

Zumindest greife der parteiinterne Feudalismus nicht mehr so stark wie früher. Die Delegierten, beobachtet Barthel, vertreten viel mehr ihre eigene Meinung. "Früher hat man da auch immer abgestimmt, wie die Landesfürsten es wollten. Da hat man sich dann gefragt: Wird der Vorsitzende dadurch beschädigt? Das gibt es nicht mehr", ist Barthel froh.

Er selbst konnte auf diesem Parteitag außerdem zwei Siege einfahren. Erstens konnten er und seine Mitstreiter abwenden, dass der Etat der Arbeitsgemeinschaften um 25 Prozent gekürzt wird. Er selbst hatte sich am Rednerpult gegen die von Generalsekretär Lars Klingbeil und Schatzmeister Dietmar Nietan vorgeschlagene Reform ausgesprochen. Nüchtern rechnete er vor, dass die Partei auf der einen Seite zwar spare, auf der anderen aber neue Gremien schaffe und damit Kosten produziere. Zweitens beschloss der Parteitag das neue Sozialstaatskonzept und sprach sich dafür aus, Hartz IV durch eine Leistung namens "Bürgergeld" zu ersetzen. Es ist ein später, zumindest kleiner, Triumph für den furchtlosen Barthel und das "dreckige Dutzend".

SPD-Parteivorstand - kein Lebensziel

Barthel schlägt immer mal wieder einen leicht melancholischen Ton an und schaut in die Ferne. In diesem Jahr gab er nach zehn Jahren schon mal den AfA-Landesvorsitz in Bayern ab. Schrittweise reduziert er seine Ehrenämter. Ein wenig klingt es nach Abschied. Doch noch will er nicht Schluss machen. "In Bayern haben wir nächstes Jahr die Kommunalwahlen, da geht's ums nackte Überleben", fürchtet er. Barthel ist leidenschaftlicher Bergsteiger. Er weiß, wann die Talsohle erreicht ist.

Ob er nochmal antritt? "Das glaube ich nicht", sagt er. "Man soll den Parteivorstand nicht überschätzen. Das ist kein Lebensziel. Es wäre für mich immer nur ein Segment gewesen, keine Frage von Glückseligkeit." Dann aber dreht er sich nochmal um und schmunzelt: "Man soll niemals nie sagen."

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